Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Grafen von Altenschwerdt,

Dem Baron gefiel der Platz, und er meinte, der Wind sei nur erfrischend.
So setzten sie sich denn unter dem Vorbau mit den hölzernen Säulen nieder,
und der Graf ließ Sherry und Sodawasser zur Erquickung auftragen.

Das Meer war heute hell und klar und still. Es spiegelte die strahlende
Blüue des Himmels wieder, und seine flimmernden Wellen wurden anmutig
vom Westwind geschaukelt und spülten mit leisem Rauschen zum Strande hin.
Dorothea verfolgte mit träumerischem Sinnen den Gang der silberglänzenden
Häupter, die sich in unermüdlicher Reihenfolge aus der leicht bewegte" Fläche
erhoben und allmählich anschwellend heranzogen, um in der Nähe des Landes
vornüberzubrcchen und eine flache Schicht des flüssigen Elements über den Sand
hinauszuschicken. Doch war der Fluß ihrer Gedanken nicht so ruhig wie die
Meerflut, in deren Anblick sie sich versenkte. Ein geheimes Fieber brannte
innerlich in ihr und verlieh den Träumen, die ihre Sinne umgaukelten, einen
phantastischen Zug. Es war dem Gefühl des Glückes, das sie erfüllte, ein ge¬
heimes Bangen beigemischt, und sie suchte in den spielenden Wogen eine Be¬
ruhigung ihrer ungleichmäßig bewegten Seele. Und immer wieder hob sich
ihr Blick von der Brandung zu ihren Füßen nach dem Horizont empor und
schweifte nach der Seite hiu, wo ein Fischerdorf lag, das wichtig für sie ge¬
worden war.

Bedeutungslos, fast wie das Rauschen des Wassers, klang die Unterhaltung
der beiden Herren für ihr Ohr. Wie gewöhnlich, hatte sich deren Gespräch nach
der ersten Erörterung des Podagraanfalls auf die Kavallerie gewandt, und
Baron Sextus gab seinem Mißfallen an der modernen Art der Zäumung rück¬
haltlos Ausdruck.

Ich habe mich seit fünfzig Jahren gründlich mit dieser Sache beschäftigt,
sagte er, und ich bilde mir deshalb ein, sie zu verstehen. Aber in der jetzigen
Zeit hat man in den Regimentern natürlich wichtigeres zu thun, als darauf
sein Studium zu richten. Wenn die Herren jetzt eine Kandare so legen können,
daß sie nicht durchfällt, so glauben sie das Alpha und Omega der Kunst zu
haben. Damit hat ihr Wissen ein Ende. Aber ich behaupte, die meisten ver¬
stehen auch das nicht einmal. Welche Verwandtschaft und Übereinstimmung
zwischen der Form der Kandare und dem Maule des Pferdes oder nun gar
dem Temperament des Tieres bestehen muß, davon hat heutzutage kein Mensch
mehr eine Ahnung. Wenn der- Gaul störrig ist oder steigt oder durchgeht, so
denken sie, es sei die Schuld des Tieres. Und es ist doch jedesmal die Schuld
des Reiters. Die sängt aber mit der falschen Zäumung an, wozu dann natürlich
noch eine unsinnige Behandlung kommt. Wenn Mensch und Pferd sich nicht
vertragen können, so liegt die Schuld immer am Menschen, denn das Pferd
handelt, wie die Natur ihm vorschreibt, und die irrt sich nicht. Ich darf wohl
behaupten, daß ich Erfahrung im Reiten habe, und Eure Exzellenz wissen, daß
meine Pferde immer die Bewunderung derer erregen, die sie reiten. Aber es


Die Grafen von Altenschwerdt,

Dem Baron gefiel der Platz, und er meinte, der Wind sei nur erfrischend.
So setzten sie sich denn unter dem Vorbau mit den hölzernen Säulen nieder,
und der Graf ließ Sherry und Sodawasser zur Erquickung auftragen.

Das Meer war heute hell und klar und still. Es spiegelte die strahlende
Blüue des Himmels wieder, und seine flimmernden Wellen wurden anmutig
vom Westwind geschaukelt und spülten mit leisem Rauschen zum Strande hin.
Dorothea verfolgte mit träumerischem Sinnen den Gang der silberglänzenden
Häupter, die sich in unermüdlicher Reihenfolge aus der leicht bewegte» Fläche
erhoben und allmählich anschwellend heranzogen, um in der Nähe des Landes
vornüberzubrcchen und eine flache Schicht des flüssigen Elements über den Sand
hinauszuschicken. Doch war der Fluß ihrer Gedanken nicht so ruhig wie die
Meerflut, in deren Anblick sie sich versenkte. Ein geheimes Fieber brannte
innerlich in ihr und verlieh den Träumen, die ihre Sinne umgaukelten, einen
phantastischen Zug. Es war dem Gefühl des Glückes, das sie erfüllte, ein ge¬
heimes Bangen beigemischt, und sie suchte in den spielenden Wogen eine Be¬
ruhigung ihrer ungleichmäßig bewegten Seele. Und immer wieder hob sich
ihr Blick von der Brandung zu ihren Füßen nach dem Horizont empor und
schweifte nach der Seite hiu, wo ein Fischerdorf lag, das wichtig für sie ge¬
worden war.

Bedeutungslos, fast wie das Rauschen des Wassers, klang die Unterhaltung
der beiden Herren für ihr Ohr. Wie gewöhnlich, hatte sich deren Gespräch nach
der ersten Erörterung des Podagraanfalls auf die Kavallerie gewandt, und
Baron Sextus gab seinem Mißfallen an der modernen Art der Zäumung rück¬
haltlos Ausdruck.

