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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt,

Meeres, geschildert und in bezaubernde" Klängen die Schönheit der Natur ge¬
feiert wird. Der Gesang durchglühte die Herzen beider jungen Mädchen, und
die Verse des von Schönheit trunkenen Dichters zitterten in ihnen nach, als
Millicents Stimme verklungen war und sie mit schwärmenden Auge zu Do¬
rothea emporblickte.

Der Gegensatz der eigentümlichen Formen und Farben beider jungen
Mädchen trat in diesem Augenblicke besonders lebhaft hervor, und Eberhardt
wäre entzückt gewesen, wenn er hätte sehen können, wie herrlich Dorothea in
diesem Herabbeugen zu der Blondine aussah. Millieeut stützte ihren rechten Arm auf
Dorothccns Knie, während sie mit der linken Hand das Buch in ihrem Schoße
hielt, und kehrte mit rückwärts gebogenem Kopf das Gesicht nach oben. Die
dunkle Schönheit begegnete mit gerührtem Blicke diesen glänzenden, blauen Augen,
und die prachtvolle Glut unter den halbgesenkten langen, schwarzen Wimpern
leuchtete tief und heiß.

Es war still in dem hochgelegenen heimlichen Zimmer mit der weiten Aus¬
sicht. Kein Laut drang zu diesem alten Bnrggemach mit den dicken Steinwänden
als der entfernte Schrei eines Raubvogels, der über dem Walde schwebte. Auf
der goldbedruckten Ledertapetc schimmerten zitternde Sonnenlichter, und es schien
die grünliche, glänzende Wand die lebendige, blättertragcnde Kulisse eiuer hohen
Laube zu sein, durch deren Rankenwerk der Strahl des Tagesgestirns mühsam
hindurchdringt.

O Dorothea, sagte Millicent nach einer langen, stummen Pause, hinüber¬
denkend an den Reiz von Otahaiti, den Byron schildert, wie wunderbar schön
muß es doch sein, in deu Schoß der Natur zurückzukehren!

Dorothea lächelte, indem sie ihre eignen Gedanken und Wünsche in ver¬
änderter Gestalt ans Millicents Seele hervorblicken sah und sich in der Freundin
Gemüt versetzte. Millicent hatte einen schwärmerischen Sinn, und sie erfüllte
die Anforderungen des täglichen Lebens mit seiner Nüchternheit oft nur, im
Sinne einer verzauberten Prinzessin. Die Erziehung, welche sie in Dorotheens
Gesellschaft erhalten hatte, hob sie mit ätherischen Schwingen über die Stellung
ihrer Familie und die Tradition ihrer Vorfahren empor. Millicent sah auf
die idealen Gestalten der Dichterwerke und ihrer eignen schwunghaften Phan¬
tasie. Vielleicht auch war schon durch ihre Mutter, die Kammerjungfer, ein
leichterer Tropfen Blutes der schweren Masse bäuerischer Säfte beigemischt
worden, der dem Sauerteig im Brode glich, und mochte wohl die Meinung des
Barons Sextus über die Verbindung ihrer Eltern nicht ganz ohne ein Salz-
koru sein, Millicent sah zuweilen ihre vollen, roten Wangen im Spiegel mit
Verdruß und dachte es sich entzückend, blaß zu sein und ein Herz im Busen
zu tragen, das von Kummer und Leid zerrissen ist.

Siehst du, Dorothea, fuhr sie fort, wenn ich mir ausmale, daß mich je¬
mand mit der ganzen Glut seiner Seele liebte und mit mir in einer abgcschie-


Die Grafen von Altenschwerdt,

Meeres, geschildert und in bezaubernde» Klängen die Schönheit der Natur ge¬
feiert wird. Der Gesang durchglühte die Herzen beider jungen Mädchen, und
die Verse des von Schönheit trunkenen Dichters zitterten in ihnen nach, als
Millicents Stimme verklungen war und sie mit schwärmenden Auge zu Do¬
rothea emporblickte.

Der Gegensatz der eigentümlichen Formen und Farben beider jungen
Mädchen trat in diesem Augenblicke besonders lebhaft hervor, und Eberhardt
wäre entzückt gewesen, wenn er hätte sehen können, wie herrlich Dorothea in
diesem Herabbeugen zu der Blondine aussah. Millieeut stützte ihren rechten Arm auf
Dorothccns Knie, während sie mit der linken Hand das Buch in ihrem Schoße
hielt, und kehrte mit rückwärts gebogenem Kopf das Gesicht nach oben. Die
dunkle Schönheit begegnete mit gerührtem Blicke diesen glänzenden, blauen Augen,
und die prachtvolle Glut unter den halbgesenkten langen, schwarzen Wimpern
leuchtete tief und heiß.

Es war still in dem hochgelegenen heimlichen Zimmer mit der weiten Aus¬
sicht. Kein Laut drang zu diesem alten Bnrggemach mit den dicken Steinwänden
als der entfernte Schrei eines Raubvogels, der über dem Walde schwebte. Auf
der goldbedruckten Ledertapetc schimmerten zitternde Sonnenlichter, und es schien
die grünliche, glänzende Wand die lebendige, blättertragcnde Kulisse eiuer hohen
Laube zu sein, durch deren Rankenwerk der Strahl des Tagesgestirns mühsam
hindurchdringt.

