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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Goethe und die RoryxhLen der heutigen Naturwissenschaft,

sagen anstatt Wellenbewegungen, welche je nach Qualität und Quantität diese
oder jene Farbenempfindung hervorrufen. Denn in sehr vielen Fällen gilt am
Ende der Satz, daß gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben, besonders wenn
es sich um Experimente handelt, deren Bedingungen man selber nach Belieben
regeln kann. Aber sowie man mit Bedingungen zu thun hat, die man nicht
selbst anordnen kann, so trifft man auch auf Ausnahmen von jenem Satze. So
rufen z. B. in den meisten Fällen die Schwingungen von ein und derselben
Länge dieselbe Farbenempfindung hervor. Hat man es aber zufällig mit dem
Auge eines Farbenblinden zu thun, so rufen dieselben Ätherwellen, die beim
normalen Auge die Empfindung Rot erzeugen, eine ganz andre, dem Normal¬
sehenden garnicht bekannte Empfindung hervor, die jedenfalls dem Grau ver¬
wandt ist. Ja auch im normalen Auge giebt es gewisse Bedingungen, unter
denen Lichtstrahlen, die sonst Grau hervorrufen, Farbenempfindung erzeugen,
die bekannten Erscheinungen des subjektiven Kontrastes. Wenn aber die Äther¬
wellen an sich Licht und Farben wären, so gäbe es für diese Erscheinungen gar
keine stichhaltige Erklärung.

Folgt man den Studien unsrer berühmtesten Physiologen weiter, sieht man,
wie sie sich abgemüht haben, auf Grund der physikalischen Theorie des Lichtes
die Gesichtsempfindung zu erklären, so muß man wirklich am Ende stehen bleiben
voll Bedauern darüber, daß alle diese Mühen nicht etwas befriedigendere Re¬
sultate ergeben haben. An der Spitze steht immer der rein materialistische
Grundsatz: Wir empfinden nicht die Gegenstände, die unsern Sinnen erscheinen,
sondern nur die Veränderungen in unsern Sinnesnerven, die durch den Reiz
von jenen Gegenständen aus hervorgerufen werden, und haben nur von dieser
Veränderung in den Sinnesnerven einen Schluß zu machen auf das Dasein
und die Gestalt jener Gegenstünde. Daß dieser Schluß von der Wirkung auf
die Ursache nur ganz zweifelhafte Resultate ergeben kann, geht aus der einfachen
logischen Betrachtung hervor, daß eine Wirkung recht wohl verschiedne Ursachen
haben kann. Und doch ist dies das große Resultat der Forschung, welches Helm-
holtz nicht müde wird zu wiederholen, daß die Gegenstände der Welt in Wahr¬
heit und Wirklichkeit uns niemals bekannt werden, daß wir nur Zeichen von ihnen
in unsern Sinnesnerven empfangen und diese durch Übung und Gewohnheit zu
deuten lernen müssen. Um diesen elenden Skeptizismus uns als Resultat der
Wissenschaft anzupreisen, hätte auch eine kleinere Kraft als Helmholtz ausgereicht.
Dabei hält man den Satz, daß wir nur die Veränderungen in unsern Nerven, aber
nicht die Gegenstände selbst, von denen sie herrühren, wahrnehmen, noch dazu
für so selbstverständlich, daß man ihn garnicht beweisen zu brauchen glaubt.
Und doch ist er nur ein Ausfluß des Materialismus, der die Nervenkraft für
die einzige Ursache aller geistigen Thätigkeit hält und von Gesetzen des
menschlichen Erkenntnisvermögens nichts weiß. Für den, der aber weiß, daß
der Fähigkeit des Menschen, zu empfinden, s. priori die Raumform beiwohnt,


Goethe und die RoryxhLen der heutigen Naturwissenschaft,

sagen anstatt Wellenbewegungen, welche je nach Qualität und Quantität diese
oder jene Farbenempfindung hervorrufen. Denn in sehr vielen Fällen gilt am
Ende der Satz, daß gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben, besonders wenn
es sich um Experimente handelt, deren Bedingungen man selber nach Belieben
regeln kann. Aber sowie man mit Bedingungen zu thun hat, die man nicht
selbst anordnen kann, so trifft man auch auf Ausnahmen von jenem Satze. So
rufen z. B. in den meisten Fällen die Schwingungen von ein und derselben
Länge dieselbe Farbenempfindung hervor. Hat man es aber zufällig mit dem
Auge eines Farbenblinden zu thun, so rufen dieselben Ätherwellen, die beim
normalen Auge die Empfindung Rot erzeugen, eine ganz andre, dem Normal¬
sehenden garnicht bekannte Empfindung hervor, die jedenfalls dem Grau ver¬
wandt ist. Ja auch im normalen Auge giebt es gewisse Bedingungen, unter
denen Lichtstrahlen, die sonst Grau hervorrufen, Farbenempfindung erzeugen,
die bekannten Erscheinungen des subjektiven Kontrastes. Wenn aber die Äther¬
wellen an sich Licht und Farben wären, so gäbe es für diese Erscheinungen gar
keine stichhaltige Erklärung.

Folgt man den Studien unsrer berühmtesten Physiologen weiter, sieht man,
wie sie sich abgemüht haben, auf Grund der physikalischen Theorie des Lichtes
die Gesichtsempfindung zu erklären, so muß man wirklich am Ende stehen bleiben
voll Bedauern darüber, daß alle diese Mühen nicht etwas befriedigendere Re¬
sultate ergeben haben. An der Spitze steht immer der rein materialistische
Grundsatz: Wir empfinden nicht die Gegenstände, die unsern Sinnen erscheinen,
sondern nur die Veränderungen in unsern Sinnesnerven, die durch den Reiz
von jenen Gegenständen aus hervorgerufen werden, und haben nur von dieser
Veränderung in den Sinnesnerven einen Schluß zu machen auf das Dasein
und die Gestalt jener Gegenstünde. Daß dieser Schluß von der Wirkung auf
die Ursache nur ganz zweifelhafte Resultate ergeben kann, geht aus der einfachen
logischen Betrachtung hervor, daß eine Wirkung recht wohl verschiedne Ursachen
haben kann. Und doch ist dies das große Resultat der Forschung, welches Helm-
holtz nicht müde wird zu wiederholen, daß die Gegenstände der Welt in Wahr¬
heit und Wirklichkeit uns niemals bekannt werden, daß wir nur Zeichen von ihnen
in unsern Sinnesnerven empfangen und diese durch Übung und Gewohnheit zu
deuten lernen müssen. Um diesen elenden Skeptizismus uns als Resultat der
Wissenschaft anzupreisen, hätte auch eine kleinere Kraft als Helmholtz ausgereicht.
Dabei hält man den Satz, daß wir nur die Veränderungen in unsern Nerven, aber
nicht die Gegenstände selbst, von denen sie herrühren, wahrnehmen, noch dazu
für so selbstverständlich, daß man ihn garnicht beweisen zu brauchen glaubt.
Und doch ist er nur ein Ausfluß des Materialismus, der die Nervenkraft für
die einzige Ursache aller geistigen Thätigkeit hält und von Gesetzen des
menschlichen Erkenntnisvermögens nichts weiß. Für den, der aber weiß, daß
der Fähigkeit des Menschen, zu empfinden, s. priori die Raumform beiwohnt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/636>, abgerufen am 23.07.2024.