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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

ihm für jeden Fall eine Einladung zukommen lassen. Mein lieber Freund,
schrieb sie, wenn ich auch gerade keine besonders gute Meinung von Ihrer
Unterhaltungsgabe aus der Probe gewonnen habe, die Sie gestern auf der Fahrt
nach Hause ablegten, und wenn ich deshalb auch befürchte, daß Sie alle Ihre
Beredsamkeit auf die Wte-z-Tßte sparen und in der Gesellschaft, zu der ich
Sie einladen soll, mehr den Beobachter spielen werden, so will ich doch einer
Pflicht nachkommen. Mein Vater hat brieflich eine alte Bekanntschaft erneuert
und will dieselbe auf morgen Abend zum Abendessen laden. Er fürchtet, daß
ein gewisser, in allen Künsten bewanderter Herr dabei fehlen könnte. Es scheint
ihm um eine solide Stütze in seinen kavalleristischen Thesen zu thun zu sein,
und er hegt ein Vertrauen in dieser Hinsicht, welches ich wünschte teilen zu
können. Ich muß sagen, daß ich einiges Herzklopfen verspürte, als mein lieber
Vater mir den Wunsch mitteilte, diesen Herrn bei uns zu sehen. Ermahnen
Sie ihn, bitte, wenn er Ihnen bekannt sein sollte, zu bedenken, daß diesesmal
eine Dame als Gast gegenwärtig sein wird, und daß vermutlich schärfere Augen
als gewöhnlich sein Betragen studiren werden. Er soll wohl Acht geben, seine
gesetzte und weisheitsvolle Haltung zu bewahren. Wenn er das thun will, so
soll ihm gestattet sein, schon am Nachmittage zu kommen. Was eine andre
Dame betrifft, die vielleicht dazu beitragen könnte, diese Haltung zu gefährden,
so will ich selbst Sorge tragen, daß sie sich recht bescheiden und zurückhaltend
benimmt. Sie soll die eignen Augen gesenkt halten und so wenig vorteilhaft
als möglich in den seinigen erscheinen. Mit freundlichem Gruß Ihre Dorothea.

Nachdem sie dies Billet versiegelt und Millicent übergeben hatte, die es
durch einen Boten abgehen lassen sollte, setzte sich Dorothea in die Nische vor
dem Balkon ihres Zimmers und sah den Weg entlang, der in den Wald und
dort drüben nach Scholldorf führte. Es lag ihr ein trübes Gefühl auf der
Brust, das auch durch den scherzenden Ton des Briefchens sich nicht hatte zer¬
streuen lassen. War es die natürliche Rückwirkung nach so viel Glück am
gestrigen Tage? War es die Notwendigkeit der Mischung von Hell und Finster,
die allem Dasein auferlegt ist?

Millicent kehrte zurück und schob eine Fußbank neben Dvrothecns Stuhl,
auf welcher sie sich niederließ und der Freundin in die Augen sah. Der me¬
lancholische Schimmer in diesen sonst so heitern Sternen entging ihr nicht, und
sie versuchte sie durch ein leichtes Geplauder aufzuhellen. Während dessen schallten
von unten Hnfschläge herauf, Dorothea blickte hinab und verfolgte sinnend und
ohne auf Millicents Worte zu lauschen den eiligen Ritt des Knechtes, der mit
ihrer Botschaft an Eberhardt unterwegs war.

Millicent erhob sich und holte aus Dorotheens Bücherschrank einen Band
der Gedichte von Byron hervor, kehrte zu ihren Füßen zurück und las ihr jenen
reizenden Gesang vor, in welchem die Liebe des weißen Jünglings und der
sanften, braunen Schönen, der Eingebornen einer fernen Insel des Stillen


Die Grafen von Altenschwerdt.

ihm für jeden Fall eine Einladung zukommen lassen. Mein lieber Freund,
schrieb sie, wenn ich auch gerade keine besonders gute Meinung von Ihrer
Unterhaltungsgabe aus der Probe gewonnen habe, die Sie gestern auf der Fahrt
nach Hause ablegten, und wenn ich deshalb auch befürchte, daß Sie alle Ihre
Beredsamkeit auf die Wte-z-Tßte sparen und in der Gesellschaft, zu der ich
Sie einladen soll, mehr den Beobachter spielen werden, so will ich doch einer
Pflicht nachkommen. Mein Vater hat brieflich eine alte Bekanntschaft erneuert
und will dieselbe auf morgen Abend zum Abendessen laden. Er fürchtet, daß
ein gewisser, in allen Künsten bewanderter Herr dabei fehlen könnte. Es scheint
ihm um eine solide Stütze in seinen kavalleristischen Thesen zu thun zu sein,
und er hegt ein Vertrauen in dieser Hinsicht, welches ich wünschte teilen zu
können. Ich muß sagen, daß ich einiges Herzklopfen verspürte, als mein lieber
Vater mir den Wunsch mitteilte, diesen Herrn bei uns zu sehen. Ermahnen
Sie ihn, bitte, wenn er Ihnen bekannt sein sollte, zu bedenken, daß diesesmal
eine Dame als Gast gegenwärtig sein wird, und daß vermutlich schärfere Augen
als gewöhnlich sein Betragen studiren werden. Er soll wohl Acht geben, seine
gesetzte und weisheitsvolle Haltung zu bewahren. Wenn er das thun will, so
soll ihm gestattet sein, schon am Nachmittage zu kommen. Was eine andre
Dame betrifft, die vielleicht dazu beitragen könnte, diese Haltung zu gefährden,
so will ich selbst Sorge tragen, daß sie sich recht bescheiden und zurückhaltend
benimmt. Sie soll die eignen Augen gesenkt halten und so wenig vorteilhaft
als möglich in den seinigen erscheinen. Mit freundlichem Gruß Ihre Dorothea.

Nachdem sie dies Billet versiegelt und Millicent übergeben hatte, die es
durch einen Boten abgehen lassen sollte, setzte sich Dorothea in die Nische vor
dem Balkon ihres Zimmers und sah den Weg entlang, der in den Wald und
dort drüben nach Scholldorf führte. Es lag ihr ein trübes Gefühl auf der
Brust, das auch durch den scherzenden Ton des Briefchens sich nicht hatte zer¬
streuen lassen. War es die natürliche Rückwirkung nach so viel Glück am
gestrigen Tage? War es die Notwendigkeit der Mischung von Hell und Finster,
die allem Dasein auferlegt ist?

Millicent kehrte zurück und schob eine Fußbank neben Dvrothecns Stuhl,
auf welcher sie sich niederließ und der Freundin in die Augen sah. Der me¬
lancholische Schimmer in diesen sonst so heitern Sternen entging ihr nicht, und
sie versuchte sie durch ein leichtes Geplauder aufzuhellen. Während dessen schallten
von unten Hnfschläge herauf, Dorothea blickte hinab und verfolgte sinnend und
ohne auf Millicents Worte zu lauschen den eiligen Ritt des Knechtes, der mit
ihrer Botschaft an Eberhardt unterwegs war.

Millicent erhob sich und holte aus Dorotheens Bücherschrank einen Band
der Gedichte von Byron hervor, kehrte zu ihren Füßen zurück und las ihr jenen
reizenden Gesang vor, in welchem die Liebe des weißen Jünglings und der
sanften, braunen Schönen, der Eingebornen einer fernen Insel des Stillen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/709>, abgerufen am 03.07.2024.