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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft.

hat auf diesen Mechanismus sich nur oberflächlich und andeutungsweise ein¬
gelassen, weil er es nicht nötig hatte, sich mit Dingen zu befassen, für die er
keine besondre Anlage und Neigung in sich spürte. Die Prozesse im lebendigen
Körper, soweit sie überhaupt mechanisch erklärbar sind, machte er nicht zum
Hauptgegenstande seiner Studien. Hätte er es gethan, so würde er sicher den
prinzipiellen Irrtum der Lebenskraft vermieden haben, insofern man sie im
Gegensatz zum Mechanismus der Materie denkt. Noch viel weniger aber würde
Goethe im Haeckelismus seine eignen Gedanken wiedererkennen. Das Bemühen,
den schöpferischen Gedanken aus der Schöpfung wegzuerklären, würde ihm so
absurd erschienen sein, wie nur je die Newtonsche Farbentheorie.

Und so kommen wir zu der Hauptfrage, die noch nirgends befriedigend
gelöst ist, zu der Frage, warum sich Goethe und die Physiker von Fach in der
Farbenlehre nicht verständigen konnten. Goethe versichert zwar, daß er die
Fachgelehrten sehr wohl verstanden habe, da es ihm gerade als Dichter leicht
sei, sich in die verschiedensten Denk- und Anschauungsweisen andrer hineinzuver¬
setzen. Er klagt nur über Mangel an Verständnis aus der andern Seite, und
da derselbe immerfort andauert, so gerät er allmählich in eine höchst feindselige
Stimmung gegen den einseitigen, von Vorurteilen beengten Zopf- und Zunft¬
geist der Fachgelehrten. Gelegentlich hat er dann mit zornigen, witzsprühenden
Worten wuchtige Hiebe auf die Gegner ausgeteilt. Von allen größern Natur¬
forscher", die bis in unsre Zeit hcreinragten, haben im Grunde nur zwei Physio¬
logen ganz unverholen ihre Anerkennung der Goethischen Farbenlehre aus¬
gesprochen; das waren Müller und der berühmte Böhme Purkinje. Von den
Physikern hat keiner jemals ein Wort der Anerkennung gefunden, es sei denn
für Goethes Beschreibung der subjektiven Farbenphänomene. Johannes Müller
hat schon in seinem ersten epochemachenden Werke das erklärende Wort ge¬
sprochen, durch welches die Goethische und die physikalische Theorie in das
richtige Verhältnis gesetzt wurden, es ist aber später wieder vergessen worden.
Er sagte, daß er sich nie habe befreunden können mit einer Lehre, welche das
Licht als etwas äußeres und von unsrer Empfindung unabhängiges betrachte;
jene physikalischen Theorien der Optiker betrafen nur die äußern Ursachen unsrer
Lichtempfindung, nicht das Licht selbst, welches er als eine Energie der Seh-
sinnsubstanz (der nervösen Substanz der Netzhaut und der Sehnerven) auffaßte.
Heutzutage ist Hering der einzige Professor der Physiologie gewesen, der es
gewagt hat, den Physikern wieder zu sagen, daß ihre Lichttheorie garnicht das
Licht, sondern nur diejenigen Bewegungen betreffe, welche in unsrer Netzhaut
Lichtempfindung hervorrufen. Freilich wissen das die Lehrer der Physiologie
alle ganz gut; in jedem Lehrbuch findet man wenigstens eine Stelle, in der
gesagt wird, daß sie von denjenigen Wellenbewegungen reden, welche bei ihrem
Auftreffen auf die Netzhaut Lichtempfindung erregen, aber das hat nun nicht
etwa die Folge, daß man den Gegenstand der Empfindung und die physikalische


Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft.

hat auf diesen Mechanismus sich nur oberflächlich und andeutungsweise ein¬
gelassen, weil er es nicht nötig hatte, sich mit Dingen zu befassen, für die er
keine besondre Anlage und Neigung in sich spürte. Die Prozesse im lebendigen
Körper, soweit sie überhaupt mechanisch erklärbar sind, machte er nicht zum
Hauptgegenstande seiner Studien. Hätte er es gethan, so würde er sicher den
prinzipiellen Irrtum der Lebenskraft vermieden haben, insofern man sie im
Gegensatz zum Mechanismus der Materie denkt. Noch viel weniger aber würde
Goethe im Haeckelismus seine eignen Gedanken wiedererkennen. Das Bemühen,
den schöpferischen Gedanken aus der Schöpfung wegzuerklären, würde ihm so
absurd erschienen sein, wie nur je die Newtonsche Farbentheorie.

