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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschmedtr,

denen, süßen Wildnis lebte, wie diese armen, verfolgten Matrosen auf der Insel,
da wäre ich so selig, daß ich gern alles, alles auf der Welt hingäbe! Es muß
doch etwas schönes sein um entsetzliche Hindernisse, die der Liebe im Wege
stehen, und eine unglückliche Liebe muß himmlisch sein!

Danke Gott, wenn du es nicht erfährst, sagte Dorothea. Übrigens denke
ich, du hast deine Hindernisse. Ist denn nicht dein Bruder Rudolf, ist nicht
deine ganze Familie gegen dein Verhältnis zu Degenhard? Besucht er nicht
ganz heimlich das Schloß?

Ja, das ist schon wahr, aber ich mache mir nicht viel aus diesen Hinder¬
nissen. Denn siehst du, Dorothea, wenn das Schlimmste zum Argen kommt,
lache ich die ganze Gesellschaft aus, nehme Degenhard an der Hand, heirate
ihn und ziehe mit ihm nach Holzfurt oder sonst wohin, und wir fangen eine
Gärtnerei an. Was wir brauchen, verdienen wir leicht, und wir haben nicht
nötig, irgend jemand um seine Gnade anzugehen. Aber als vornehme Dame
einen armen Künstler zu lieben, ihn aller Welt zum Trotz zu lieben und mit
ihm zusammen zu Grunde zu gehen, das ist poetisch.

Millicent mochte wohl auf eine scherzende Entgegnung gerechnet haben und
hatte sicher nicht beabsichtigt, die Freundin zu betrüben. So war sie denn sehr
erschrocken, als sie bemerkte, daß zwei große Thränen sich in Dorotheens Augen
drängten und ihre Miene vom Ernst zur Wehmut überging.

Meine liebste, beste Dorothea, rief sie flehend, indem sie von ihrem niedrigen
Sitz aus die Knie niederglitt und beide Hände der Betrübten ergriff, verzeihe
mir mein unbesonnenes Geschwätz! Wie konnte ich nur solches Zeug vorbringen!-
Gewiß, du bist mir nun böse, und ich selbst werde mir noch weniger verzeihen
als du es kannst.

Dorothea trocknete ihre Augen und sah halb lächelnd, halb traurig in das
volle, blühende, von üppiger, blonder Haarflut umkränzte Gesicht herunter.

Meinst du, es wäre noch nötig, in der Phantasie so schreckliche Dinge sich
auszumalen, du thörichtes Kind? sagte sie. Denkst du nicht an ein gewisses
Sprichwort vom Teufel? Ach, ich bin überzeugt, meine liebe Millicent, daß
es im täglichen Leben Tragödien giebt, die so schrecklich sind, wie nur irgend
eine von denen, die wir auf der Bühne sehen und in den Gedichtsammlungen
finden. Und wenn wir sie erleben sollten, wovor uns der gütige Himmel be¬
wahren möge, dann würden wir sie wohl nicht mehr romantisch, poetisch und
entzückend finden.

Millicent machte eine Bewegung mit ihrer Hand, als wollte sie ein zu¬
dringliches Insekt verjagen, und sagte mit munterm Tone: Fort mit den Grillen!
Ich lobe mir immer frisch vorwärts zu gehen. Nehmen wir die Tage, wie sie
kommen! Ich habe einmal gehört, daß man leicht über einen kleinen Stein
stolpern kann, wenn man nur in die Ferne sieht. Und du bist doch sonst auch
nicht zu so trübseligen Betrachtungen aufgelegt. Ich habe mir immer gedacht,


Die Grafen von Altenschmedtr,

denen, süßen Wildnis lebte, wie diese armen, verfolgten Matrosen auf der Insel,
da wäre ich so selig, daß ich gern alles, alles auf der Welt hingäbe! Es muß
doch etwas schönes sein um entsetzliche Hindernisse, die der Liebe im Wege
stehen, und eine unglückliche Liebe muß himmlisch sein!

Danke Gott, wenn du es nicht erfährst, sagte Dorothea. Übrigens denke
ich, du hast deine Hindernisse. Ist denn nicht dein Bruder Rudolf, ist nicht
deine ganze Familie gegen dein Verhältnis zu Degenhard? Besucht er nicht
ganz heimlich das Schloß?

Ja, das ist schon wahr, aber ich mache mir nicht viel aus diesen Hinder¬
nissen. Denn siehst du, Dorothea, wenn das Schlimmste zum Argen kommt,
lache ich die ganze Gesellschaft aus, nehme Degenhard an der Hand, heirate
ihn und ziehe mit ihm nach Holzfurt oder sonst wohin, und wir fangen eine
Gärtnerei an. Was wir brauchen, verdienen wir leicht, und wir haben nicht
nötig, irgend jemand um seine Gnade anzugehen. Aber als vornehme Dame
einen armen Künstler zu lieben, ihn aller Welt zum Trotz zu lieben und mit
ihm zusammen zu Grunde zu gehen, das ist poetisch.

Millicent mochte wohl auf eine scherzende Entgegnung gerechnet haben und
hatte sicher nicht beabsichtigt, die Freundin zu betrüben. So war sie denn sehr
erschrocken, als sie bemerkte, daß zwei große Thränen sich in Dorotheens Augen
drängten und ihre Miene vom Ernst zur Wehmut überging.

