Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Grafen von Altenschwerdt.

Gräfin Sibyllens Hand übte einen Druck auf die seinige aus. Sie haben
Recht, lieber Baron, sagte sie milde, man soll immer das beste von den Men¬
schen denken.

Das ist noch die Frage, entgegnete er finster. Aber nein, meine gnädigste
Gräfin, fuhr er nach einer Pause mit hellerm Gesicht fort, ich baue auf einen
festern Grund, als Sie denken. Es ist ein untrügliches Gefühl, welches einen
Ehrenmann den andern erkennen läßt. Unmöglich kann sich mein erfahrener
Blick in diesem Manne täuschen!

Gräfin Sibylle zog ihre Hand zurück und sah den wackern Herrn mit
einem nachdenklichen Wiegen des Hauptes an. Das Bewußtsein eines echten
Edelmannes! sagte sie. Ach aber, lieber Baron, noch tönt mir das herrliche
Wort dieses vortrefflichen Grafen im Ohr, daß es nämlich einem edelsinnigen
Manne garnicht möglich sei, sich in die Schliche einer niedrigen Natur hinein¬
zudenken!

Sie seufzte und blickte zu Boden.

Baron Sextus runzelte die Brauen und richtete sich steif in die Höhe. Die
Sache muß sich aufklären, sagte er. Ich werde sogleich --

Seine Hand ward von neuem von den kühlen Fingern der Dame ergriffen,
und ihr Blick fesselte ihn an seinem Sitze.

?rM62 M-als! sagte sie eindringlich.

Dann stand sie selbst vom Divan auf. Es ist spät, sagte sie, wieder die
Miene holdester Freundlichkeit zeigend, und wir haben noch eine gute Strecke
zu fahren. Ich will mich verabschieden, lieber Baron. Und was unsre Ver¬
abredungen betrifft, rechnen Sie auf meine Unterstützung.

In kurzen Worten wurde noch einmal des wichtigsten Zwecks der Zu¬
sammenkunft gedacht, welche sowohl der Gräfin als dem Baron von guter Vor"
bedeutung zu sein schien, da Dietrich und Dorothea ja auf bestem Fuße seien,
und dann wußte die weltgewohnte Dame inmitten des Saales unter dem Kron¬
leuchter, mit der Schleppe rauschend und die Stimme lauter erhebend, eine
Stellung zu nehmen, welche alsbald die übrige Gesellschaft nötigte, sich um sie
zu versammeln.

Ich habe einen reizenden Gesang unterbrochen, sagte sie, zu Dorothea ge¬
wandt. Meine süße Nachtigall möge mir verzeihen, aber die Stunde des Ab¬
schieds hat geschlagen.

Sie breitete ihre Arme aus, indem sie einen Schritt vorwärts that, um¬
fing das junge Mädchen und küßte sie, wie bei ihrem Kommen, auf die Stirn.

Gute Nacht, teurer Engel! hauchten ihre Lippen.

Gute Nacht, mein lieber Graf, sagte sie, dem alten General die Hand
entgegenreichend. Ihre schönen Worte von heute werden mir für immer un¬
vergeßlich sein.'


Grenzboten II. 188i>>. U.
Die Grafen von Altenschwerdt.

Gräfin Sibyllens Hand übte einen Druck auf die seinige aus. Sie haben
Recht, lieber Baron, sagte sie milde, man soll immer das beste von den Men¬
schen denken.

Das ist noch die Frage, entgegnete er finster. Aber nein, meine gnädigste
Gräfin, fuhr er nach einer Pause mit hellerm Gesicht fort, ich baue auf einen
festern Grund, als Sie denken. Es ist ein untrügliches Gefühl, welches einen
Ehrenmann den andern erkennen läßt. Unmöglich kann sich mein erfahrener
Blick in diesem Manne täuschen!

Gräfin Sibylle zog ihre Hand zurück und sah den wackern Herrn mit
einem nachdenklichen Wiegen des Hauptes an. Das Bewußtsein eines echten
Edelmannes! sagte sie. Ach aber, lieber Baron, noch tönt mir das herrliche
Wort dieses vortrefflichen Grafen im Ohr, daß es nämlich einem edelsinnigen
Manne garnicht möglich sei, sich in die Schliche einer niedrigen Natur hinein¬
zudenken!

Sie seufzte und blickte zu Boden.

