Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ale Grafen von Altcnschwerdt.

lachte er einem ins Gesicht! Es ist schon ein Verderb, daß überhaupt alles ge¬
richtlich gemacht wird. Wenn früher ein unnützer Bengel Kartoffeln gestohlen
oder ein grober Knecht seinen Bauern geschimpft oder gestoßen hatte, so wurden
sie vor den Herrn gebracht, gestanden in der ersten Bestürzung, erhielten alsbald
fünf Peitschenhiebe und thaten dergleichen alsbald nicht wieder. Jetzt werden
sie verhört, bekommen Fristen, um sich auf Lügen zu besinnen, und das Ende
vom Liede ist, daß sie freigesprochen werden und morgen wieder stehlen oder
schimpfen und schlage". Dazu sind ja Gefängnis und Zuchthaus, was unsre
einzigen Strafen sind, gar keine Schande mehr! Mein Wirtschaftsinspektor hatte
kürzlich eine Magd mit guten Zeugnissen auf Michaelis gemietet. Vorgestern
kommt sie und erzählt mit der größten Seelenruhe, sie könne nicht anziehen,
weil Vater und Mutter auf ein halbes Jahr ins Zuchthaus kämen und sie das
Haus verwahren müsse. Es war gerade so, als ob die braven Eltern eine Er¬
holungsreise machen wollten. Ich würde nicht aufhören, wenn ich alle die heil¬
losen Geschichten erzählen wollte, die jetzt infolge der liberalen Wirtschaft allein
auf meinen Besitzungen in diesem Jahre allein vorgekommen sind. Da hatte
mir vorigen Winter ein Lümmel fünfzig junge tragbare Pflaumenbäume abge¬
hauen und gestohlen. Alle Welt kannte den Dieb, und endlich erwischte ihn
Schmidt. Er kam ins Gefängnis zu Holzfurt, und die Untersuchung fing an.
Um aber den Wert der Bäume zu taxiren, zog das weise Gericht nicht etwa
einen Gärtner, sondern einen Zimmermann zu, und der erklärte, die Bäume
hätten eigentlich gar keinen Wert und seien nur als Brennholz zu betrachten.
Der Dieb kam infolge dessen mit Anrechnung der Untersuchungshaft davou und
hatte also noch den Vorteil einer gratis genossenen Verpflegung.

Gräfin Sibylle mußte sich während dieser langen Rede des Barons von
ihrer eigentümlichen Befangenheit wieder vollständig erholt haben, denn sie er¬
griff jetzt mit großer Ruhe das Wort, um zu erklären, daß sie die Ansichten
ihres verehrten Wirtes in allen Punkten teile. Obwohl sie nicht die staats¬
wissenschaftlicher Kenntnisse des Barons Sextus besitze, sagte sie mit einer leichten
Verbeugung gegen den alten Herrn, und obwohl sie also nicht imstande sei, das
Übel so wie er an der Wurzel zu erkennen, so sei sie doch schon durch die
Erfahrungen bei ihren Domestiken zu demselben Schlüsse gekommen, und denke
sehnsüchtig an frühere Zeiten zurück, von denen ihre Eltern ihr erzählt hätten.
Sie ergriff bei diesen Worten ihr Champagnerglas, hob es empor mit der
energisch geschnittenen Hand, an deren Gelenk eine dreimal gewundene goldene
Schlange mit Rubiuaugen und Diamantenkrone glänzte, und sagte, den Baron
mit einem verbindlichen Lächeln fixirend: Meine Meinung, freilich nur die An¬
sicht einer unwissenden Frau, ist die, daß die Wurzel alles Übels das Unrecht
ist, welches man dem Adel that, indem man ihm seine ihm von Gott gegebene
Stellung nahm. Wenn ich daher jetzt unserm liebenswürdigen und gütigen Wirt
meinen Dank für freundliche Aufnahme ausspreche, so verbinde ich damit den


Ale Grafen von Altcnschwerdt.

