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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

aus tiefstem Herzen kommenden Wunsch, daß es den wenigen Geschlechtern,
welche sich noch in alter Reinheit der Gesinnung erhalten haben, vergönnt sein
möge, den Tag zu erblicken, wo das alte Unrecht gesühnt wird!

Baron Sextus war sehr erfreut über diese Aufmerksamkeit und dachte, er
habe noch nie eine so verständige Dame getroffen. Die Frau nannte sich un¬
wissend! Er hätte gewünscht, daß im Landtage und Parlament eine solche ge¬
diegne Anschauung zur Geltung gebracht würde. Gräfin Sibylle hatte ihm aus
der Seele gesprochen. Er leerte sein Glas zugleich mit ihr, und er empfand
dabei fast eine Art von Dankbarkeit gegen den Mann, der bei Eberhard: ein¬
gebrochen war, gleich als ob derselbe die Verderbnis der gegenwärtigen Zu¬
stände und die Richtigkeit der Anschauung des Barons durch ein Beispiel deut¬
lich hätte zeigen wollen.

Als die Tafel aufgehoben ward, bot er der Gräfin den Arm und führte
sie in das anstoßende Musikzimmer, dort geleitete er sie zu einem der kleinen
zweisitzigen Divans und setzte ein für ihn so angenehmes Gespräch mit großem
Eifer fort.

Dorothea fühlte währenddessen die glühendste Sehnsucht, ein unbelauschtes
Wort mit Eberhardt auszutauschen, und wußte es auch, nachdem sie höflicher¬
weise an des Generals Arm dem ersten Paare gefolgt war, so einzurichten, daß
dies möglich wurde. Sie verflocht den jungen Grafen in eine Unterhaltung
mit dem General und begab sich darauf, Eberhardt einen Wink mit den Augen
gebend, in die Ecke des großen Gemachs, wo neben dem Flügel eine große
Auswahl von Noten aufgeschichtet war.

Helfen Sie mir doch, sagte sie, die Lieder wiederfinden, die ich am Montag
sang. Ich suche sie ganz vergeblich.

In Eberhardts blauen Augen brannte eine zärtliche Flamme, als er, über
die Noten gebeugt, zu ihr hinübersah, die, halb hinter dem seidenen Vorhang
des Fensters verborgen, seinen Blick suchte.

Sie haben mich sehr beunruhigt, flüsterte sie. Welch ein Ereignis ist dies,
von dem Sie erzählten?

Aber er schüttelte mit lächelnder Miene den Kopf. O meine geliebte Do¬
rothea, sagte er, sollte die junge Dame, von der Sie schrieben, wohl glauben,
ihre Absicht erreicht zu haben? Mich dünkt, ich habe sie niemals so sehr ge¬
eignet gesehen, die Fassung jenes Herrn zu stören. Mich dünkt, ich hätte meine
Dorothea noch niemals so reizend gesehen wie heute.

Haben Sie Zeit, so ungereimte Bemerkungen zu machen? sagte Dorothea
mit scherzenden Tadel. O mein Freund, ich zittere, und Sie machen nur
Komplimente!

Ein Blick, der stolze Zuversicht verkündigte, antwortete ihr. Es ist mir
eine solche Seligkeit, Sie zu sehen, Dorothea, sagte er mit innigem Tone, daß
ich in dieser glücklichen Minute nichts andres zu empfinden vermag als Ihre


Die Grafen von Altenschwerdt.

aus tiefstem Herzen kommenden Wunsch, daß es den wenigen Geschlechtern,
welche sich noch in alter Reinheit der Gesinnung erhalten haben, vergönnt sein
möge, den Tag zu erblicken, wo das alte Unrecht gesühnt wird!

Baron Sextus war sehr erfreut über diese Aufmerksamkeit und dachte, er
habe noch nie eine so verständige Dame getroffen. Die Frau nannte sich un¬
wissend! Er hätte gewünscht, daß im Landtage und Parlament eine solche ge¬
diegne Anschauung zur Geltung gebracht würde. Gräfin Sibylle hatte ihm aus
der Seele gesprochen. Er leerte sein Glas zugleich mit ihr, und er empfand
dabei fast eine Art von Dankbarkeit gegen den Mann, der bei Eberhard: ein¬
gebrochen war, gleich als ob derselbe die Verderbnis der gegenwärtigen Zu¬
stände und die Richtigkeit der Anschauung des Barons durch ein Beispiel deut¬
lich hätte zeigen wollen.

Als die Tafel aufgehoben ward, bot er der Gräfin den Arm und führte
sie in das anstoßende Musikzimmer, dort geleitete er sie zu einem der kleinen
zweisitzigen Divans und setzte ein für ihn so angenehmes Gespräch mit großem
Eifer fort.

Dorothea fühlte währenddessen die glühendste Sehnsucht, ein unbelauschtes
Wort mit Eberhardt auszutauschen, und wußte es auch, nachdem sie höflicher¬
weise an des Generals Arm dem ersten Paare gefolgt war, so einzurichten, daß
dies möglich wurde. Sie verflocht den jungen Grafen in eine Unterhaltung
mit dem General und begab sich darauf, Eberhardt einen Wink mit den Augen
gebend, in die Ecke des großen Gemachs, wo neben dem Flügel eine große
Auswahl von Noten aufgeschichtet war.