Baron Sextus runzelte die Brauen und richtete sich steif in die Höhe. Die
Sache muß sich aufklären, sagte er. Ich werde sogleich —

Seine Hand ward von neuem von den kühlen Fingern der Dame ergriffen,
und ihr Blick fesselte ihn an seinem Sitze.

?rM62 M-als! sagte sie eindringlich.

Dann stand sie selbst vom Divan auf. Es ist spät, sagte sie, wieder die
Miene holdester Freundlichkeit zeigend, und wir haben noch eine gute Strecke
zu fahren. Ich will mich verabschieden, lieber Baron. Und was unsre Ver¬
abredungen betrifft, rechnen Sie auf meine Unterstützung.

In kurzen Worten wurde noch einmal des wichtigsten Zwecks der Zu¬
sammenkunft gedacht, welche sowohl der Gräfin als dem Baron von guter Vor»
bedeutung zu sein schien, da Dietrich und Dorothea ja auf bestem Fuße seien,
und dann wußte die weltgewohnte Dame inmitten des Saales unter dem Kron¬
leuchter, mit der Schleppe rauschend und die Stimme lauter erhebend, eine
Stellung zu nehmen, welche alsbald die übrige Gesellschaft nötigte, sich um sie
zu versammeln.

Ich habe einen reizenden Gesang unterbrochen, sagte sie, zu Dorothea ge¬
wandt. Meine süße Nachtigall möge mir verzeihen, aber die Stunde des Ab¬
schieds hat geschlagen.

Sie breitete ihre Arme aus, indem sie einen Schritt vorwärts that, um¬
fing das junge Mädchen und küßte sie, wie bei ihrem Kommen, auf die Stirn.

Gute Nacht, teurer Engel! hauchten ihre Lippen.

Gute Nacht, mein lieber Graf, sagte sie, dem alten General die Hand
entgegenreichend. Ihre schönen Worte von heute werden mir für immer un¬
vergeßlich sein.'


