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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Gegenwart. Ich fühle Ihr Wesen mich ganz durchdringen, und es ist mir
kein Raum zu einem Gedanken, der nicht der Liebe angehörte.

Er hatte jenem Platze, wo Gräfin Sibylle und der Baron saßen, den
Rücken zugekehrt, aber Dorothea vergaß nicht, diesen bedrohlichen Punkt im
Auge zu behalte", und legte jetzt den Zeigefinger bedeutsam auf die Lippen.
Sie erhalten morgen einen Brief, sagte sie schnell und leise, und fuhr dann
mit gewöhnlicher Stimme fort: Dies ist das gesuchte Heft von Schumann.

Mit diesen Worten trat sie an den Flügel und legte die Noten auf das
Pult. Graf Dietrich kam herbei, rückte ihr den Sitz vor dem Instrument zu¬
recht und sprach seine Freude darüber aus, daß sie musiziren wolle. Auch der
General und Eberhardt traten zu ihr, und sie begann nach kurzer Unterhaltung
über das zu wählende Lied mit einer Stimme, die zu Anfang nicht ganz so
sicher war wie sonst, den Vortrag des "Nußbaum."

Die Unterhaltung auf dem Divan, welche sich bis jetzt um das gespannte
Verhältnis zwischen den Sextus von Eichhansen und der hessischen Linie gedreht
hatte, stockte in diesem Augenblick, und Gräfin Sibylle wandte ihre Aufmerk¬
samkeit ganz der Gruppe am Flügel zu.

Eschenburg! sagte sie nach einer Weile mit gedehntem Tone. Nicht wahr,
lieber Baron, Eschenburg nennen Sie den Herrn!

Baron Sextus sah sie verwundert an. Es lag ein Accent von Mißachtung
in der Weise, wie sie den Namen aussprach, und eine Art von mitleidigem
Herabsehen in ihrem Blick, wodurch er frappirt wurde.

Wie meinen Sie, gnädigste Gräfin? fragte er.

O, sagte sie, die Fingerspitze" der linken Hand wie im Nachsinnen der
Stirn nähernd, es kommt mir so vor, als hätte ich den Namen schon irgendwo,
wenn ich nicht irre -- ja, ganz recht, mir schwebt doch etwas vor --

Wie meinen Sie? Ist Herr Eschenburg Ihnen bekannt?

Bekannt? O nein! sagte sie.

Baron Sextus biß sich auf die Lippe. Gräfin Sibylle mußte es nicht für
eine Ehre halten, seinen Hausfreund zu kennen.

Von wem ist Herr -- Eschenburg bei Ihnen eingeführt? fragte sie. Es
schien ihr einige Mühe zu machen, den Namen auszusprechen.

Die Wahrheit zu gestehen, erwiederte der Baron, es hat ihn niemand ein¬
geführt. Er hat meiner Tochter einen Dienst erwiesen, und ich habe es für
eine Pflicht gehalten, ihm dafür zu danken.

Der Baron erzählte die kleine Geschichte, welche zu der Bekanntschaft mit
Eberhardt geführt hatte.

Gräfin Sibylle hörte aufmerksam zu, und es erschien ein Lächeln um ihren
Mund, welches von merkwürdiger Wirkung auf den Baron war. Er fing an,
indem er dies Lächeln beobachtete, sein bisheriges Benehmen gegen Eberhardt
in einem neuen Lichte zu sehen. Die Warnungen des Grafen, deren er sich


Die Grafen von Altenschwerdt.

Gegenwart. Ich fühle Ihr Wesen mich ganz durchdringen, und es ist mir
kein Raum zu einem Gedanken, der nicht der Liebe angehörte.

Er hatte jenem Platze, wo Gräfin Sibylle und der Baron saßen, den
Rücken zugekehrt, aber Dorothea vergaß nicht, diesen bedrohlichen Punkt im
Auge zu behalte», und legte jetzt den Zeigefinger bedeutsam auf die Lippen.
Sie erhalten morgen einen Brief, sagte sie schnell und leise, und fuhr dann
mit gewöhnlicher Stimme fort: Dies ist das gesuchte Heft von Schumann.

Mit diesen Worten trat sie an den Flügel und legte die Noten auf das
Pult. Graf Dietrich kam herbei, rückte ihr den Sitz vor dem Instrument zu¬
recht und sprach seine Freude darüber aus, daß sie musiziren wolle. Auch der
General und Eberhardt traten zu ihr, und sie begann nach kurzer Unterhaltung
über das zu wählende Lied mit einer Stimme, die zu Anfang nicht ganz so
sicher war wie sonst, den Vortrag des „Nußbaum."

Die Unterhaltung auf dem Divan, welche sich bis jetzt um das gespannte
Verhältnis zwischen den Sextus von Eichhansen und der hessischen Linie gedreht
hatte, stockte in diesem Augenblick, und Gräfin Sibylle wandte ihre Aufmerk¬
samkeit ganz der Gruppe am Flügel zu.

Eschenburg! sagte sie nach einer Weile mit gedehntem Tone. Nicht wahr,
lieber Baron, Eschenburg nennen Sie den Herrn!

