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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Alexandros Rnmundnros,

war. So mitten im parlamentarische" Kampfe stehend und gewöhnlich die
zahlreichere und bedeutendere Partei führend, übernahm er zu wiederholten
malen die Regierung, in welcher es ihm glückte, länger als seine politischen
Gegner, bis zum 15. März vorigen Jahres sich zu erhalten. Es ist keine
Übertreibung, wenn man behauptet, daß er während der letzten zwanzig Jahre
die Seele der Regierung in Griechenland gewesen sei.

Bei der Beschaffenheit der griechischen Verhältnisse ist das Regieren dort
nicht so leicht wie bei andern Völkern. Die südliche Natur der Griechen und
der lebhafte und unbeständige Charakter der Nation sowohl, als auch der
Mangel an der notwendigen politischen Erziehung und am Verständnis für
freie Institutionen erschweren die Arbeit des Staatsmannes. Jener streit-
und händellustigc, vemndcrungssüchtige, neidische, skrupellose Demos, der im
Altertum den Spott der Komödie und die Verzweiflung aller ernsten Patrioten
herausforderte, lebt im heutigen griechischen Volke zu einem guten Teile noch
fort. In der Gleichheit der Stände wurzelt die Unfähigkeit der Griechen, den
großen Männern, die aus ihrer Mitte hervorgehen, gerecht zu werden. Nur
vorübergehend vermochten einzelne Namen, wie Jpsilautis, Manrokordatos,
Kapodistrias, die allgemeine Bewunderung zu fesseln uno sich über der Menge
zu behaupte". Aber rasch genug waren sie verbraucht und traten wieder in
das Dunkel der Vergessenheit. Es wäre ungerecht, wenn man die Schuld dieser
charakteristischen Thatsache der mangelnden Befähigung und Erfahrung den
hervorragenden Männern statt dem Genius der Nation und dein patriotischen
Argwohn beimäße, welcher in Demokratien zur Bürgerpflicht zu werden pflegt.
Wenn der schadenfrohe Haß der Mittelmäßigkeit gegen das Verdienst nicht
schon im alten Hellas seinen Ausdruck gefunden hätte, so würden die jetzigen
Hellenen den Ostrakismvs erfinden. Auch sie wären imstande, einen Themistokles
zu verbannen und einem Sokrates den Giftbecher zu reichen. Es hängt das
wie ein natürlicher Maugel allen kleinen Gemeinwesen an; man hat Dinge
und Personen allzunahe in greifbarer Anschaulichkeit vor Augen, hat sie mit
ihren Irrtümern und Schwächen wachsen sehen; nun will man zeigen, daß
man die Schwächen sieht, und erkennt darum die Größe nicht an.

Kumunduros besaß von Natur eine große Kenntnis der Menschen und
ihrer Schwächen, er wußte sie demgemäß zu behandeln, und dabei besaß er eine
bei Staatsmännern seltne Eigenschaft, er war und blieb der Mann des Volkes.
Populärer als Kumunduros war, ist niemand gewesen. Jeder kam und ging
ungehindert zu ihm und von ihm, und jeder ging zufrieden und getröstet, wenn
auch nicht immer mit erfüllter Hoffnung. Das sprichwörtliche Lächeln, das
seine Mundwinkel umspielte und das selbst der Tod seinem Antlitz nicht ge¬
raubt hatte, kam bei ihm aus tiefstem Innern, und selbst in den schwersten
Tagen und kritischen Momenten seines thatenreichen Lebens blieb ihm ein
Humor, wie er nur kindlich unschuldigen Gemütern eigen ist.


Alexandros Rnmundnros,

war. So mitten im parlamentarische» Kampfe stehend und gewöhnlich die
zahlreichere und bedeutendere Partei führend, übernahm er zu wiederholten
malen die Regierung, in welcher es ihm glückte, länger als seine politischen
Gegner, bis zum 15. März vorigen Jahres sich zu erhalten. Es ist keine
Übertreibung, wenn man behauptet, daß er während der letzten zwanzig Jahre
die Seele der Regierung in Griechenland gewesen sei.

Bei der Beschaffenheit der griechischen Verhältnisse ist das Regieren dort
nicht so leicht wie bei andern Völkern. Die südliche Natur der Griechen und
der lebhafte und unbeständige Charakter der Nation sowohl, als auch der
Mangel an der notwendigen politischen Erziehung und am Verständnis für
freie Institutionen erschweren die Arbeit des Staatsmannes. Jener streit-
und händellustigc, vemndcrungssüchtige, neidische, skrupellose Demos, der im
Altertum den Spott der Komödie und die Verzweiflung aller ernsten Patrioten
herausforderte, lebt im heutigen griechischen Volke zu einem guten Teile noch
fort. In der Gleichheit der Stände wurzelt die Unfähigkeit der Griechen, den
großen Männern, die aus ihrer Mitte hervorgehen, gerecht zu werden. Nur
vorübergehend vermochten einzelne Namen, wie Jpsilautis, Manrokordatos,
Kapodistrias, die allgemeine Bewunderung zu fesseln uno sich über der Menge
zu behaupte». Aber rasch genug waren sie verbraucht und traten wieder in
das Dunkel der Vergessenheit. Es wäre ungerecht, wenn man die Schuld dieser
charakteristischen Thatsache der mangelnden Befähigung und Erfahrung den
hervorragenden Männern statt dem Genius der Nation und dein patriotischen
Argwohn beimäße, welcher in Demokratien zur Bürgerpflicht zu werden pflegt.
Wenn der schadenfrohe Haß der Mittelmäßigkeit gegen das Verdienst nicht
schon im alten Hellas seinen Ausdruck gefunden hätte, so würden die jetzigen
Hellenen den Ostrakismvs erfinden. Auch sie wären imstande, einen Themistokles
zu verbannen und einem Sokrates den Giftbecher zu reichen. Es hängt das
wie ein natürlicher Maugel allen kleinen Gemeinwesen an; man hat Dinge
und Personen allzunahe in greifbarer Anschaulichkeit vor Augen, hat sie mit
ihren Irrtümern und Schwächen wachsen sehen; nun will man zeigen, daß
man die Schwächen sieht, und erkennt darum die Größe nicht an.

