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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Über nationale Geschichtschreibung.

einen sich rüsten, die vierte Säkularfeier des Reformators zum Ausgangspunkte
für eine neue Sammlung und Erhebung des deutschen Protestantismus zu
machen, meinen die andern noch immer nicht endgiltig auf den ehemaligen Be¬
sitzstand verzichten zu dürfen und sind in streitbarer Rüstung das Verlorene
zurückzugewinnen bestrebt. Natürlich kommt dieser Gegensatz auch in der ge¬
schichtlichen Behandlung des Reformationszeitalters immer von neuem zum Aus¬
druck: noch öffnet sich zwischen der protestantischen und der katholischen Auf¬
fassung eine unausfüllbare, eine nicht zu überbrückende Kluft. Haben wir es
doch noch jüngst erleben müssen, daß ein deutscher Historiker, freilich der streit¬
barsten einer unter den Vorkämpfern des Ultramontanismus, aber ein Mann
reich an Können und Wissen und glänzend begabt für die Kunst historischer
Darstellung, in einem gründlich gelehrten, glänzend geschriebenen, aber durch
und durch tendenziös berechneten Werke die Behauptung zu erweisen unter¬
nahm, den Höhestand nationalen Wohlbehagens auf Grund einer vollauf be¬
friedigenden politischen und kirchlichen Ordnung und der reichsten Blüte des geistigen
und wirtschaftlichen Lebens habe Deutschland in der zweiten Hälfte des fünfzehnten
Jahrhunderts erreicht gehabt; es seien damals alle Bedingungen vorhanden
gewesen, welche die Entwicklung Deutschlands zum nationalen Staate gewähr¬
leisten konnten, und erst durch die revolutionäre, rechtlose und unnötige Frie¬
densstörung Luthers sei dieselbe zum Verderben unsers Volkes gewaltsam unter¬
brochen und auf Abwege gelenkt worden. So wird hier die Reformation
verantwortlich gemacht für all das schwere, was Deutschland seitdem zu erdulden
gehabt hat.

schroffer noch und noch leidenschaftlicher prallen diese Gegensätze in der
Geschichte des siebzehnten Jahrhunderts, vornehmlich des dreißigjährigen Krieges,
zusammen, wo auf der einen Seite der furchtbare Ferdinand II., der lieber
über eine Wüste regieren als Ketzer unter seinem Szepter dulden wollte,
Maximilian von Baiern und Tilly, auf der andern ein Mansfeld, ein Anhalt
und vor allem ein Gustav Adolf als die heldenhaften Vorkämpfer der wahren
Interesse" des deutscheu Volkes gefeiert werden, Wallenstein aber von der einen
als ein geachteter Verbrecher verdammt, von der andern als ein Märtyrer
kühner nationaler Politik dargestellt wird.

Wohin immer wir uns wenden mögen, überall finden wir die deutsche
Geschichtschreibung gleich zwiespältig, gleich wenig entsprechend dem Bilde, welches
wir uns von nationaler Geschichtschreibung machen. Sind doch auch die Thaten
Friedrichs des Große", an denen trotz des damals vorhandenen politischen
Gegensatzes das deutsche Volk sich zuerst freudig zur Ahnung künftiger natio¬
naler Existenz erhob, auch heute noch weit entfernt von einer allgemeinen An¬
erkennung und gerechten Würdigung, und zwar nicht allein von feiten derjenigen,
gegen deren Vorfahren sie einst geschahen! Noch ist ein Ouro Klopp nicht
ganz vereinsamt, sondern findet auch über die Kreise der Welfeufrcunde hinaus


Über nationale Geschichtschreibung.

einen sich rüsten, die vierte Säkularfeier des Reformators zum Ausgangspunkte
für eine neue Sammlung und Erhebung des deutschen Protestantismus zu
machen, meinen die andern noch immer nicht endgiltig auf den ehemaligen Be¬
sitzstand verzichten zu dürfen und sind in streitbarer Rüstung das Verlorene
zurückzugewinnen bestrebt. Natürlich kommt dieser Gegensatz auch in der ge¬
schichtlichen Behandlung des Reformationszeitalters immer von neuem zum Aus¬
druck: noch öffnet sich zwischen der protestantischen und der katholischen Auf¬
fassung eine unausfüllbare, eine nicht zu überbrückende Kluft. Haben wir es
doch noch jüngst erleben müssen, daß ein deutscher Historiker, freilich der streit¬
barsten einer unter den Vorkämpfern des Ultramontanismus, aber ein Mann
reich an Können und Wissen und glänzend begabt für die Kunst historischer
Darstellung, in einem gründlich gelehrten, glänzend geschriebenen, aber durch
und durch tendenziös berechneten Werke die Behauptung zu erweisen unter¬
nahm, den Höhestand nationalen Wohlbehagens auf Grund einer vollauf be¬
friedigenden politischen und kirchlichen Ordnung und der reichsten Blüte des geistigen
und wirtschaftlichen Lebens habe Deutschland in der zweiten Hälfte des fünfzehnten
Jahrhunderts erreicht gehabt; es seien damals alle Bedingungen vorhanden
gewesen, welche die Entwicklung Deutschlands zum nationalen Staate gewähr¬
leisten konnten, und erst durch die revolutionäre, rechtlose und unnötige Frie¬
densstörung Luthers sei dieselbe zum Verderben unsers Volkes gewaltsam unter¬
brochen und auf Abwege gelenkt worden. So wird hier die Reformation
verantwortlich gemacht für all das schwere, was Deutschland seitdem zu erdulden
gehabt hat.