Grenzboten II. 188i>>. U.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152862"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altenschwerdt.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_399"> Gräfin Sibyllens Hand übte einen Druck auf die seinige aus. Sie haben<lb/>
Recht, lieber Baron, sagte sie milde, man soll immer das beste von den Men¬<lb/>
schen denken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_400"> Das ist noch die Frage, entgegnete er finster. Aber nein, meine gnädigste<lb/>
Gräfin, fuhr er nach einer Pause mit hellerm Gesicht fort, ich baue auf einen<lb/>
festern Grund, als Sie denken. Es ist ein untrügliches Gefühl, welches einen<lb/>
Ehrenmann den andern erkennen läßt. Unmöglich kann sich mein erfahrener<lb/>
Blick in diesem Manne täuschen!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_401"> Gräfin Sibylle zog ihre Hand zurück und sah den wackern Herrn mit<lb/>
einem nachdenklichen Wiegen des Hauptes an. Das Bewußtsein eines echten<lb/>
Edelmannes! sagte sie. Ach aber, lieber Baron, noch tönt mir das herrliche<lb/>
Wort dieses vortrefflichen Grafen im Ohr, daß es nämlich einem edelsinnigen<lb/>
Manne garnicht möglich sei, sich in die Schliche einer niedrigen Natur hinein¬<lb/>
zudenken!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_402"> Sie seufzte und blickte zu Boden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_403"> Baron Sextus runzelte die Brauen und richtete sich steif in die Höhe. Die<lb/>
Sache muß sich aufklären, sagte er.  Ich werde sogleich &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_404"> Seine Hand ward von neuem von den kühlen Fingern der Dame ergriffen,<lb/>
und ihr Blick fesselte ihn an seinem Sitze.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_405"> ?rM62 M-als! sagte sie eindringlich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_406"> Dann stand sie selbst vom Divan auf. Es ist spät, sagte sie, wieder die<lb/>
Miene holdester Freundlichkeit zeigend, und wir haben noch eine gute Strecke<lb/>
zu fahren. Ich will mich verabschieden, lieber Baron. Und was unsre Ver¬<lb/>
abredungen betrifft, rechnen Sie auf meine Unterstützung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_407"> In kurzen Worten wurde noch einmal des wichtigsten Zwecks der Zu¬<lb/>
sammenkunft gedacht, welche sowohl der Gräfin als dem Baron von guter Vor»<lb/>
bedeutung zu sein schien, da Dietrich und Dorothea ja auf bestem Fuße seien,<lb/>
und dann wußte die weltgewohnte Dame inmitten des Saales unter dem Kron¬<lb/>
leuchter, mit der Schleppe rauschend und die Stimme lauter erhebend, eine<lb/>
Stellung zu nehmen, welche alsbald die übrige Gesellschaft nötigte, sich um sie<lb/>
zu versammeln.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_408"> Ich habe einen reizenden Gesang unterbrochen, sagte sie, zu Dorothea ge¬<lb/>
wandt. Meine süße Nachtigall möge mir verzeihen, aber die Stunde des Ab¬<lb/>
schieds hat geschlagen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_409"> Sie breitete ihre Arme aus, indem sie einen Schritt vorwärts that, um¬<lb/>
fing das junge Mädchen und küßte sie, wie bei ihrem Kommen, auf die Stirn.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_410"> Gute Nacht, teurer Engel! hauchten ihre Lippen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_411"> Gute Nacht, mein lieber Graf, sagte sie, dem alten General die Hand<lb/>
entgegenreichend. Ihre schönen Worte von heute werden mir für immer un¬<lb/>
vergeßlich sein.'</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 188i&gt;&gt;. U.</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0105] Die Grafen von Altenschwerdt. Gräfin Sibyllens Hand übte einen Druck auf die seinige aus. Sie haben Recht, lieber Baron, sagte sie milde, man soll immer das beste von den Men¬ schen denken. Das ist noch die Frage, entgegnete er finster. Aber nein, meine gnädigste Gräfin, fuhr er nach einer Pause mit hellerm Gesicht fort, ich baue auf einen festern Grund, als Sie denken. Es ist ein untrügliches Gefühl, welches einen Ehrenmann den andern erkennen läßt. Unmöglich kann sich mein erfahrener Blick in diesem Manne täuschen! Gräfin Sibylle zog ihre Hand zurück und sah den wackern Herrn mit einem nachdenklichen Wiegen des Hauptes an. Das Bewußtsein eines echten Edelmannes! sagte sie. Ach aber, lieber Baron, noch tönt mir das herrliche Wort dieses vortrefflichen Grafen im Ohr, daß es nämlich einem edelsinnigen Manne garnicht möglich sei, sich in die Schliche einer niedrigen Natur hinein¬ zudenken! Sie seufzte und blickte zu Boden. Baron Sextus runzelte die Brauen und richtete sich steif in die Höhe. Die Sache muß sich aufklären, sagte er. Ich werde sogleich — Seine Hand ward von neuem von den kühlen Fingern der Dame ergriffen, und ihr Blick fesselte ihn an seinem Sitze. ?rM62 M-als! sagte sie eindringlich. Dann stand sie selbst vom Divan auf. Es ist spät, sagte sie, wieder die Miene holdester Freundlichkeit zeigend, und wir haben noch eine gute Strecke zu fahren. Ich will mich verabschieden, lieber Baron. Und was unsre Ver¬ abredungen betrifft, rechnen Sie auf meine Unterstützung. In kurzen Worten wurde noch einmal des wichtigsten Zwecks der Zu¬ sammenkunft gedacht, welche sowohl der Gräfin als dem Baron von guter Vor» bedeutung zu sein schien, da Dietrich und Dorothea ja auf bestem Fuße seien, und dann wußte die weltgewohnte Dame inmitten des Saales unter dem Kron¬ leuchter, mit der Schleppe rauschend und die Stimme lauter erhebend, eine Stellung zu nehmen, welche alsbald die übrige Gesellschaft nötigte, sich um sie zu versammeln. Ich habe einen reizenden Gesang unterbrochen, sagte sie, zu Dorothea ge¬ wandt. Meine süße Nachtigall möge mir verzeihen, aber die Stunde des Ab¬ schieds hat geschlagen. Sie breitete ihre Arme aus, indem sie einen Schritt vorwärts that, um¬ fing das junge Mädchen und küßte sie, wie bei ihrem Kommen, auf die Stirn. Gute Nacht, teurer Engel! hauchten ihre Lippen. Gute Nacht, mein lieber Graf, sagte sie, dem alten General die Hand entgegenreichend. Ihre schönen Worte von heute werden mir für immer un¬ vergeßlich sein.' Grenzboten II. 188i>>. U.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/105
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/105>, abgerufen am 03.07.2024.