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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt,

Sie wandte sich um, und ihre Augen streiften über Eberhardts Gesicht hin,
der sich mit einer eisigen Höflichkeit verneigte. Ein kaum merkliches Nicken des
Kopfes ward ihm zugedacht. Dann legte sie wieder ihren Arm um Dorotheens
Schulter und schritt, indem sie uoch einmal mit graziöser Handbewegung einen
für die Herren giltigen Abschiedsgruß verteilte und das junge Mädchen mit
sich führte, hinaus nach dem Ankleidezimmer.

Ach, meine teuerste Baronesse, sagte sie, in dieser schwesterlichen Umschlingung
mit Dorothea langsam den Korridor durchmessend, welch ein entzückender Abend
war dies! Ich wüßte mich weniger so genußreichen in meinem ganzen Leben zu
entsinnen. Ihr Vater -- welch ein Mann! Welch ein Geschenk vom Himmel
ist ein solcher Vater!

Sie blieb in der Begeisterung über diese Betrachtung stehen und hielt Do¬
rothea auf Armeslänge von sich ab, wobei sie ihr beide Hände auf die Achsel"
legte und ihr schwärmerisch in die Augen sah.

Aber gerade diese Redewendung war wenig geeignet, Dorotheens Herz zu
schmelzen, wenn überhaupt irgend etwas von der Gräfin gedachtes dazu imstande
war. Denn in schmerzlicher Weise wurde gerade die empfindlichste Saite in
ihrem Gemüte berührt, und es schien ihr mit rauher Hand die nie heilende,
wenn auch oft verharschte Wunde ihres Innersten aufgerissen zu werden.
Gräfin Sibylle hatte nicht glücklich gewählt, als sie an ein Glück erinnerte,
das für Dorothea niemals existirt hatte und doch stets so sehnlich herbei¬
gewünscht ward.

So begegnete denn ihr Blick einem Paar von Augensternen, die so kalt
und undurchdringlich wie polirter Stahl ihr entgegenblitzten, und sie zog alsbald
ihre Hände zurück und trat vor den großen Spiegel des Toilettezimmers. Sie
erblickte sich hier in ganzer Figur und in der hellsten Beleuchtung, und eine
schnelle Prüfung ihres Äußern befriedigte sie. Seit einer Stunde fühlte sie
einen stechenden Schmerz in der linken obern Kopfhälfte, aber ihr argwöhnischer
Blick zeigte ihr, daß das Aussehen ihres Gesichts keine Angegriffenheit verriet.

Eine sehr angenehme Erscheinung, dieser geniale Maler, sagte sie, sich plötz¬
lich wieder zu Dorothea wendend.

Aber Dorothea zeigte sich ihr gewachsen. Sie geriet nicht außer Fassung.

So, gefällt er Ihnen? fragte sie kühl.

Ich habe ein Faible für die Kunst, sagte Gräfin Sibylle, was sich denn
wohl unter Umständen in ein Faible für die Künstler verwandeln kann. Ah,
Sie müssen Dietrich darüber hören. Er ist ganz Künstler. Sie können ihn mit
einer schön exekntirten Gesangspiece, mit einem echten Greuze oder Watteau,
oder selbst mit dem Bruchstück eines tausendjährigen Marmors um die ganze
Erde locken. Selten habe ich noch einen so lebhaften Schönheitssinn wie bei
meinem Sohne gefunden. Ich beobachtete ihn, als Sie sangen. Er war in
Extase.


Die Grafen von Altenschwerdt,

Sie wandte sich um, und ihre Augen streiften über Eberhardts Gesicht hin,
der sich mit einer eisigen Höflichkeit verneigte. Ein kaum merkliches Nicken des
Kopfes ward ihm zugedacht. Dann legte sie wieder ihren Arm um Dorotheens
Schulter und schritt, indem sie uoch einmal mit graziöser Handbewegung einen
für die Herren giltigen Abschiedsgruß verteilte und das junge Mädchen mit
sich führte, hinaus nach dem Ankleidezimmer.

Ach, meine teuerste Baronesse, sagte sie, in dieser schwesterlichen Umschlingung
mit Dorothea langsam den Korridor durchmessend, welch ein entzückender Abend
war dies! Ich wüßte mich weniger so genußreichen in meinem ganzen Leben zu
entsinnen. Ihr Vater — welch ein Mann! Welch ein Geschenk vom Himmel
ist ein solcher Vater!

Sie blieb in der Begeisterung über diese Betrachtung stehen und hielt Do¬
rothea auf Armeslänge von sich ab, wobei sie ihr beide Hände auf die Achsel»
legte und ihr schwärmerisch in die Augen sah.

Aber gerade diese Redewendung war wenig geeignet, Dorotheens Herz zu
schmelzen, wenn überhaupt irgend etwas von der Gräfin gedachtes dazu imstande
war. Denn in schmerzlicher Weise wurde gerade die empfindlichste Saite in
ihrem Gemüte berührt, und es schien ihr mit rauher Hand die nie heilende,
wenn auch oft verharschte Wunde ihres Innersten aufgerissen zu werden.
Gräfin Sibylle hatte nicht glücklich gewählt, als sie an ein Glück erinnerte,
das für Dorothea niemals existirt hatte und doch stets so sehnlich herbei¬
gewünscht ward.