Helfen Sie mir doch, sagte sie, die Lieder wiederfinden, die ich am Montag
sang. Ich suche sie ganz vergeblich.

In Eberhardts blauen Augen brannte eine zärtliche Flamme, als er, über
die Noten gebeugt, zu ihr hinübersah, die, halb hinter dem seidenen Vorhang
des Fensters verborgen, seinen Blick suchte.

Sie haben mich sehr beunruhigt, flüsterte sie. Welch ein Ereignis ist dies,
von dem Sie erzählten?

Aber er schüttelte mit lächelnder Miene den Kopf. O meine geliebte Do¬
rothea, sagte er, sollte die junge Dame, von der Sie schrieben, wohl glauben,
ihre Absicht erreicht zu haben? Mich dünkt, ich habe sie niemals so sehr ge¬
eignet gesehen, die Fassung jenes Herrn zu stören. Mich dünkt, ich hätte meine
Dorothea noch niemals so reizend gesehen wie heute.

Haben Sie Zeit, so ungereimte Bemerkungen zu machen? sagte Dorothea
mit scherzenden Tadel. O mein Freund, ich zittere, und Sie machen nur
Komplimente!

Ein Blick, der stolze Zuversicht verkündigte, antwortete ihr. Es ist mir
eine solche Seligkeit, Sie zu sehen, Dorothea, sagte er mit innigem Tone, daß
ich in dieser glücklichen Minute nichts andres zu empfinden vermag als Ihre


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[0102] Die Grafen von Altenschwerdt. aus tiefstem Herzen kommenden Wunsch, daß es den wenigen Geschlechtern, welche sich noch in alter Reinheit der Gesinnung erhalten haben, vergönnt sein möge, den Tag zu erblicken, wo das alte Unrecht gesühnt wird! Baron Sextus war sehr erfreut über diese Aufmerksamkeit und dachte, er habe noch nie eine so verständige Dame getroffen. Die Frau nannte sich un¬ wissend! Er hätte gewünscht, daß im Landtage und Parlament eine solche ge¬ diegne Anschauung zur Geltung gebracht würde. Gräfin Sibylle hatte ihm aus der Seele gesprochen. Er leerte sein Glas zugleich mit ihr, und er empfand dabei fast eine Art von Dankbarkeit gegen den Mann, der bei Eberhard: ein¬ gebrochen war, gleich als ob derselbe die Verderbnis der gegenwärtigen Zu¬ stände und die Richtigkeit der Anschauung des Barons durch ein Beispiel deut¬ lich hätte zeigen wollen. Als die Tafel aufgehoben ward, bot er der Gräfin den Arm und führte sie in das anstoßende Musikzimmer, dort geleitete er sie zu einem der kleinen zweisitzigen Divans und setzte ein für ihn so angenehmes Gespräch mit großem Eifer fort. Dorothea fühlte währenddessen die glühendste Sehnsucht, ein unbelauschtes Wort mit Eberhardt auszutauschen, und wußte es auch, nachdem sie höflicher¬ weise an des Generals Arm dem ersten Paare gefolgt war, so einzurichten, daß dies möglich wurde. Sie verflocht den jungen Grafen in eine Unterhaltung mit dem General und begab sich darauf, Eberhardt einen Wink mit den Augen gebend, in die Ecke des großen Gemachs, wo neben dem Flügel eine große Auswahl von Noten aufgeschichtet war. Helfen Sie mir doch, sagte sie, die Lieder wiederfinden, die ich am Montag sang. Ich suche sie ganz vergeblich. In Eberhardts blauen Augen brannte eine zärtliche Flamme, als er, über die Noten gebeugt, zu ihr hinübersah, die, halb hinter dem seidenen Vorhang des Fensters verborgen, seinen Blick suchte. Sie haben mich sehr beunruhigt, flüsterte sie. Welch ein Ereignis ist dies, von dem Sie erzählten? Aber er schüttelte mit lächelnder Miene den Kopf. O meine geliebte Do¬ rothea, sagte er, sollte die junge Dame, von der Sie schrieben, wohl glauben, ihre Absicht erreicht zu haben? Mich dünkt, ich habe sie niemals so sehr ge¬ eignet gesehen, die Fassung jenes Herrn zu stören. Mich dünkt, ich hätte meine Dorothea noch niemals so reizend gesehen wie heute. Haben Sie Zeit, so ungereimte Bemerkungen zu machen? sagte Dorothea mit scherzenden Tadel. O mein Freund, ich zittere, und Sie machen nur Komplimente! Ein Blick, der stolze Zuversicht verkündigte, antwortete ihr. Es ist mir eine solche Seligkeit, Sie zu sehen, Dorothea, sagte er mit innigem Tone, daß ich in dieser glücklichen Minute nichts andres zu empfinden vermag als Ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/102>, abgerufen am 03.07.2024.