schroffer noch und noch leidenschaftlicher prallen diese Gegensätze in der
Geschichte des siebzehnten Jahrhunderts, vornehmlich des dreißigjährigen Krieges,
zusammen, wo auf der einen Seite der furchtbare Ferdinand II., der lieber
über eine Wüste regieren als Ketzer unter seinem Szepter dulden wollte,
Maximilian von Baiern und Tilly, auf der andern ein Mansfeld, ein Anhalt
und vor allem ein Gustav Adolf als die heldenhaften Vorkämpfer der wahren
Interesse» des deutscheu Volkes gefeiert werden, Wallenstein aber von der einen
als ein geachteter Verbrecher verdammt, von der andern als ein Märtyrer
kühner nationaler Politik dargestellt wird.

Wohin immer wir uns wenden mögen, überall finden wir die deutsche
Geschichtschreibung gleich zwiespältig, gleich wenig entsprechend dem Bilde, welches
wir uns von nationaler Geschichtschreibung machen. Sind doch auch die Thaten
Friedrichs des Große», an denen trotz des damals vorhandenen politischen
Gegensatzes das deutsche Volk sich zuerst freudig zur Ahnung künftiger natio¬
naler Existenz erhob, auch heute noch weit entfernt von einer allgemeinen An¬
erkennung und gerechten Würdigung, und zwar nicht allein von feiten derjenigen,
gegen deren Vorfahren sie einst geschahen! Noch ist ein Ouro Klopp nicht
ganz vereinsamt, sondern findet auch über die Kreise der Welfeufrcunde hinaus


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[0683] Über nationale Geschichtschreibung. einen sich rüsten, die vierte Säkularfeier des Reformators zum Ausgangspunkte für eine neue Sammlung und Erhebung des deutschen Protestantismus zu machen, meinen die andern noch immer nicht endgiltig auf den ehemaligen Be¬ sitzstand verzichten zu dürfen und sind in streitbarer Rüstung das Verlorene zurückzugewinnen bestrebt. Natürlich kommt dieser Gegensatz auch in der ge¬ schichtlichen Behandlung des Reformationszeitalters immer von neuem zum Aus¬ druck: noch öffnet sich zwischen der protestantischen und der katholischen Auf¬ fassung eine unausfüllbare, eine nicht zu überbrückende Kluft. Haben wir es doch noch jüngst erleben müssen, daß ein deutscher Historiker, freilich der streit¬ barsten einer unter den Vorkämpfern des Ultramontanismus, aber ein Mann reich an Können und Wissen und glänzend begabt für die Kunst historischer Darstellung, in einem gründlich gelehrten, glänzend geschriebenen, aber durch und durch tendenziös berechneten Werke die Behauptung zu erweisen unter¬ nahm, den Höhestand nationalen Wohlbehagens auf Grund einer vollauf be¬ friedigenden politischen und kirchlichen Ordnung und der reichsten Blüte des geistigen und wirtschaftlichen Lebens habe Deutschland in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts erreicht gehabt; es seien damals alle Bedingungen vorhanden gewesen, welche die Entwicklung Deutschlands zum nationalen Staate gewähr¬ leisten konnten, und erst durch die revolutionäre, rechtlose und unnötige Frie¬ densstörung Luthers sei dieselbe zum Verderben unsers Volkes gewaltsam unter¬ brochen und auf Abwege gelenkt worden. So wird hier die Reformation verantwortlich gemacht für all das schwere, was Deutschland seitdem zu erdulden gehabt hat. schroffer noch und noch leidenschaftlicher prallen diese Gegensätze in der Geschichte des siebzehnten Jahrhunderts, vornehmlich des dreißigjährigen Krieges, zusammen, wo auf der einen Seite der furchtbare Ferdinand II., der lieber über eine Wüste regieren als Ketzer unter seinem Szepter dulden wollte, Maximilian von Baiern und Tilly, auf der andern ein Mansfeld, ein Anhalt und vor allem ein Gustav Adolf als die heldenhaften Vorkämpfer der wahren Interesse» des deutscheu Volkes gefeiert werden, Wallenstein aber von der einen als ein geachteter Verbrecher verdammt, von der andern als ein Märtyrer kühner nationaler Politik dargestellt wird. Wohin immer wir uns wenden mögen, überall finden wir die deutsche Geschichtschreibung gleich zwiespältig, gleich wenig entsprechend dem Bilde, welches wir uns von nationaler Geschichtschreibung machen. Sind doch auch die Thaten Friedrichs des Große», an denen trotz des damals vorhandenen politischen Gegensatzes das deutsche Volk sich zuerst freudig zur Ahnung künftiger natio¬ naler Existenz erhob, auch heute noch weit entfernt von einer allgemeinen An¬ erkennung und gerechten Würdigung, und zwar nicht allein von feiten derjenigen, gegen deren Vorfahren sie einst geschahen! Noch ist ein Ouro Klopp nicht ganz vereinsamt, sondern findet auch über die Kreise der Welfeufrcunde hinaus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/683>, abgerufen am 23.07.2024.