So begegnete denn ihr Blick einem Paar von Augensternen, die so kalt
und undurchdringlich wie polirter Stahl ihr entgegenblitzten, und sie zog alsbald
ihre Hände zurück und trat vor den großen Spiegel des Toilettezimmers. Sie
erblickte sich hier in ganzer Figur und in der hellsten Beleuchtung, und eine
schnelle Prüfung ihres Äußern befriedigte sie. Seit einer Stunde fühlte sie
einen stechenden Schmerz in der linken obern Kopfhälfte, aber ihr argwöhnischer
Blick zeigte ihr, daß das Aussehen ihres Gesichts keine Angegriffenheit verriet.

Eine sehr angenehme Erscheinung, dieser geniale Maler, sagte sie, sich plötz¬
lich wieder zu Dorothea wendend.

Aber Dorothea zeigte sich ihr gewachsen. Sie geriet nicht außer Fassung.

So, gefällt er Ihnen? fragte sie kühl.

Ich habe ein Faible für die Kunst, sagte Gräfin Sibylle, was sich denn
wohl unter Umständen in ein Faible für die Künstler verwandeln kann. Ah,
Sie müssen Dietrich darüber hören. Er ist ganz Künstler. Sie können ihn mit
einer schön exekntirten Gesangspiece, mit einem echten Greuze oder Watteau,
oder selbst mit dem Bruchstück eines tausendjährigen Marmors um die ganze
Erde locken. Selten habe ich noch einen so lebhaften Schönheitssinn wie bei
meinem Sohne gefunden. Ich beobachtete ihn, als Sie sangen. Er war in
Extase.


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[0106] Die Grafen von Altenschwerdt, Sie wandte sich um, und ihre Augen streiften über Eberhardts Gesicht hin, der sich mit einer eisigen Höflichkeit verneigte. Ein kaum merkliches Nicken des Kopfes ward ihm zugedacht. Dann legte sie wieder ihren Arm um Dorotheens Schulter und schritt, indem sie uoch einmal mit graziöser Handbewegung einen für die Herren giltigen Abschiedsgruß verteilte und das junge Mädchen mit sich führte, hinaus nach dem Ankleidezimmer. Ach, meine teuerste Baronesse, sagte sie, in dieser schwesterlichen Umschlingung mit Dorothea langsam den Korridor durchmessend, welch ein entzückender Abend war dies! Ich wüßte mich weniger so genußreichen in meinem ganzen Leben zu entsinnen. Ihr Vater — welch ein Mann! Welch ein Geschenk vom Himmel ist ein solcher Vater! Sie blieb in der Begeisterung über diese Betrachtung stehen und hielt Do¬ rothea auf Armeslänge von sich ab, wobei sie ihr beide Hände auf die Achsel» legte und ihr schwärmerisch in die Augen sah. Aber gerade diese Redewendung war wenig geeignet, Dorotheens Herz zu schmelzen, wenn überhaupt irgend etwas von der Gräfin gedachtes dazu imstande war. Denn in schmerzlicher Weise wurde gerade die empfindlichste Saite in ihrem Gemüte berührt, und es schien ihr mit rauher Hand die nie heilende, wenn auch oft verharschte Wunde ihres Innersten aufgerissen zu werden. Gräfin Sibylle hatte nicht glücklich gewählt, als sie an ein Glück erinnerte, das für Dorothea niemals existirt hatte und doch stets so sehnlich herbei¬ gewünscht ward. So begegnete denn ihr Blick einem Paar von Augensternen, die so kalt und undurchdringlich wie polirter Stahl ihr entgegenblitzten, und sie zog alsbald ihre Hände zurück und trat vor den großen Spiegel des Toilettezimmers. Sie erblickte sich hier in ganzer Figur und in der hellsten Beleuchtung, und eine schnelle Prüfung ihres Äußern befriedigte sie. Seit einer Stunde fühlte sie einen stechenden Schmerz in der linken obern Kopfhälfte, aber ihr argwöhnischer Blick zeigte ihr, daß das Aussehen ihres Gesichts keine Angegriffenheit verriet. Eine sehr angenehme Erscheinung, dieser geniale Maler, sagte sie, sich plötz¬ lich wieder zu Dorothea wendend. Aber Dorothea zeigte sich ihr gewachsen. Sie geriet nicht außer Fassung. So, gefällt er Ihnen? fragte sie kühl. Ich habe ein Faible für die Kunst, sagte Gräfin Sibylle, was sich denn wohl unter Umständen in ein Faible für die Künstler verwandeln kann. Ah, Sie müssen Dietrich darüber hören. Er ist ganz Künstler. Sie können ihn mit einer schön exekntirten Gesangspiece, mit einem echten Greuze oder Watteau, oder selbst mit dem Bruchstück eines tausendjährigen Marmors um die ganze Erde locken. Selten habe ich noch einen so lebhaften Schönheitssinn wie bei meinem Sohne gefunden. Ich beobachtete ihn, als Sie sangen. Er war in Extase.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/106>, abgerufen am 03.07.2024.