Meine liebste, beste Dorothea, rief sie flehend, indem sie von ihrem niedrigen
Sitz aus die Knie niederglitt und beide Hände der Betrübten ergriff, verzeihe
mir mein unbesonnenes Geschwätz! Wie konnte ich nur solches Zeug vorbringen!-
Gewiß, du bist mir nun böse, und ich selbst werde mir noch weniger verzeihen
als du es kannst.

Dorothea trocknete ihre Augen und sah halb lächelnd, halb traurig in das
volle, blühende, von üppiger, blonder Haarflut umkränzte Gesicht herunter.

Meinst du, es wäre noch nötig, in der Phantasie so schreckliche Dinge sich
auszumalen, du thörichtes Kind? sagte sie. Denkst du nicht an ein gewisses
Sprichwort vom Teufel? Ach, ich bin überzeugt, meine liebe Millicent, daß
es im täglichen Leben Tragödien giebt, die so schrecklich sind, wie nur irgend
eine von denen, die wir auf der Bühne sehen und in den Gedichtsammlungen
finden. Und wenn wir sie erleben sollten, wovor uns der gütige Himmel be¬
wahren möge, dann würden wir sie wohl nicht mehr romantisch, poetisch und
entzückend finden.

Millicent machte eine Bewegung mit ihrer Hand, als wollte sie ein zu¬
dringliches Insekt verjagen, und sagte mit munterm Tone: Fort mit den Grillen!
Ich lobe mir immer frisch vorwärts zu gehen. Nehmen wir die Tage, wie sie
kommen! Ich habe einmal gehört, daß man leicht über einen kleinen Stein
stolpern kann, wenn man nur in die Ferne sieht. Und du bist doch sonst auch
nicht zu so trübseligen Betrachtungen aufgelegt. Ich habe mir immer gedacht,


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[0711] Die Grafen von Altenschmedtr, denen, süßen Wildnis lebte, wie diese armen, verfolgten Matrosen auf der Insel, da wäre ich so selig, daß ich gern alles, alles auf der Welt hingäbe! Es muß doch etwas schönes sein um entsetzliche Hindernisse, die der Liebe im Wege stehen, und eine unglückliche Liebe muß himmlisch sein! Danke Gott, wenn du es nicht erfährst, sagte Dorothea. Übrigens denke ich, du hast deine Hindernisse. Ist denn nicht dein Bruder Rudolf, ist nicht deine ganze Familie gegen dein Verhältnis zu Degenhard? Besucht er nicht ganz heimlich das Schloß? Ja, das ist schon wahr, aber ich mache mir nicht viel aus diesen Hinder¬ nissen. Denn siehst du, Dorothea, wenn das Schlimmste zum Argen kommt, lache ich die ganze Gesellschaft aus, nehme Degenhard an der Hand, heirate ihn und ziehe mit ihm nach Holzfurt oder sonst wohin, und wir fangen eine Gärtnerei an. Was wir brauchen, verdienen wir leicht, und wir haben nicht nötig, irgend jemand um seine Gnade anzugehen. Aber als vornehme Dame einen armen Künstler zu lieben, ihn aller Welt zum Trotz zu lieben und mit ihm zusammen zu Grunde zu gehen, das ist poetisch. Millicent mochte wohl auf eine scherzende Entgegnung gerechnet haben und hatte sicher nicht beabsichtigt, die Freundin zu betrüben. So war sie denn sehr erschrocken, als sie bemerkte, daß zwei große Thränen sich in Dorotheens Augen drängten und ihre Miene vom Ernst zur Wehmut überging. Meine liebste, beste Dorothea, rief sie flehend, indem sie von ihrem niedrigen Sitz aus die Knie niederglitt und beide Hände der Betrübten ergriff, verzeihe mir mein unbesonnenes Geschwätz! Wie konnte ich nur solches Zeug vorbringen!- Gewiß, du bist mir nun böse, und ich selbst werde mir noch weniger verzeihen als du es kannst. Dorothea trocknete ihre Augen und sah halb lächelnd, halb traurig in das volle, blühende, von üppiger, blonder Haarflut umkränzte Gesicht herunter. Meinst du, es wäre noch nötig, in der Phantasie so schreckliche Dinge sich auszumalen, du thörichtes Kind? sagte sie. Denkst du nicht an ein gewisses Sprichwort vom Teufel? Ach, ich bin überzeugt, meine liebe Millicent, daß es im täglichen Leben Tragödien giebt, die so schrecklich sind, wie nur irgend eine von denen, die wir auf der Bühne sehen und in den Gedichtsammlungen finden. Und wenn wir sie erleben sollten, wovor uns der gütige Himmel be¬ wahren möge, dann würden wir sie wohl nicht mehr romantisch, poetisch und entzückend finden. Millicent machte eine Bewegung mit ihrer Hand, als wollte sie ein zu¬ dringliches Insekt verjagen, und sagte mit munterm Tone: Fort mit den Grillen! Ich lobe mir immer frisch vorwärts zu gehen. Nehmen wir die Tage, wie sie kommen! Ich habe einmal gehört, daß man leicht über einen kleinen Stein stolpern kann, wenn man nur in die Ferne sieht. Und du bist doch sonst auch nicht zu so trübseligen Betrachtungen aufgelegt. Ich habe mir immer gedacht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/711>, abgerufen am 01.07.2024.