lachte er einem ins Gesicht! Es ist schon ein Verderb, daß überhaupt alles ge¬
richtlich gemacht wird. Wenn früher ein unnützer Bengel Kartoffeln gestohlen
oder ein grober Knecht seinen Bauern geschimpft oder gestoßen hatte, so wurden
sie vor den Herrn gebracht, gestanden in der ersten Bestürzung, erhielten alsbald
fünf Peitschenhiebe und thaten dergleichen alsbald nicht wieder. Jetzt werden
sie verhört, bekommen Fristen, um sich auf Lügen zu besinnen, und das Ende
vom Liede ist, daß sie freigesprochen werden und morgen wieder stehlen oder
schimpfen und schlage». Dazu sind ja Gefängnis und Zuchthaus, was unsre
einzigen Strafen sind, gar keine Schande mehr! Mein Wirtschaftsinspektor hatte
kürzlich eine Magd mit guten Zeugnissen auf Michaelis gemietet. Vorgestern
kommt sie und erzählt mit der größten Seelenruhe, sie könne nicht anziehen,
weil Vater und Mutter auf ein halbes Jahr ins Zuchthaus kämen und sie das
Haus verwahren müsse. Es war gerade so, als ob die braven Eltern eine Er¬
holungsreise machen wollten. Ich würde nicht aufhören, wenn ich alle die heil¬
losen Geschichten erzählen wollte, die jetzt infolge der liberalen Wirtschaft allein
auf meinen Besitzungen in diesem Jahre allein vorgekommen sind. Da hatte
mir vorigen Winter ein Lümmel fünfzig junge tragbare Pflaumenbäume abge¬
hauen und gestohlen. Alle Welt kannte den Dieb, und endlich erwischte ihn
Schmidt. Er kam ins Gefängnis zu Holzfurt, und die Untersuchung fing an.
Um aber den Wert der Bäume zu taxiren, zog das weise Gericht nicht etwa
einen Gärtner, sondern einen Zimmermann zu, und der erklärte, die Bäume
hätten eigentlich gar keinen Wert und seien nur als Brennholz zu betrachten.
Der Dieb kam infolge dessen mit Anrechnung der Untersuchungshaft davou und
hatte also noch den Vorteil einer gratis genossenen Verpflegung.

Gräfin Sibylle mußte sich während dieser langen Rede des Barons von
ihrer eigentümlichen Befangenheit wieder vollständig erholt haben, denn sie er¬
griff jetzt mit großer Ruhe das Wort, um zu erklären, daß sie die Ansichten
ihres verehrten Wirtes in allen Punkten teile. Obwohl sie nicht die staats¬
wissenschaftlicher Kenntnisse des Barons Sextus besitze, sagte sie mit einer leichten
Verbeugung gegen den alten Herrn, und obwohl sie also nicht imstande sei, das
Übel so wie er an der Wurzel zu erkennen, so sei sie doch schon durch die
Erfahrungen bei ihren Domestiken zu demselben Schlüsse gekommen, und denke
sehnsüchtig an frühere Zeiten zurück, von denen ihre Eltern ihr erzählt hätten.
