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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altcuschlverdt.

Dorothea antwortete nur mit einem artigen Lächeln, Je mehr und je
besser die Gräfin sprach und je freundlicher sie wurde, desto mehr zog sich
Dorotheens Seele vor ihr zusammen. Das von Liebe erfüllte Herz war nicht
zu täuschen.

Während die Damen sich dergestalt im Ankleidezimmer unterhielten und die
Gräfin in ihrem Bemühen, dem spröden jungen Mädchen näher zu kommen,
den Zeitpunkt des Fertigwerdeus verzögerte und immer wieder bald an ihrem
Haar, bald am Anzüge etwas zu ordnen fand, standen die Herren noch im Musik¬
zimmer zusammen. Eberhardt lehnte am Flügel und unterhielt sich mit Graf
Dietrich. Es war ein forschender und beinahe zärtlicher Blick, mit dem er jetzt,
wo er sich unbeachtet von der Gräfin wußte, deu jungem Bruder, dem er un¬
bekannt war, betrachtete. Aber Dietrich widmete ihm nur eine geringe, nur eben
den Formen der Höflichkeit angemessene Aufmerksamkeit. Er fühlte sich abge¬
spannt, nachdem er sich viele Stunden lang unter den Augen seiner Mutter
hatte liebenswürdig zeigen müssen, und er unterdrückte nur halb eine wieder¬
holte Anwandlung zum Gähnen. Er hatte die ihm vom Baron angebotene Ci-
garette angenommen und rauchte hastig mit tiefen Zügen, um zu Eude zu kommen,
ehe er zu seiner Mutter in den Wagen steigen mußte. Er antwortete auf die
Fragen Eberhardts, welche wohl eingehende Antworten verdient hätten, in
oberflächlicher Weise, mit dem sichern Gefühl, daß es für den Maler schon eine
Ehre sei, überhaupt mit ihm zu reden. Graf Dietrich kam an Höhe und Breite
des Wuchses dem ältern Bruder nicht gleich. Er reichte ihm etwa bis zur
Höhe des Mundes. Seine Figur zeichnete sich mehr durch Eleganz als Kraft
aus, wie auch seine Gesichtszüge nicht die ruhige Klarheit besaßen, welche Eber¬
hardts Miene beseelte.

Der Baron stand in einiger Entfernung neben dem General und blickte,
häufig den grauen Schnurrbart drehend, mit argwöhnischen Auge nach Eber¬
hardt. Er hatte den Gedanken aufgegeben, ihn zur Rede zu stellen, weil er
fürchtete, die Gräfin in Ungelegenheit zu bringen, und immer wieder stiegen
Bedenken in ihm auf, ob ihre Mitteilung zuverlässig sei, doch hatte das Gift
des Mißtrauens schon so weit in seinem Gemüt um sich gefressen, daß er sich
auch nicht entschließen konnte, ein freundliches Wort mit ihm zu sprechen. Er
war so unruhig und mißgestimmt durch den in ihn hineingetragenen Verdacht
geworden, daß er darüber fast die Freude vergaß, welche ihm der Besuch machte,
eine Freude, die in der hohen Befriedigung über die Persönlichkeit der Gräfin
ihren Gipfelpunkt hatte.

So war nur der General ganz gelassen, kühl und unbefangen. Er sah die
Ereignisse, welche sich hier im Schlosse seines Freundes vorbereiteten, gleich einer
drohenden Gewitterwand am Horizont aufsteigen, mußte sich jedoch sagen, daß
er nichts thun könne, sie abzuwenden, daß eine Warnung die Gegensätze nur
verschärfen und das Hereinbrechen einer Katastrophe nur beschleunigen würde.


Die Grafen von Altcuschlverdt.

Dorothea antwortete nur mit einem artigen Lächeln, Je mehr und je
besser die Gräfin sprach und je freundlicher sie wurde, desto mehr zog sich
Dorotheens Seele vor ihr zusammen. Das von Liebe erfüllte Herz war nicht
zu täuschen.

Während die Damen sich dergestalt im Ankleidezimmer unterhielten und die
Gräfin in ihrem Bemühen, dem spröden jungen Mädchen näher zu kommen,
den Zeitpunkt des Fertigwerdeus verzögerte und immer wieder bald an ihrem
Haar, bald am Anzüge etwas zu ordnen fand, standen die Herren noch im Musik¬
zimmer zusammen. Eberhardt lehnte am Flügel und unterhielt sich mit Graf
Dietrich. Es war ein forschender und beinahe zärtlicher Blick, mit dem er jetzt,
wo er sich unbeachtet von der Gräfin wußte, deu jungem Bruder, dem er un¬
bekannt war, betrachtete. Aber Dietrich widmete ihm nur eine geringe, nur eben
den Formen der Höflichkeit angemessene Aufmerksamkeit. Er fühlte sich abge¬
spannt, nachdem er sich viele Stunden lang unter den Augen seiner Mutter
hatte liebenswürdig zeigen müssen, und er unterdrückte nur halb eine wieder¬
holte Anwandlung zum Gähnen. Er hatte die ihm vom Baron angebotene Ci-
garette angenommen und rauchte hastig mit tiefen Zügen, um zu Eude zu kommen,
ehe er zu seiner Mutter in den Wagen steigen mußte. Er antwortete auf die
Fragen Eberhardts, welche wohl eingehende Antworten verdient hätten, in
oberflächlicher Weise, mit dem sichern Gefühl, daß es für den Maler schon eine
Ehre sei, überhaupt mit ihm zu reden. Graf Dietrich kam an Höhe und Breite
des Wuchses dem ältern Bruder nicht gleich. Er reichte ihm etwa bis zur
Höhe des Mundes. Seine Figur zeichnete sich mehr durch Eleganz als Kraft
aus, wie auch seine Gesichtszüge nicht die ruhige Klarheit besaßen, welche Eber¬
hardts Miene beseelte.

