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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft.

Ursache derselben als etwa vollständig Heterogenes und Unvergleichbares be¬
trachtet, sondern die, daß man trotz bessern Wissens beständig beide miteinander
identifizirt. Die Menschen sind übereingekommen, sagt Helmholtz, diejenigen Äther¬
wellen, welche bei ihrem Auftreffen auf die Netzhaut Lichtempfindung erregen,
Licht zu nennen, eine Bezeichnung, welche eigentlich nur der Empfindung zu¬
kommen sollte. Und doch wußten die Menschen, welche zuerst den Ausdruck
Licht gebrauchten, ganz bestimmt noch nichts von Ätherwellen. Es scheint, als
wenn die berühmten Physiologen und Physiker besonders leicht sich selbst und
ihre nähern Fachgenossen mit der ganzen Menschheit identifizirten. Sagt doch
auch Dubois-Reymond^ wie er in seinem Vortrage Faust für thöricht erklärt,
weil er sich am Erkennen der Wahrheit verzweifelnd das Leben nehmen wolle:
"In keines Menschen Brust ist der Wissensdrang heftiger als die jedem Leben¬
digen eingeborne Lust zu leben." Zu dieser Behauptung mußte er freilich
kommen, weil er Faust vorher als einen Professor und Kollegen bezeichnet hatte,
für die dieser Satz gelten mag. Bei Menschen aber, die eine Rangstufe tiefer
stehen, z. B schon bei Privatdozenten, sind dem widersprechende Beobachtungen
gemacht worden. Und so giebt es zweifellos auch sehr viele Menschen, die keine
Ahnung davon haben, daß gewisse feinste Wellenschwingungen eines hypo¬
thetischen Äthers eben dasselbe sind, was sie Licht und Farbe nennen.

Nun verweist man freilich ans die großartigen Erfolge, welche die Annahme
gehabt habe, daß das Licht aus Ätherwellen bestehe. Der Gang der Licht¬
strahlen, die Brechung, die Zerlegung und Zerstreuung, die Reflexion und Inter¬
ferenz, die Vergrößerung und Verkleinerung der Bilder, die herrlichsten optischen
Instrumente von der allergrößten Bedeutung für die Naturwissenschaften, alles
läßt sich nach dieser Annahme erklären und mit der mathematischen Berechnung
in Übereinstimmung bringen. Kein Zweifel, daß diese ganze Richtung eminente
Erfolge gehabt hat. Aber wenn man anstatt der Annahme, Licht bestehe aus
Ätherwellen, bei dem bekannten Grundsatz stehen geblieben wäre, daß die feinsten
Schwingungen irgend eines Mediums nur die Ursache der Lichtempfindung seien,
so würde an jenen Erfolgen nicht das geringste anders ausgefallen sein, nur
daß man zuweilen etwas weitläufiger im sprachlichen Ausdruck hätte werden
müssen. Die optischen Gesetze sind alle nach mechanischen Prinzipien begreiflich.
Das ist aber der Grund, weshalb sie nicht ohne weiteres Gesetze der Empfindung
sind, von denen Goethe allein geredet hat.

An diesem Punkte, in dem Zusammenhang der physikalischen Wellenbewegung
mit der Empfindung, tritt der sonderbare und noch sehr wenigen hinlänglich bekannte
Umstand ein, daß dieselbe Theorie, die auf dem mechanischen Gebiete so enorme Er¬
folge hatte, gar nicht weiter vorwärts kommen kann in der Theorie der Empfindung,
trotz aller Bemühungen der scharfsinnigsten Physiologen. Jene Erfolge waren ja
nur errungen worden, weil es sich dabei um rein mechanische Prinzipien gehan¬
delt hatte. Dabei durfte man ungestraft Licht und Farbe und farbige Strahlen


Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft.

Ursache derselben als etwa vollständig Heterogenes und Unvergleichbares be¬
trachtet, sondern die, daß man trotz bessern Wissens beständig beide miteinander
identifizirt. Die Menschen sind übereingekommen, sagt Helmholtz, diejenigen Äther¬
wellen, welche bei ihrem Auftreffen auf die Netzhaut Lichtempfindung erregen,
Licht zu nennen, eine Bezeichnung, welche eigentlich nur der Empfindung zu¬
kommen sollte. Und doch wußten die Menschen, welche zuerst den Ausdruck
Licht gebrauchten, ganz bestimmt noch nichts von Ätherwellen. Es scheint, als
wenn die berühmten Physiologen und Physiker besonders leicht sich selbst und
ihre nähern Fachgenossen mit der ganzen Menschheit identifizirten. Sagt doch
auch Dubois-Reymond^ wie er in seinem Vortrage Faust für thöricht erklärt,
weil er sich am Erkennen der Wahrheit verzweifelnd das Leben nehmen wolle:
„In keines Menschen Brust ist der Wissensdrang heftiger als die jedem Leben¬
digen eingeborne Lust zu leben." Zu dieser Behauptung mußte er freilich
kommen, weil er Faust vorher als einen Professor und Kollegen bezeichnet hatte,
für die dieser Satz gelten mag. Bei Menschen aber, die eine Rangstufe tiefer
stehen, z. B schon bei Privatdozenten, sind dem widersprechende Beobachtungen
gemacht worden. Und so giebt es zweifellos auch sehr viele Menschen, die keine
Ahnung davon haben, daß gewisse feinste Wellenschwingungen eines hypo¬
thetischen Äthers eben dasselbe sind, was sie Licht und Farbe nennen.