Sie ergriff bei diesen Worten ihr Champagnerglas, hob es empor mit der
energisch geschnittenen Hand, an deren Gelenk eine dreimal gewundene goldene
Schlange mit Rubiuaugen und Diamantenkrone glänzte, und sagte, den Baron
mit einem verbindlichen Lächeln fixirend: Meine Meinung, freilich nur die An¬
sicht einer unwissenden Frau, ist die, daß die Wurzel alles Übels das Unrecht
ist, welches man dem Adel that, indem man ihm seine ihm von Gott gegebene
Stellung nahm. Wenn ich daher jetzt unserm liebenswürdigen und gütigen Wirt
meinen Dank für freundliche Aufnahme ausspreche, so verbinde ich damit den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152858"/>
            <fw type="header" place="top"> Ale Grafen von Altcnschwerdt.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_358" prev="#ID_357"> lachte er einem ins Gesicht! Es ist schon ein Verderb, daß überhaupt alles ge¬<lb/>
richtlich gemacht wird. Wenn früher ein unnützer Bengel Kartoffeln gestohlen<lb/>
oder ein grober Knecht seinen Bauern geschimpft oder gestoßen hatte, so wurden<lb/>
sie vor den Herrn gebracht, gestanden in der ersten Bestürzung, erhielten alsbald<lb/>
fünf Peitschenhiebe und thaten dergleichen alsbald nicht wieder. Jetzt werden<lb/>
sie verhört, bekommen Fristen, um sich auf Lügen zu besinnen, und das Ende<lb/>
vom Liede ist, daß sie freigesprochen werden und morgen wieder stehlen oder<lb/>
schimpfen und schlage». Dazu sind ja Gefängnis und Zuchthaus, was unsre<lb/>
einzigen Strafen sind, gar keine Schande mehr! Mein Wirtschaftsinspektor hatte<lb/>
kürzlich eine Magd mit guten Zeugnissen auf Michaelis gemietet. Vorgestern<lb/>
kommt sie und erzählt mit der größten Seelenruhe, sie könne nicht anziehen,<lb/>
weil Vater und Mutter auf ein halbes Jahr ins Zuchthaus kämen und sie das<lb/>
Haus verwahren müsse. Es war gerade so, als ob die braven Eltern eine Er¬<lb/>
holungsreise machen wollten. Ich würde nicht aufhören, wenn ich alle die heil¬<lb/>
losen Geschichten erzählen wollte, die jetzt infolge der liberalen Wirtschaft allein<lb/>
auf meinen Besitzungen in diesem Jahre allein vorgekommen sind. Da hatte<lb/>
mir vorigen Winter ein Lümmel fünfzig junge tragbare Pflaumenbäume abge¬<lb/>
hauen und gestohlen. Alle Welt kannte den Dieb, und endlich erwischte ihn<lb/>
Schmidt. Er kam ins Gefängnis zu Holzfurt, und die Untersuchung fing an.<lb/>
Um aber den Wert der Bäume zu taxiren, zog das weise Gericht nicht etwa<lb/>
einen Gärtner, sondern einen Zimmermann zu, und der erklärte, die Bäume<lb/>
hätten eigentlich gar keinen Wert und seien nur als Brennholz zu betrachten.<lb/>
Der Dieb kam infolge dessen mit Anrechnung der Untersuchungshaft davou und<lb/>
hatte also noch den Vorteil einer gratis genossenen Verpflegung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_359" next="#ID_360"> Gräfin Sibylle mußte sich während dieser langen Rede des Barons von<lb/>
ihrer eigentümlichen Befangenheit wieder vollständig erholt haben, denn sie er¬<lb/>
griff jetzt mit großer Ruhe das Wort, um zu erklären, daß sie die Ansichten<lb/>
ihres verehrten Wirtes in allen Punkten teile. Obwohl sie nicht die staats¬<lb/>
wissenschaftlicher Kenntnisse des Barons Sextus besitze, sagte sie mit einer leichten<lb/>
Verbeugung gegen den alten Herrn, und obwohl sie also nicht imstande sei, das<lb/>
Übel so wie er an der Wurzel zu erkennen, so sei sie doch schon durch die<lb/>
Erfahrungen bei ihren Domestiken zu demselben Schlüsse gekommen, und denke<lb/>
sehnsüchtig an frühere Zeiten zurück, von denen ihre Eltern ihr erzählt hätten.<lb/>
Sie ergriff bei diesen Worten ihr Champagnerglas, hob es empor mit der<lb/>
energisch geschnittenen Hand, an deren Gelenk eine dreimal gewundene goldene<lb/>
Schlange mit Rubiuaugen und Diamantenkrone glänzte, und sagte, den Baron<lb/>