Und so kommen wir zu der Hauptfrage, die noch nirgends befriedigend
gelöst ist, zu der Frage, warum sich Goethe und die Physiker von Fach in der
Farbenlehre nicht verständigen konnten. Goethe versichert zwar, daß er die
Fachgelehrten sehr wohl verstanden habe, da es ihm gerade als Dichter leicht
sei, sich in die verschiedensten Denk- und Anschauungsweisen andrer hineinzuver¬
setzen. Er klagt nur über Mangel an Verständnis aus der andern Seite, und
da derselbe immerfort andauert, so gerät er allmählich in eine höchst feindselige
Stimmung gegen den einseitigen, von Vorurteilen beengten Zopf- und Zunft¬
geist der Fachgelehrten. Gelegentlich hat er dann mit zornigen, witzsprühenden
Worten wuchtige Hiebe auf die Gegner ausgeteilt. Von allen größern Natur¬
forscher», die bis in unsre Zeit hcreinragten, haben im Grunde nur zwei Physio¬
logen ganz unverholen ihre Anerkennung der Goethischen Farbenlehre aus¬
gesprochen; das waren Müller und der berühmte Böhme Purkinje. Von den
Physikern hat keiner jemals ein Wort der Anerkennung gefunden, es sei denn
für Goethes Beschreibung der subjektiven Farbenphänomene. Johannes Müller
hat schon in seinem ersten epochemachenden Werke das erklärende Wort ge¬
sprochen, durch welches die Goethische und die physikalische Theorie in das
richtige Verhältnis gesetzt wurden, es ist aber später wieder vergessen worden.
Er sagte, daß er sich nie habe befreunden können mit einer Lehre, welche das
Licht als etwas äußeres und von unsrer Empfindung unabhängiges betrachte;
jene physikalischen Theorien der Optiker betrafen nur die äußern Ursachen unsrer
Lichtempfindung, nicht das Licht selbst, welches er als eine Energie der Seh-
sinnsubstanz (der nervösen Substanz der Netzhaut und der Sehnerven) auffaßte.
Heutzutage ist Hering der einzige Professor der Physiologie gewesen, der es
gewagt hat, den Physikern wieder zu sagen, daß ihre Lichttheorie garnicht das
Licht, sondern nur diejenigen Bewegungen betreffe, welche in unsrer Netzhaut
Lichtempfindung hervorrufen. Freilich wissen das die Lehrer der Physiologie
alle ganz gut; in jedem Lehrbuch findet man wenigstens eine Stelle, in der
gesagt wird, daß sie von denjenigen Wellenbewegungen reden, welche bei ihrem
Auftreffen auf die Netzhaut Lichtempfindung erregen, aber das hat nun nicht
etwa die Folge, daß man den Gegenstand der Empfindung und die physikalische


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[0634] Goethe und die Koryphäen der heutigen Naturwissenschaft. hat auf diesen Mechanismus sich nur oberflächlich und andeutungsweise ein¬ gelassen, weil er es nicht nötig hatte, sich mit Dingen zu befassen, für die er keine besondre Anlage und Neigung in sich spürte. Die Prozesse im lebendigen Körper, soweit sie überhaupt mechanisch erklärbar sind, machte er nicht zum Hauptgegenstande seiner Studien. Hätte er es gethan, so würde er sicher den prinzipiellen Irrtum der Lebenskraft vermieden haben, insofern man sie im Gegensatz zum Mechanismus der Materie denkt. Noch viel weniger aber würde Goethe im Haeckelismus seine eignen Gedanken wiedererkennen. Das Bemühen, den schöpferischen Gedanken aus der Schöpfung wegzuerklären, würde ihm so absurd erschienen sein, wie nur je die Newtonsche Farbentheorie. Und so kommen wir zu der Hauptfrage, die noch nirgends befriedigend gelöst ist, zu der Frage, warum sich Goethe und die Physiker von Fach in der Farbenlehre nicht verständigen konnten. Goethe versichert zwar, daß er die Fachgelehrten sehr wohl verstanden habe, da es ihm gerade als Dichter leicht sei, sich in die verschiedensten Denk- und Anschauungsweisen andrer hineinzuver¬ setzen. Er klagt nur über Mangel an Verständnis aus der andern Seite, und da derselbe immerfort andauert, so gerät er allmählich in eine höchst feindselige Stimmung gegen den einseitigen, von Vorurteilen beengten Zopf- und Zunft¬ geist der Fachgelehrten. Gelegentlich hat er dann mit zornigen, witzsprühenden Worten wuchtige Hiebe auf die Gegner ausgeteilt. Von allen größern Natur¬ forscher», die bis in unsre Zeit hcreinragten, haben im Grunde nur zwei Physio¬ logen ganz unverholen ihre Anerkennung der Goethischen Farbenlehre aus¬ gesprochen; das waren Müller und der berühmte Böhme Purkinje. Von den Physikern hat keiner jemals ein Wort der Anerkennung gefunden, es sei denn für Goethes Beschreibung der subjektiven Farbenphänomene. Johannes Müller hat schon in seinem ersten epochemachenden Werke das erklärende Wort ge¬ sprochen, durch welches die Goethische und die physikalische Theorie in das richtige Verhältnis gesetzt wurden, es ist aber später wieder vergessen worden. Er sagte, daß er sich nie habe befreunden können mit einer Lehre, welche das Licht als etwas äußeres und von unsrer Empfindung unabhängiges betrachte; jene physikalischen Theorien der Optiker betrafen nur die äußern Ursachen unsrer Lichtempfindung, nicht das Licht selbst, welches er als eine Energie der Seh- sinnsubstanz (der nervösen Substanz der Netzhaut und der Sehnerven) auffaßte. Heutzutage ist Hering der einzige Professor der Physiologie gewesen, der es gewagt hat, den Physikern wieder zu sagen, daß ihre Lichttheorie garnicht das Licht, sondern nur diejenigen Bewegungen betreffe, welche in unsrer Netzhaut Lichtempfindung hervorrufen. Freilich wissen das die Lehrer der Physiologie alle ganz gut; in jedem Lehrbuch findet man wenigstens eine Stelle, in der gesagt wird, daß sie von denjenigen Wellenbewegungen reden, welche bei ihrem Auftreffen auf die Netzhaut Lichtempfindung erregen, aber das hat nun nicht etwa die Folge, daß man den Gegenstand der Empfindung und die physikalische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/634>, abgerufen am 23.07.2024.