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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

wenn ich Romeo und Julia las, daß es besser sein muß, es so zu erleben wie
sie, anstatt sich schließlich gleich den meisten Menschen zu Tode zu langweilen.

Du bist wirklich ein gedankenloses Geschöpf, Millicent, sagte Dorothea
kopfschüttelnd. Wie du hin und her schwatzest, und mit so wenig Verstand!
Bist du nicht immer noch dasselbe Mädchen, das einstmals Essig trank, um
blaß zu werden, anstatt Gott für seine gute Gesundheit zu danken? Ich darf
dir den Byron und Shakspcre nicht mehr in die Hand geben, wenn du so
unsinnige Ideen daraus ziehst. Und nun gestehe einmal ernsthaft: Hast du
nicht Degeuhard veranlaßt, ganz unberufen den Figaro zu spielen?

Wahrhaftig, ich weiß nicht, wovon du redest, sagte Millicent mit schelmi¬
schem Gesicht. Sollte der gute, ehrliche Degenhard ein solches Talent entwickelt
haben? Wem zu Gefallen hat er es denn gethan?

Geh, du bist ein listiges Geschöpf. Und ich fange an zu merken, worauf
du hinaus willst. Du redest so widersprechend, weil du wissen möchtest, was
ich denke.

Und ist das ein Geheimnis? Und ein wissenswertes dazu? Doch nein,
teuerste Dorothea, ich will nicht mit dir Versteckens spielen. Habe ich doch deut¬
lich gesehen, daß dich etwas bewegt, und bin ich doch nicht unklar darüber,
was es ist. Aber ich könnte dir wohl etwas böse sein, daß du mich nicht zur
Vertrauten gemacht hast, obwohl du weißt, daß ich keinen sehnlicheren Wunsch
habe, als dich glücklich zu sehen. Es ist nicht hübsch von dir, siehst du, daß du
mir kein Wort sagst. Ich habe ja wohl gesehen, daß Herr Eschenburg rein
weg ist in dich, und daß du ihn auch nicht gleichgiltig ansehen kannst. Aber
was du davon denkst, das hättest du mir wohl sagen dürfen!

Ach, meine Millicent, meine Millicent! rief Dorothea, ihre Arme in einer
plötzlichen stürmischen Bewegung um der Freundin Hals schlingend. Du glaubst
wohl, mich zu kennen, aber du kennst doch nicht dies Herz, das an dem deinen
schlägt. Kenne ich es doch selbst erst seit wenigen Tagen! Es ist zu empfind¬
lich, ich fühle es wie von einer fremden Gewalt dahingeführt, ohne daß ich es
zu beherrschen vermag, und mich überwältigt die Gewißheit, daß es glücklich
werden oder brechen muß!

O Liebste! sagte Millicent, Thränen über den Ausbruch der Freundin ver¬
gießend. Ich keime dich wohl, und jetzt erst sehe ich klar, wie ich dich mit
meinen dummen Phantasten gepeinigt habe. Aber sei nicht traurig, laß dich
nicht von trüben Gedanken, die ich erst hervorgerufen habe, unglücklich machen.
Warum nicht heiter in die Zukunft sehen? Vertraue auf die Macht der Liebe,
wie ich auf deinen starken Sinn vertraue.

Ach, es ist heute kein guter Tag, sagte Dorothea. Der gestrige war zu
schön, und ich werde ihn wohl teuer bezahlen müssen! Ich weiß nicht -- heute
ängstigt mich alles. Ich denke, es ist keine gute Vorbedeutung, daß zu Anfang
alles so glücklich verläuft. Es giebt Zeiten, wo ich abergläubisch bin, und ich


Die Grafen von Altenschwerdt.

wenn ich Romeo und Julia las, daß es besser sein muß, es so zu erleben wie
sie, anstatt sich schließlich gleich den meisten Menschen zu Tode zu langweilen.

Du bist wirklich ein gedankenloses Geschöpf, Millicent, sagte Dorothea
kopfschüttelnd. Wie du hin und her schwatzest, und mit so wenig Verstand!
Bist du nicht immer noch dasselbe Mädchen, das einstmals Essig trank, um
blaß zu werden, anstatt Gott für seine gute Gesundheit zu danken? Ich darf
dir den Byron und Shakspcre nicht mehr in die Hand geben, wenn du so
unsinnige Ideen daraus ziehst. Und nun gestehe einmal ernsthaft: Hast du
nicht Degeuhard veranlaßt, ganz unberufen den Figaro zu spielen?

Wahrhaftig, ich weiß nicht, wovon du redest, sagte Millicent mit schelmi¬
schem Gesicht. Sollte der gute, ehrliche Degenhard ein solches Talent entwickelt
haben? Wem zu Gefallen hat er es denn gethan?

Geh, du bist ein listiges Geschöpf. Und ich fange an zu merken, worauf
du hinaus willst. Du redest so widersprechend, weil du wissen möchtest, was
ich denke.

Und ist das ein Geheimnis? Und ein wissenswertes dazu? Doch nein,
teuerste Dorothea, ich will nicht mit dir Versteckens spielen. Habe ich doch deut¬
lich gesehen, daß dich etwas bewegt, und bin ich doch nicht unklar darüber,
was es ist. Aber ich könnte dir wohl etwas böse sein, daß du mich nicht zur
Vertrauten gemacht hast, obwohl du weißt, daß ich keinen sehnlicheren Wunsch
habe, als dich glücklich zu sehen. Es ist nicht hübsch von dir, siehst du, daß du
mir kein Wort sagst. Ich habe ja wohl gesehen, daß Herr Eschenburg rein
weg ist in dich, und daß du ihn auch nicht gleichgiltig ansehen kannst. Aber
was du davon denkst, das hättest du mir wohl sagen dürfen!

Ach, meine Millicent, meine Millicent! rief Dorothea, ihre Arme in einer
plötzlichen stürmischen Bewegung um der Freundin Hals schlingend. Du glaubst
wohl, mich zu kennen, aber du kennst doch nicht dies Herz, das an dem deinen
schlägt. Kenne ich es doch selbst erst seit wenigen Tagen! Es ist zu empfind¬
lich, ich fühle es wie von einer fremden Gewalt dahingeführt, ohne daß ich es
zu beherrschen vermag, und mich überwältigt die Gewißheit, daß es glücklich
werden oder brechen muß!

O Liebste! sagte Millicent, Thränen über den Ausbruch der Freundin ver¬
gießend. Ich keime dich wohl, und jetzt erst sehe ich klar, wie ich dich mit
meinen dummen Phantasten gepeinigt habe. Aber sei nicht traurig, laß dich
nicht von trüben Gedanken, die ich erst hervorgerufen habe, unglücklich machen.
Warum nicht heiter in die Zukunft sehen? Vertraue auf die Macht der Liebe,
wie ich auf deinen starken Sinn vertraue.

Ach, es ist heute kein guter Tag, sagte Dorothea. Der gestrige war zu
schön, und ich werde ihn wohl teuer bezahlen müssen! Ich weiß nicht — heute
ängstigt mich alles. Ich denke, es ist keine gute Vorbedeutung, daß zu Anfang
alles so glücklich verläuft. Es giebt Zeiten, wo ich abergläubisch bin, und ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/712>, abgerufen am 29.06.2024.