mit einem verbindlichen Lächeln fixirend: Meine Meinung, freilich nur die An¬<lb/>
sicht einer unwissenden Frau, ist die, daß die Wurzel alles Übels das Unrecht<lb/>
ist, welches man dem Adel that, indem man ihm seine ihm von Gott gegebene<lb/>
Stellung nahm. Wenn ich daher jetzt unserm liebenswürdigen und gütigen Wirt<lb/>
meinen Dank für freundliche Aufnahme ausspreche, so verbinde ich damit den</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0101] Ale Grafen von Altcnschwerdt. lachte er einem ins Gesicht! Es ist schon ein Verderb, daß überhaupt alles ge¬ richtlich gemacht wird. Wenn früher ein unnützer Bengel Kartoffeln gestohlen oder ein grober Knecht seinen Bauern geschimpft oder gestoßen hatte, so wurden sie vor den Herrn gebracht, gestanden in der ersten Bestürzung, erhielten alsbald fünf Peitschenhiebe und thaten dergleichen alsbald nicht wieder. Jetzt werden sie verhört, bekommen Fristen, um sich auf Lügen zu besinnen, und das Ende vom Liede ist, daß sie freigesprochen werden und morgen wieder stehlen oder schimpfen und schlage». Dazu sind ja Gefängnis und Zuchthaus, was unsre einzigen Strafen sind, gar keine Schande mehr! Mein Wirtschaftsinspektor hatte kürzlich eine Magd mit guten Zeugnissen auf Michaelis gemietet. Vorgestern kommt sie und erzählt mit der größten Seelenruhe, sie könne nicht anziehen, weil Vater und Mutter auf ein halbes Jahr ins Zuchthaus kämen und sie das Haus verwahren müsse. Es war gerade so, als ob die braven Eltern eine Er¬ holungsreise machen wollten. Ich würde nicht aufhören, wenn ich alle die heil¬ losen Geschichten erzählen wollte, die jetzt infolge der liberalen Wirtschaft allein auf meinen Besitzungen in diesem Jahre allein vorgekommen sind. Da hatte mir vorigen Winter ein Lümmel fünfzig junge tragbare Pflaumenbäume abge¬ hauen und gestohlen. Alle Welt kannte den Dieb, und endlich erwischte ihn Schmidt. Er kam ins Gefängnis zu Holzfurt, und die Untersuchung fing an. Um aber den Wert der Bäume zu taxiren, zog das weise Gericht nicht etwa einen Gärtner, sondern einen Zimmermann zu, und der erklärte, die Bäume hätten eigentlich gar keinen Wert und seien nur als Brennholz zu betrachten. Der Dieb kam infolge dessen mit Anrechnung der Untersuchungshaft davou und hatte also noch den Vorteil einer gratis genossenen Verpflegung. Gräfin Sibylle mußte sich während dieser langen Rede des Barons von ihrer eigentümlichen Befangenheit wieder vollständig erholt haben, denn sie er¬ griff jetzt mit großer Ruhe das Wort, um zu erklären, daß sie die Ansichten ihres verehrten Wirtes in allen Punkten teile. Obwohl sie nicht die staats¬ wissenschaftlicher Kenntnisse des Barons Sextus besitze, sagte sie mit einer leichten Verbeugung gegen den alten Herrn, und obwohl sie also nicht imstande sei, das Übel so wie er an der Wurzel zu erkennen, so sei sie doch schon durch die Erfahrungen bei ihren Domestiken zu demselben Schlüsse gekommen, und denke sehnsüchtig an frühere Zeiten zurück, von denen ihre Eltern ihr erzählt hätten. Sie ergriff bei diesen Worten ihr Champagnerglas, hob es empor mit der energisch geschnittenen Hand, an deren Gelenk eine dreimal gewundene goldene Schlange mit Rubiuaugen und Diamantenkrone glänzte, und sagte, den Baron mit einem verbindlichen Lächeln fixirend: Meine Meinung, freilich nur die An¬ sicht einer unwissenden Frau, ist die, daß die Wurzel alles Übels das Unrecht ist, welches man dem Adel that, indem man ihm seine ihm von Gott gegebene Stellung nahm. Wenn ich daher jetzt unserm liebenswürdigen und gütigen Wirt meinen Dank für freundliche Aufnahme ausspreche, so verbinde ich damit den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/101
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/101>, abgerufen am 03.07.2024.