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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerot.

habe heute wieder meinen alten Glauben, daß die Dinge besser verlaufen, wenn
sie zu Anfang Mißgeschick haben. Das anfängliche Stocken schien mir immer
einen guten Gang für später zu verkünden. Doch genug, ich will mich be¬
zwingen. Hat sich doch nichts ereignet, was mich betrüben könnte, und nur ein
reines Phantasiegebilde ist es, was mich quält.

Sie versuchte ein heiteres Gesicht zu machen und hörte mit scheinbarer
Aufmerksamkeit dem Gespräch der Freundin zu, die sich alle Mühe gab, Ergötz¬
liches aufzutischen und durch die eigne gute Laune ihre Stimmung zu verbessern.
Aber es ließ sich ein gewisses Bangen nicht ganz ersticken, und weder dieser
Tag noch der folgende Morgen wollte die alte Fröhlichkeit ungetrübt auf¬
kommen lassen.

An diesem Tage, welcher zum Empfang der Gäste bestimmt worden war,
zog sich Dorothea bald nach dem Essen auf ihr Zimmer zurück und beschäftigte
sich mit einer Stickerei, während Millicent, auf dem Altan sitzend, auch ihrer¬
seits schweigend ihren Gedanken nachhing.

Millicent dachte darüber nach, welch wundervoll romantisches Verhältnis
sich in ihrer nächsten Umgebung angesponnen habe. Wenn wirklich eine ernst¬
hafte, heiße Liebe zwischen Dorothea und dem schönen Maler entbrannt war,
dann wollte sie, Millicent. alles thun, was in ihren Kräften stünde, um die
Sache zu fördern. Sie kannte den Charakter des Barons und die in Schloß
Eichhauscn herrschenden Grundsätze genau genug, um zu wissen, daß diese Liebe
zum mindesten ebensoviel Schwierigkeiten auf ihrem Wege finden müsse wie die
Liebe irgend eines der beneidenswerten Paare, welche in den ihr liebsten Liebes¬
geschichten leiden und kämpfen, bevor der herrlichste Sieg ihre unerschütterliche
Treue krönt. Ihre lebhafte Phantasie spiegelte ihr heimliche Zusammenkünfte,
verborgene Ausgänge, versteckte Briefe und Schlüssel, zitternde Flucht und herz¬
erschütternde Thränenströme vor, und sie beschloß, auf alle Fälle sich als eine
Freundin und Gehilfin zu erweisen, der selbst die ärgsten Folterinstrumente das
anvertraute Geheimnis nicht aus dem Busen reißen sollten.

Während sie so ihrer lebendigen Einbildungskrast freien Lauf ließ und
hinaus in die Landschaft blickte, die in der Ferne mit dem leichten Luftmeere
verschwamm, ward ihre Aufmerksamkeit auf den von Fischbeck zurückkehrenden
Wagen des Barons gelenkt, der aus dem Walde auftauchte und in schnellem
Trabe ans dem Wege zum Schlosse näherkam. Sie zeigte Dorothea die Er¬
scheinung und ergriff zugleich ein Opernglas, um besser sehen zu können, wie
der Besuch sich ausnähme. Auch Dorothea blickte mit einer gewissen Spannung
hinab. Das eigentümliche Gefühl, welches sie schon gestern bei Ankündigung
der Gräfin Altenschwerdt und ihres Sohnes überkommen hatte, machte sich von
neuem und noch stärker geltend, als die Gäste so nahe waren, und allen ver¬
ständigen Überlegungen zum Trotz durchzuckte sie plötzlich eine Ahnung, daß der
junge Mann, der dort heranrollte, in einer für sie nicht gleichgiltigen Absicht komme.


Grenzboten I. 1833. 89
Die Grafen von Altenschwerot.

habe heute wieder meinen alten Glauben, daß die Dinge besser verlaufen, wenn
sie zu Anfang Mißgeschick haben. Das anfängliche Stocken schien mir immer
einen guten Gang für später zu verkünden. Doch genug, ich will mich be¬
zwingen. Hat sich doch nichts ereignet, was mich betrüben könnte, und nur ein
reines Phantasiegebilde ist es, was mich quält.

Sie versuchte ein heiteres Gesicht zu machen und hörte mit scheinbarer
Aufmerksamkeit dem Gespräch der Freundin zu, die sich alle Mühe gab, Ergötz¬
liches aufzutischen und durch die eigne gute Laune ihre Stimmung zu verbessern.
Aber es ließ sich ein gewisses Bangen nicht ganz ersticken, und weder dieser
Tag noch der folgende Morgen wollte die alte Fröhlichkeit ungetrübt auf¬
kommen lassen.

An diesem Tage, welcher zum Empfang der Gäste bestimmt worden war,
zog sich Dorothea bald nach dem Essen auf ihr Zimmer zurück und beschäftigte
sich mit einer Stickerei, während Millicent, auf dem Altan sitzend, auch ihrer¬
seits schweigend ihren Gedanken nachhing.

Millicent dachte darüber nach, welch wundervoll romantisches Verhältnis
sich in ihrer nächsten Umgebung angesponnen habe. Wenn wirklich eine ernst¬
hafte, heiße Liebe zwischen Dorothea und dem schönen Maler entbrannt war,
dann wollte sie, Millicent. alles thun, was in ihren Kräften stünde, um die
Sache zu fördern. Sie kannte den Charakter des Barons und die in Schloß
Eichhauscn herrschenden Grundsätze genau genug, um zu wissen, daß diese Liebe
zum mindesten ebensoviel Schwierigkeiten auf ihrem Wege finden müsse wie die
Liebe irgend eines der beneidenswerten Paare, welche in den ihr liebsten Liebes¬
geschichten leiden und kämpfen, bevor der herrlichste Sieg ihre unerschütterliche
Treue krönt. Ihre lebhafte Phantasie spiegelte ihr heimliche Zusammenkünfte,
verborgene Ausgänge, versteckte Briefe und Schlüssel, zitternde Flucht und herz¬
erschütternde Thränenströme vor, und sie beschloß, auf alle Fälle sich als eine
Freundin und Gehilfin zu erweisen, der selbst die ärgsten Folterinstrumente das
anvertraute Geheimnis nicht aus dem Busen reißen sollten.

Während sie so ihrer lebendigen Einbildungskrast freien Lauf ließ und
hinaus in die Landschaft blickte, die in der Ferne mit dem leichten Luftmeere
verschwamm, ward ihre Aufmerksamkeit auf den von Fischbeck zurückkehrenden
Wagen des Barons gelenkt, der aus dem Walde auftauchte und in schnellem
Trabe ans dem Wege zum Schlosse näherkam. Sie zeigte Dorothea die Er¬
scheinung und ergriff zugleich ein Opernglas, um besser sehen zu können, wie
der Besuch sich ausnähme. Auch Dorothea blickte mit einer gewissen Spannung
hinab. Das eigentümliche Gefühl, welches sie schon gestern bei Ankündigung
der Gräfin Altenschwerdt und ihres Sohnes überkommen hatte, machte sich von
neuem und noch stärker geltend, als die Gäste so nahe waren, und allen ver¬
ständigen Überlegungen zum Trotz durchzuckte sie plötzlich eine Ahnung, daß der
junge Mann, der dort heranrollte, in einer für sie nicht gleichgiltigen Absicht komme.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/713>, abgerufen am 26.06.2024.