Nun verweist man freilich ans die großartigen Erfolge, welche die Annahme
gehabt habe, daß das Licht aus Ätherwellen bestehe. Der Gang der Licht¬
strahlen, die Brechung, die Zerlegung und Zerstreuung, die Reflexion und Inter¬
ferenz, die Vergrößerung und Verkleinerung der Bilder, die herrlichsten optischen
Instrumente von der allergrößten Bedeutung für die Naturwissenschaften, alles
läßt sich nach dieser Annahme erklären und mit der mathematischen Berechnung
in Übereinstimmung bringen. Kein Zweifel, daß diese ganze Richtung eminente
Erfolge gehabt hat. Aber wenn man anstatt der Annahme, Licht bestehe aus
Ätherwellen, bei dem bekannten Grundsatz stehen geblieben wäre, daß die feinsten
Schwingungen irgend eines Mediums nur die Ursache der Lichtempfindung seien,
so würde an jenen Erfolgen nicht das geringste anders ausgefallen sein, nur
daß man zuweilen etwas weitläufiger im sprachlichen Ausdruck hätte werden
müssen. Die optischen Gesetze sind alle nach mechanischen Prinzipien begreiflich.
Das ist aber der Grund, weshalb sie nicht ohne weiteres Gesetze der Empfindung
sind, von denen Goethe allein geredet hat.

An diesem Punkte, in dem Zusammenhang der physikalischen Wellenbewegung
mit der Empfindung, tritt der sonderbare und noch sehr wenigen hinlänglich bekannte
Umstand ein, daß dieselbe Theorie, die auf dem mechanischen Gebiete so enorme Er¬
folge hatte, gar nicht weiter vorwärts kommen kann in der Theorie der Empfindung,
trotz aller Bemühungen der scharfsinnigsten Physiologen. Jene Erfolge waren ja
nur errungen worden, weil es sich dabei um rein mechanische Prinzipien gehan¬
delt hatte. Dabei durfte man ungestraft Licht und Farbe und farbige Strahlen


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[0635] Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft. Ursache derselben als etwa vollständig Heterogenes und Unvergleichbares be¬ trachtet, sondern die, daß man trotz bessern Wissens beständig beide miteinander identifizirt. Die Menschen sind übereingekommen, sagt Helmholtz, diejenigen Äther¬ wellen, welche bei ihrem Auftreffen auf die Netzhaut Lichtempfindung erregen, Licht zu nennen, eine Bezeichnung, welche eigentlich nur der Empfindung zu¬ kommen sollte. Und doch wußten die Menschen, welche zuerst den Ausdruck Licht gebrauchten, ganz bestimmt noch nichts von Ätherwellen. Es scheint, als wenn die berühmten Physiologen und Physiker besonders leicht sich selbst und ihre nähern Fachgenossen mit der ganzen Menschheit identifizirten. Sagt doch auch Dubois-Reymond^ wie er in seinem Vortrage Faust für thöricht erklärt, weil er sich am Erkennen der Wahrheit verzweifelnd das Leben nehmen wolle: „In keines Menschen Brust ist der Wissensdrang heftiger als die jedem Leben¬ digen eingeborne Lust zu leben." Zu dieser Behauptung mußte er freilich kommen, weil er Faust vorher als einen Professor und Kollegen bezeichnet hatte, für die dieser Satz gelten mag. Bei Menschen aber, die eine Rangstufe tiefer stehen, z. B schon bei Privatdozenten, sind dem widersprechende Beobachtungen gemacht worden. Und so giebt es zweifellos auch sehr viele Menschen, die keine Ahnung davon haben, daß gewisse feinste Wellenschwingungen eines hypo¬ thetischen Äthers eben dasselbe sind, was sie Licht und Farbe nennen. Nun verweist man freilich ans die großartigen Erfolge, welche die Annahme gehabt habe, daß das Licht aus Ätherwellen bestehe. Der Gang der Licht¬ strahlen, die Brechung, die Zerlegung und Zerstreuung, die Reflexion und Inter¬ ferenz, die Vergrößerung und Verkleinerung der Bilder, die herrlichsten optischen Instrumente von der allergrößten Bedeutung für die Naturwissenschaften, alles läßt sich nach dieser Annahme erklären und mit der mathematischen Berechnung in Übereinstimmung bringen. Kein Zweifel, daß diese ganze Richtung eminente Erfolge gehabt hat. Aber wenn man anstatt der Annahme, Licht bestehe aus Ätherwellen, bei dem bekannten Grundsatz stehen geblieben wäre, daß die feinsten Schwingungen irgend eines Mediums nur die Ursache der Lichtempfindung seien, so würde an jenen Erfolgen nicht das geringste anders ausgefallen sein, nur daß man zuweilen etwas weitläufiger im sprachlichen Ausdruck hätte werden müssen. Die optischen Gesetze sind alle nach mechanischen Prinzipien begreiflich. Das ist aber der Grund, weshalb sie nicht ohne weiteres Gesetze der Empfindung sind, von denen Goethe allein geredet hat. An diesem Punkte, in dem Zusammenhang der physikalischen Wellenbewegung mit der Empfindung, tritt der sonderbare und noch sehr wenigen hinlänglich bekannte Umstand ein, daß dieselbe Theorie, die auf dem mechanischen Gebiete so enorme Er¬ folge hatte, gar nicht weiter vorwärts kommen kann in der Theorie der Empfindung, trotz aller Bemühungen der scharfsinnigsten Physiologen. Jene Erfolge waren ja nur errungen worden, weil es sich dabei um rein mechanische Prinzipien gehan¬ delt hatte. Dabei durfte man ungestraft Licht und Farbe und farbige Strahlen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/635>, abgerufen am 23.07.2024.