Baron Sextus sah sie verwundert an. Es lag ein Accent von Mißachtung
in der Weise, wie sie den Namen aussprach, und eine Art von mitleidigem
Herabsehen in ihrem Blick, wodurch er frappirt wurde.

Wie meinen Sie, gnädigste Gräfin? fragte er.

O, sagte sie, die Fingerspitze» der linken Hand wie im Nachsinnen der
Stirn nähernd, es kommt mir so vor, als hätte ich den Namen schon irgendwo,
wenn ich nicht irre — ja, ganz recht, mir schwebt doch etwas vor —

Wie meinen Sie? Ist Herr Eschenburg Ihnen bekannt?

Bekannt? O nein! sagte sie.

Baron Sextus biß sich auf die Lippe. Gräfin Sibylle mußte es nicht für
eine Ehre halten, seinen Hausfreund zu kennen.

Von wem ist Herr — Eschenburg bei Ihnen eingeführt? fragte sie. Es
schien ihr einige Mühe zu machen, den Namen auszusprechen.

Die Wahrheit zu gestehen, erwiederte der Baron, es hat ihn niemand ein¬
geführt. Er hat meiner Tochter einen Dienst erwiesen, und ich habe es für
eine Pflicht gehalten, ihm dafür zu danken.

Der Baron erzählte die kleine Geschichte, welche zu der Bekanntschaft mit
Eberhardt geführt hatte.

Gräfin Sibylle hörte aufmerksam zu, und es erschien ein Lächeln um ihren
Mund, welches von merkwürdiger Wirkung auf den Baron war. Er fing an,
indem er dies Lächeln beobachtete, sein bisheriges Benehmen gegen Eberhardt
in einem neuen Lichte zu sehen. Die Warnungen des Grafen, deren er sich


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[0103] Die Grafen von Altenschwerdt. Gegenwart. Ich fühle Ihr Wesen mich ganz durchdringen, und es ist mir kein Raum zu einem Gedanken, der nicht der Liebe angehörte. Er hatte jenem Platze, wo Gräfin Sibylle und der Baron saßen, den Rücken zugekehrt, aber Dorothea vergaß nicht, diesen bedrohlichen Punkt im Auge zu behalte», und legte jetzt den Zeigefinger bedeutsam auf die Lippen. Sie erhalten morgen einen Brief, sagte sie schnell und leise, und fuhr dann mit gewöhnlicher Stimme fort: Dies ist das gesuchte Heft von Schumann. Mit diesen Worten trat sie an den Flügel und legte die Noten auf das Pult. Graf Dietrich kam herbei, rückte ihr den Sitz vor dem Instrument zu¬ recht und sprach seine Freude darüber aus, daß sie musiziren wolle. Auch der General und Eberhardt traten zu ihr, und sie begann nach kurzer Unterhaltung über das zu wählende Lied mit einer Stimme, die zu Anfang nicht ganz so sicher war wie sonst, den Vortrag des „Nußbaum." Die Unterhaltung auf dem Divan, welche sich bis jetzt um das gespannte Verhältnis zwischen den Sextus von Eichhansen und der hessischen Linie gedreht hatte, stockte in diesem Augenblick, und Gräfin Sibylle wandte ihre Aufmerk¬ samkeit ganz der Gruppe am Flügel zu. Eschenburg! sagte sie nach einer Weile mit gedehntem Tone. Nicht wahr, lieber Baron, Eschenburg nennen Sie den Herrn! Baron Sextus sah sie verwundert an. Es lag ein Accent von Mißachtung in der Weise, wie sie den Namen aussprach, und eine Art von mitleidigem Herabsehen in ihrem Blick, wodurch er frappirt wurde. Wie meinen Sie, gnädigste Gräfin? fragte er. O, sagte sie, die Fingerspitze» der linken Hand wie im Nachsinnen der Stirn nähernd, es kommt mir so vor, als hätte ich den Namen schon irgendwo, wenn ich nicht irre — ja, ganz recht, mir schwebt doch etwas vor — Wie meinen Sie? Ist Herr Eschenburg Ihnen bekannt? Bekannt? O nein! sagte sie. Baron Sextus biß sich auf die Lippe. Gräfin Sibylle mußte es nicht für eine Ehre halten, seinen Hausfreund zu kennen. Von wem ist Herr — Eschenburg bei Ihnen eingeführt? fragte sie. Es schien ihr einige Mühe zu machen, den Namen auszusprechen. Die Wahrheit zu gestehen, erwiederte der Baron, es hat ihn niemand ein¬ geführt. Er hat meiner Tochter einen Dienst erwiesen, und ich habe es für eine Pflicht gehalten, ihm dafür zu danken. Der Baron erzählte die kleine Geschichte, welche zu der Bekanntschaft mit Eberhardt geführt hatte. Gräfin Sibylle hörte aufmerksam zu, und es erschien ein Lächeln um ihren Mund, welches von merkwürdiger Wirkung auf den Baron war. Er fing an, indem er dies Lächeln beobachtete, sein bisheriges Benehmen gegen Eberhardt in einem neuen Lichte zu sehen. Die Warnungen des Grafen, deren er sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/103>, abgerufen am 03.07.2024.