Kumunduros besaß von Natur eine große Kenntnis der Menschen und
ihrer Schwächen, er wußte sie demgemäß zu behandeln, und dabei besaß er eine
bei Staatsmännern seltne Eigenschaft, er war und blieb der Mann des Volkes.
Populärer als Kumunduros war, ist niemand gewesen. Jeder kam und ging
ungehindert zu ihm und von ihm, und jeder ging zufrieden und getröstet, wenn
auch nicht immer mit erfüllter Hoffnung. Das sprichwörtliche Lächeln, das
seine Mundwinkel umspielte und das selbst der Tod seinem Antlitz nicht ge¬
raubt hatte, kam bei ihm aus tiefstem Innern, und selbst in den schwersten
Tagen und kritischen Momenten seines thatenreichen Lebens blieb ihm ein
Humor, wie er nur kindlich unschuldigen Gemütern eigen ist.


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[0117] Alexandros Rnmundnros, war. So mitten im parlamentarische» Kampfe stehend und gewöhnlich die zahlreichere und bedeutendere Partei führend, übernahm er zu wiederholten malen die Regierung, in welcher es ihm glückte, länger als seine politischen Gegner, bis zum 15. März vorigen Jahres sich zu erhalten. Es ist keine Übertreibung, wenn man behauptet, daß er während der letzten zwanzig Jahre die Seele der Regierung in Griechenland gewesen sei. Bei der Beschaffenheit der griechischen Verhältnisse ist das Regieren dort nicht so leicht wie bei andern Völkern. Die südliche Natur der Griechen und der lebhafte und unbeständige Charakter der Nation sowohl, als auch der Mangel an der notwendigen politischen Erziehung und am Verständnis für freie Institutionen erschweren die Arbeit des Staatsmannes. Jener streit- und händellustigc, vemndcrungssüchtige, neidische, skrupellose Demos, der im Altertum den Spott der Komödie und die Verzweiflung aller ernsten Patrioten herausforderte, lebt im heutigen griechischen Volke zu einem guten Teile noch fort. In der Gleichheit der Stände wurzelt die Unfähigkeit der Griechen, den großen Männern, die aus ihrer Mitte hervorgehen, gerecht zu werden. Nur vorübergehend vermochten einzelne Namen, wie Jpsilautis, Manrokordatos, Kapodistrias, die allgemeine Bewunderung zu fesseln uno sich über der Menge zu behaupte». Aber rasch genug waren sie verbraucht und traten wieder in das Dunkel der Vergessenheit. Es wäre ungerecht, wenn man die Schuld dieser charakteristischen Thatsache der mangelnden Befähigung und Erfahrung den hervorragenden Männern statt dem Genius der Nation und dein patriotischen Argwohn beimäße, welcher in Demokratien zur Bürgerpflicht zu werden pflegt. Wenn der schadenfrohe Haß der Mittelmäßigkeit gegen das Verdienst nicht schon im alten Hellas seinen Ausdruck gefunden hätte, so würden die jetzigen Hellenen den Ostrakismvs erfinden. Auch sie wären imstande, einen Themistokles zu verbannen und einem Sokrates den Giftbecher zu reichen. Es hängt das wie ein natürlicher Maugel allen kleinen Gemeinwesen an; man hat Dinge und Personen allzunahe in greifbarer Anschaulichkeit vor Augen, hat sie mit ihren Irrtümern und Schwächen wachsen sehen; nun will man zeigen, daß man die Schwächen sieht, und erkennt darum die Größe nicht an. Kumunduros besaß von Natur eine große Kenntnis der Menschen und ihrer Schwächen, er wußte sie demgemäß zu behandeln, und dabei besaß er eine bei Staatsmännern seltne Eigenschaft, er war und blieb der Mann des Volkes. Populärer als Kumunduros war, ist niemand gewesen. Jeder kam und ging ungehindert zu ihm und von ihm, und jeder ging zufrieden und getröstet, wenn auch nicht immer mit erfüllter Hoffnung. Das sprichwörtliche Lächeln, das seine Mundwinkel umspielte und das selbst der Tod seinem Antlitz nicht ge¬ raubt hatte, kam bei ihm aus tiefstem Innern, und selbst in den schwersten Tagen und kritischen Momenten seines thatenreichen Lebens blieb ihm ein Humor, wie er nur kindlich unschuldigen Gemütern eigen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/117>, abgerufen am 03.07.2024.