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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Über nationale Geschichtschreibung,

auch in diesem Falle, wenn auch nach der negativen Seite hin, nur die Wirklichkeit
wiederspiegelt, also jedenfalls dem Gebote der Wahrheit getreu bleibt. Darüber
nämlich darf man sich nicht täuschen, es liegt für jede nationale Geschichtschreibung
die Gefahr nahe, daß sie, um einen Stoff vollkommen für sich geeignet zu machen,
ihn dreht und modelt, davon oder dazu thut, ihn färbt oder künstlich beleuchtet, um
ihn, während er nicht ganz national ist, doch als einen solchen erscheinen zu lassen.
Unleugbar tritt die Geschichtschreibung damit in einen Widerspruch zu ihrer
ersten und vornehmsten Pflicht, ja sie thut gerade das Gegenteil von dem, was
zu thun ihr schwerer, aber schöner Beruf ist. Statt zu leiten und zu belehren,
verführt sie und erzeugt Wahnvorstellungen, welche oft schwer auf die darin
befangene Nation zurückfallen. Oder sollte an der Irreleitung der öffentlichen
Meinung in Frankreich, an jener eiteln Selbstbespiegelung in dem blendenden
Glänze der Gloire nicht wenigstens zu einem Teile die zwar dnrch und durch
nationale, aber aus Schmeichelei gegen die Nation und ihre Schwächen un¬
wahre Geschichtschreibung die Schuld tragen, welche der Revolution und dem
Kaiserreiche gegenüber Thiers mit so unerhörtem Erfolge geübt hat? Für eine
solche, im Übeln Sinne des Wortes nationale Geschichtschreibung ist in Deutsch¬
land nach der ganzen Entwicklung desselben und auch nach der der deutschen
Historiographie bisher kein Platz gewesen. Mögen wir auch in Zukunft alle
Zeit von ihr verschont bleiben!

In einer andern Hinsicht aber kann die deutsche Geschichtschreibung von
der nationalen Historiographie der Franzosen sowohl wie der Engländer lernen
und hat sie, wenn ich mich nicht irre, in neuerer Zeit auch schon zu lernen an¬
gefangen. Das ist die Form. In England und Frankreich suchen die hervor¬
ragendsten Vertreter auch der Geschichtswissenschaft ihren Stolz darin, das Ergebnis
ihrer Studien ihrer Nation in einer jedem Gebildeten verständlichen Form vor¬
zulegen, und nicht bloß das, sie wissen auch dem an sich spröden Stoffe dach
Eleganz der Form, Wohlklang der Rede, Abrundung der geschmackvollen Dar¬
stellung einen Reiz zu verleihen. Unsern Historikern kann man ein Gleiches im
allgemeinen nicht nachrühmen: allzu lange sind diese nur Gelehrte gewesen,
gewöhnt, nur für die mitforschenden Fachgenossen, nicht für ein größeres Publikum
zu schreiben. Man sehe nur die Masse der vielbändigen Werke, in denen der
magere Text nicht selten unter der Flut der Noten und Exkurse förmlich unter¬
geht, man sehe die auch nicht geringe Zahl von Büchern, die doch eigentlich nur
unverarbeitetes Material in die Öffentlichkeit bringen. Nur so ist es möglich, daß
Männer von den eminenten wissenschaftlichen Verdiensten eines Pertz, Waitz u. a.
den Gebildetsten außerhalb des Kreises der Leute vom Fach höchstens dem Namen
nach bekannt, dem deutschen Volke aber ziemlich fremd sind. Es hängt damit
zusammen die garnicht wohlangebrachte Geringschätzung, mit welcher manche von
unsern Gelehrten auch heute noch auf die Bestrebungen zur Popularisirung
gerade der Geschichte herabsehen, sich selbst für zu gut und ihre Wissenschaft


Über nationale Geschichtschreibung,

auch in diesem Falle, wenn auch nach der negativen Seite hin, nur die Wirklichkeit
wiederspiegelt, also jedenfalls dem Gebote der Wahrheit getreu bleibt. Darüber
nämlich darf man sich nicht täuschen, es liegt für jede nationale Geschichtschreibung
die Gefahr nahe, daß sie, um einen Stoff vollkommen für sich geeignet zu machen,
ihn dreht und modelt, davon oder dazu thut, ihn färbt oder künstlich beleuchtet, um
ihn, während er nicht ganz national ist, doch als einen solchen erscheinen zu lassen.
Unleugbar tritt die Geschichtschreibung damit in einen Widerspruch zu ihrer
ersten und vornehmsten Pflicht, ja sie thut gerade das Gegenteil von dem, was
zu thun ihr schwerer, aber schöner Beruf ist. Statt zu leiten und zu belehren,
verführt sie und erzeugt Wahnvorstellungen, welche oft schwer auf die darin
befangene Nation zurückfallen. Oder sollte an der Irreleitung der öffentlichen
Meinung in Frankreich, an jener eiteln Selbstbespiegelung in dem blendenden
Glänze der Gloire nicht wenigstens zu einem Teile die zwar dnrch und durch
nationale, aber aus Schmeichelei gegen die Nation und ihre Schwächen un¬
wahre Geschichtschreibung die Schuld tragen, welche der Revolution und dem
Kaiserreiche gegenüber Thiers mit so unerhörtem Erfolge geübt hat? Für eine
solche, im Übeln Sinne des Wortes nationale Geschichtschreibung ist in Deutsch¬
land nach der ganzen Entwicklung desselben und auch nach der der deutschen
Historiographie bisher kein Platz gewesen. Mögen wir auch in Zukunft alle
Zeit von ihr verschont bleiben!