Der Baron stand in einiger Entfernung neben dem General und blickte,
häufig den grauen Schnurrbart drehend, mit argwöhnischen Auge nach Eber¬
hardt. Er hatte den Gedanken aufgegeben, ihn zur Rede zu stellen, weil er
fürchtete, die Gräfin in Ungelegenheit zu bringen, und immer wieder stiegen
Bedenken in ihm auf, ob ihre Mitteilung zuverlässig sei, doch hatte das Gift
des Mißtrauens schon so weit in seinem Gemüt um sich gefressen, daß er sich
auch nicht entschließen konnte, ein freundliches Wort mit ihm zu sprechen. Er
war so unruhig und mißgestimmt durch den in ihn hineingetragenen Verdacht
geworden, daß er darüber fast die Freude vergaß, welche ihm der Besuch machte,
eine Freude, die in der hohen Befriedigung über die Persönlichkeit der Gräfin
ihren Gipfelpunkt hatte.

So war nur der General ganz gelassen, kühl und unbefangen. Er sah die
Ereignisse, welche sich hier im Schlosse seines Freundes vorbereiteten, gleich einer
drohenden Gewitterwand am Horizont aufsteigen, mußte sich jedoch sagen, daß
er nichts thun könne, sie abzuwenden, daß eine Warnung die Gegensätze nur
verschärfen und das Hereinbrechen einer Katastrophe nur beschleunigen würde.


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[0107] Die Grafen von Altcuschlverdt. Dorothea antwortete nur mit einem artigen Lächeln, Je mehr und je besser die Gräfin sprach und je freundlicher sie wurde, desto mehr zog sich Dorotheens Seele vor ihr zusammen. Das von Liebe erfüllte Herz war nicht zu täuschen. Während die Damen sich dergestalt im Ankleidezimmer unterhielten und die Gräfin in ihrem Bemühen, dem spröden jungen Mädchen näher zu kommen, den Zeitpunkt des Fertigwerdeus verzögerte und immer wieder bald an ihrem Haar, bald am Anzüge etwas zu ordnen fand, standen die Herren noch im Musik¬ zimmer zusammen. Eberhardt lehnte am Flügel und unterhielt sich mit Graf Dietrich. Es war ein forschender und beinahe zärtlicher Blick, mit dem er jetzt, wo er sich unbeachtet von der Gräfin wußte, deu jungem Bruder, dem er un¬ bekannt war, betrachtete. Aber Dietrich widmete ihm nur eine geringe, nur eben den Formen der Höflichkeit angemessene Aufmerksamkeit. Er fühlte sich abge¬ spannt, nachdem er sich viele Stunden lang unter den Augen seiner Mutter hatte liebenswürdig zeigen müssen, und er unterdrückte nur halb eine wieder¬ holte Anwandlung zum Gähnen. Er hatte die ihm vom Baron angebotene Ci- garette angenommen und rauchte hastig mit tiefen Zügen, um zu Eude zu kommen, ehe er zu seiner Mutter in den Wagen steigen mußte. Er antwortete auf die Fragen Eberhardts, welche wohl eingehende Antworten verdient hätten, in oberflächlicher Weise, mit dem sichern Gefühl, daß es für den Maler schon eine Ehre sei, überhaupt mit ihm zu reden. Graf Dietrich kam an Höhe und Breite des Wuchses dem ältern Bruder nicht gleich. Er reichte ihm etwa bis zur Höhe des Mundes. Seine Figur zeichnete sich mehr durch Eleganz als Kraft aus, wie auch seine Gesichtszüge nicht die ruhige Klarheit besaßen, welche Eber¬ hardts Miene beseelte. Der Baron stand in einiger Entfernung neben dem General und blickte, häufig den grauen Schnurrbart drehend, mit argwöhnischen Auge nach Eber¬ hardt. Er hatte den Gedanken aufgegeben, ihn zur Rede zu stellen, weil er fürchtete, die Gräfin in Ungelegenheit zu bringen, und immer wieder stiegen Bedenken in ihm auf, ob ihre Mitteilung zuverlässig sei, doch hatte das Gift des Mißtrauens schon so weit in seinem Gemüt um sich gefressen, daß er sich auch nicht entschließen konnte, ein freundliches Wort mit ihm zu sprechen. Er war so unruhig und mißgestimmt durch den in ihn hineingetragenen Verdacht geworden, daß er darüber fast die Freude vergaß, welche ihm der Besuch machte, eine Freude, die in der hohen Befriedigung über die Persönlichkeit der Gräfin ihren Gipfelpunkt hatte. So war nur der General ganz gelassen, kühl und unbefangen. Er sah die Ereignisse, welche sich hier im Schlosse seines Freundes vorbereiteten, gleich einer drohenden Gewitterwand am Horizont aufsteigen, mußte sich jedoch sagen, daß er nichts thun könne, sie abzuwenden, daß eine Warnung die Gegensätze nur verschärfen und das Hereinbrechen einer Katastrophe nur beschleunigen würde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/107>, abgerufen am 03.07.2024.