O Dorothea, sagte Millicent nach einer langen, stummen Pause, hinüber¬
denkend an den Reiz von Otahaiti, den Byron schildert, wie wunderbar schön
muß es doch sein, in deu Schoß der Natur zurückzukehren!

Dorothea lächelte, indem sie ihre eignen Gedanken und Wünsche in ver¬
änderter Gestalt ans Millicents Seele hervorblicken sah und sich in der Freundin
Gemüt versetzte. Millicent hatte einen schwärmerischen Sinn, und sie erfüllte
die Anforderungen des täglichen Lebens mit seiner Nüchternheit oft nur, im
Sinne einer verzauberten Prinzessin. Die Erziehung, welche sie in Dorotheens
Gesellschaft erhalten hatte, hob sie mit ätherischen Schwingen über die Stellung
ihrer Familie und die Tradition ihrer Vorfahren empor. Millicent sah auf
die idealen Gestalten der Dichterwerke und ihrer eignen schwunghaften Phan¬
tasie. Vielleicht auch war schon durch ihre Mutter, die Kammerjungfer, ein
leichterer Tropfen Blutes der schweren Masse bäuerischer Säfte beigemischt
worden, der dem Sauerteig im Brode glich, und mochte wohl die Meinung des
Barons Sextus über die Verbindung ihrer Eltern nicht ganz ohne ein Salz-
koru sein, Millicent sah zuweilen ihre vollen, roten Wangen im Spiegel mit
Verdruß und dachte es sich entzückend, blaß zu sein und ein Herz im Busen
zu tragen, das von Kummer und Leid zerrissen ist.

Siehst du, Dorothea, fuhr sie fort, wenn ich mir ausmale, daß mich je¬
mand mit der ganzen Glut seiner Seele liebte und mit mir in einer abgcschie-


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[0710] Die Grafen von Altenschwerdt, Meeres, geschildert und in bezaubernde» Klängen die Schönheit der Natur ge¬ feiert wird. Der Gesang durchglühte die Herzen beider jungen Mädchen, und die Verse des von Schönheit trunkenen Dichters zitterten in ihnen nach, als Millicents Stimme verklungen war und sie mit schwärmenden Auge zu Do¬ rothea emporblickte. Der Gegensatz der eigentümlichen Formen und Farben beider jungen Mädchen trat in diesem Augenblicke besonders lebhaft hervor, und Eberhardt wäre entzückt gewesen, wenn er hätte sehen können, wie herrlich Dorothea in diesem Herabbeugen zu der Blondine aussah. Millieeut stützte ihren rechten Arm auf Dorothccns Knie, während sie mit der linken Hand das Buch in ihrem Schoße hielt, und kehrte mit rückwärts gebogenem Kopf das Gesicht nach oben. Die dunkle Schönheit begegnete mit gerührtem Blicke diesen glänzenden, blauen Augen, und die prachtvolle Glut unter den halbgesenkten langen, schwarzen Wimpern leuchtete tief und heiß. Es war still in dem hochgelegenen heimlichen Zimmer mit der weiten Aus¬ sicht. Kein Laut drang zu diesem alten Bnrggemach mit den dicken Steinwänden als der entfernte Schrei eines Raubvogels, der über dem Walde schwebte. Auf der goldbedruckten Ledertapetc schimmerten zitternde Sonnenlichter, und es schien die grünliche, glänzende Wand die lebendige, blättertragcnde Kulisse eiuer hohen Laube zu sein, durch deren Rankenwerk der Strahl des Tagesgestirns mühsam hindurchdringt. O Dorothea, sagte Millicent nach einer langen, stummen Pause, hinüber¬ denkend an den Reiz von Otahaiti, den Byron schildert, wie wunderbar schön muß es doch sein, in deu Schoß der Natur zurückzukehren! Dorothea lächelte, indem sie ihre eignen Gedanken und Wünsche in ver¬ änderter Gestalt ans Millicents Seele hervorblicken sah und sich in der Freundin Gemüt versetzte. Millicent hatte einen schwärmerischen Sinn, und sie erfüllte die Anforderungen des täglichen Lebens mit seiner Nüchternheit oft nur, im Sinne einer verzauberten Prinzessin. Die Erziehung, welche sie in Dorotheens Gesellschaft erhalten hatte, hob sie mit ätherischen Schwingen über die Stellung ihrer Familie und die Tradition ihrer Vorfahren empor. Millicent sah auf die idealen Gestalten der Dichterwerke und ihrer eignen schwunghaften Phan¬ tasie. Vielleicht auch war schon durch ihre Mutter, die Kammerjungfer, ein leichterer Tropfen Blutes der schweren Masse bäuerischer Säfte beigemischt worden, der dem Sauerteig im Brode glich, und mochte wohl die Meinung des Barons Sextus über die Verbindung ihrer Eltern nicht ganz ohne ein Salz- koru sein, Millicent sah zuweilen ihre vollen, roten Wangen im Spiegel mit Verdruß und dachte es sich entzückend, blaß zu sein und ein Herz im Busen zu tragen, das von Kummer und Leid zerrissen ist. Siehst du, Dorothea, fuhr sie fort, wenn ich mir ausmale, daß mich je¬ mand mit der ganzen Glut seiner Seele liebte und mit mir in einer abgcschie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/710>, abgerufen am 03.07.2024.