In einer andern Hinsicht aber kann die deutsche Geschichtschreibung von
der nationalen Historiographie der Franzosen sowohl wie der Engländer lernen
und hat sie, wenn ich mich nicht irre, in neuerer Zeit auch schon zu lernen an¬
gefangen. Das ist die Form. In England und Frankreich suchen die hervor¬
ragendsten Vertreter auch der Geschichtswissenschaft ihren Stolz darin, das Ergebnis
ihrer Studien ihrer Nation in einer jedem Gebildeten verständlichen Form vor¬
zulegen, und nicht bloß das, sie wissen auch dem an sich spröden Stoffe dach
Eleganz der Form, Wohlklang der Rede, Abrundung der geschmackvollen Dar¬
stellung einen Reiz zu verleihen. Unsern Historikern kann man ein Gleiches im
allgemeinen nicht nachrühmen: allzu lange sind diese nur Gelehrte gewesen,
gewöhnt, nur für die mitforschenden Fachgenossen, nicht für ein größeres Publikum
zu schreiben. Man sehe nur die Masse der vielbändigen Werke, in denen der
magere Text nicht selten unter der Flut der Noten und Exkurse förmlich unter¬
geht, man sehe die auch nicht geringe Zahl von Büchern, die doch eigentlich nur
unverarbeitetes Material in die Öffentlichkeit bringen. Nur so ist es möglich, daß
Männer von den eminenten wissenschaftlichen Verdiensten eines Pertz, Waitz u. a.
den Gebildetsten außerhalb des Kreises der Leute vom Fach höchstens dem Namen
nach bekannt, dem deutschen Volke aber ziemlich fremd sind. Es hängt damit
zusammen die garnicht wohlangebrachte Geringschätzung, mit welcher manche von
unsern Gelehrten auch heute noch auf die Bestrebungen zur Popularisirung
gerade der Geschichte herabsehen, sich selbst für zu gut und ihre Wissenschaft


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[0686] Über nationale Geschichtschreibung, auch in diesem Falle, wenn auch nach der negativen Seite hin, nur die Wirklichkeit wiederspiegelt, also jedenfalls dem Gebote der Wahrheit getreu bleibt. Darüber nämlich darf man sich nicht täuschen, es liegt für jede nationale Geschichtschreibung die Gefahr nahe, daß sie, um einen Stoff vollkommen für sich geeignet zu machen, ihn dreht und modelt, davon oder dazu thut, ihn färbt oder künstlich beleuchtet, um ihn, während er nicht ganz national ist, doch als einen solchen erscheinen zu lassen. Unleugbar tritt die Geschichtschreibung damit in einen Widerspruch zu ihrer ersten und vornehmsten Pflicht, ja sie thut gerade das Gegenteil von dem, was zu thun ihr schwerer, aber schöner Beruf ist. Statt zu leiten und zu belehren, verführt sie und erzeugt Wahnvorstellungen, welche oft schwer auf die darin befangene Nation zurückfallen. Oder sollte an der Irreleitung der öffentlichen Meinung in Frankreich, an jener eiteln Selbstbespiegelung in dem blendenden Glänze der Gloire nicht wenigstens zu einem Teile die zwar dnrch und durch nationale, aber aus Schmeichelei gegen die Nation und ihre Schwächen un¬ wahre Geschichtschreibung die Schuld tragen, welche der Revolution und dem Kaiserreiche gegenüber Thiers mit so unerhörtem Erfolge geübt hat? Für eine solche, im Übeln Sinne des Wortes nationale Geschichtschreibung ist in Deutsch¬ land nach der ganzen Entwicklung desselben und auch nach der der deutschen Historiographie bisher kein Platz gewesen. Mögen wir auch in Zukunft alle Zeit von ihr verschont bleiben! In einer andern Hinsicht aber kann die deutsche Geschichtschreibung von der nationalen Historiographie der Franzosen sowohl wie der Engländer lernen und hat sie, wenn ich mich nicht irre, in neuerer Zeit auch schon zu lernen an¬ gefangen. Das ist die Form. In England und Frankreich suchen die hervor¬ ragendsten Vertreter auch der Geschichtswissenschaft ihren Stolz darin, das Ergebnis ihrer Studien ihrer Nation in einer jedem Gebildeten verständlichen Form vor¬ zulegen, und nicht bloß das, sie wissen auch dem an sich spröden Stoffe dach Eleganz der Form, Wohlklang der Rede, Abrundung der geschmackvollen Dar¬ stellung einen Reiz zu verleihen. Unsern Historikern kann man ein Gleiches im allgemeinen nicht nachrühmen: allzu lange sind diese nur Gelehrte gewesen, gewöhnt, nur für die mitforschenden Fachgenossen, nicht für ein größeres Publikum zu schreiben. Man sehe nur die Masse der vielbändigen Werke, in denen der magere Text nicht selten unter der Flut der Noten und Exkurse förmlich unter¬ geht, man sehe die auch nicht geringe Zahl von Büchern, die doch eigentlich nur unverarbeitetes Material in die Öffentlichkeit bringen. Nur so ist es möglich, daß Männer von den eminenten wissenschaftlichen Verdiensten eines Pertz, Waitz u. a. den Gebildetsten außerhalb des Kreises der Leute vom Fach höchstens dem Namen nach bekannt, dem deutschen Volke aber ziemlich fremd sind. Es hängt damit zusammen die garnicht wohlangebrachte Geringschätzung, mit welcher manche von unsern Gelehrten auch heute noch auf die Bestrebungen zur Popularisirung gerade der Geschichte herabsehen, sich selbst für zu gut und ihre Wissenschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/686>, abgerufen am 23.07.2024.