Ich habe mich seit fünfzig Jahren gründlich mit dieser Sache beschäftigt,
sagte er, und ich bilde mir deshalb ein, sie zu verstehen. Aber in der jetzigen
Zeit hat man in den Regimentern natürlich wichtigeres zu thun, als darauf
sein Studium zu richten. Wenn die Herren jetzt eine Kandare so legen können,
daß sie nicht durchfällt, so glauben sie das Alpha und Omega der Kunst zu
haben. Damit hat ihr Wissen ein Ende. Aber ich behaupte, die meisten ver¬
stehen auch das nicht einmal. Welche Verwandtschaft und Übereinstimmung
zwischen der Form der Kandare und dem Maule des Pferdes oder nun gar
dem Temperament des Tieres bestehen muß, davon hat heutzutage kein Mensch
mehr eine Ahnung. Wenn der- Gaul störrig ist oder steigt oder durchgeht, so
denken sie, es sei die Schuld des Tieres. Und es ist doch jedesmal die Schuld
des Reiters. Die sängt aber mit der falschen Zäumung an, wozu dann natürlich
noch eine unsinnige Behandlung kommt. Wenn Mensch und Pferd sich nicht
vertragen können, so liegt die Schuld immer am Menschen, denn das Pferd
handelt, wie die Natur ihm vorschreibt, und die irrt sich nicht. Ich darf wohl
behaupten, daß ich Erfahrung im Reiten habe, und Eure Exzellenz wissen, daß
meine Pferde immer die Bewunderung derer erregen, die sie reiten. Aber es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0600" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152510"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altenschwerdt,</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2299"> Dem Baron gefiel der Platz, und er meinte, der Wind sei nur erfrischend.<lb/>
So setzten sie sich denn unter dem Vorbau mit den hölzernen Säulen nieder,<lb/>
und der Graf ließ Sherry und Sodawasser zur Erquickung auftragen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2300"> Das Meer war heute hell und klar und still. Es spiegelte die strahlende<lb/>
Blüue des Himmels wieder, und seine flimmernden Wellen wurden anmutig<lb/>
vom Westwind geschaukelt und spülten mit leisem Rauschen zum Strande hin.<lb/>
Dorothea verfolgte mit träumerischem Sinnen den Gang der silberglänzenden<lb/>
Häupter, die sich in unermüdlicher Reihenfolge aus der leicht bewegte» Fläche<lb/>
erhoben und allmählich anschwellend heranzogen, um in der Nähe des Landes<lb/>
vornüberzubrcchen und eine flache Schicht des flüssigen Elements über den Sand<lb/>
hinauszuschicken. Doch war der Fluß ihrer Gedanken nicht so ruhig wie die<lb/>
Meerflut, in deren Anblick sie sich versenkte. Ein geheimes Fieber brannte<lb/>
innerlich in ihr und verlieh den Träumen, die ihre Sinne umgaukelten, einen<lb/>
phantastischen Zug. Es war dem Gefühl des Glückes, das sie erfüllte, ein ge¬<lb/>
heimes Bangen beigemischt, und sie suchte in den spielenden Wogen eine Be¬<lb/>
ruhigung ihrer ungleichmäßig bewegten Seele. Und immer wieder hob sich<lb/>
ihr Blick von der Brandung zu ihren Füßen nach dem Horizont empor und<lb/>
schweifte nach der Seite hiu, wo ein Fischerdorf lag, das wichtig für sie ge¬<lb/>
worden war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2301"> Bedeutungslos, fast wie das Rauschen des Wassers, klang die Unterhaltung<lb/>
der beiden Herren für ihr Ohr. Wie gewöhnlich, hatte sich deren Gespräch nach<lb/>
der ersten Erörterung des Podagraanfalls auf die Kavallerie gewandt, und<lb/>
Baron Sextus gab seinem Mißfallen an der modernen Art der Zäumung rück¬<lb/>
haltlos Ausdruck.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2302" next="#ID_2303"> Ich habe mich seit fünfzig Jahren gründlich mit dieser Sache beschäftigt,<lb/>
sagte er, und ich bilde mir deshalb ein, sie zu verstehen. Aber in der jetzigen<lb/>
Zeit hat man in den Regimentern natürlich wichtigeres zu thun, als darauf<lb/>
sein Studium zu richten. Wenn die Herren jetzt eine Kandare so legen können,<lb/>
daß sie nicht durchfällt, so glauben sie das Alpha und Omega der Kunst zu<lb/>
haben. Damit hat ihr Wissen ein Ende. Aber ich behaupte, die meisten ver¬<lb/>
stehen auch das nicht einmal. Welche Verwandtschaft und Übereinstimmung<lb/>
zwischen der Form der Kandare und dem Maule des Pferdes oder nun gar<lb/>
dem Temperament des Tieres bestehen muß, davon hat heutzutage kein Mensch<lb/>
mehr eine Ahnung. Wenn der- Gaul störrig ist oder steigt oder durchgeht, so<lb/>
denken sie, es sei die Schuld des Tieres. Und es ist doch jedesmal die Schuld<lb/>
des Reiters. Die sängt aber mit der falschen Zäumung an, wozu dann natürlich<lb/>
noch eine unsinnige Behandlung kommt. Wenn Mensch und Pferd sich nicht<lb/>
vertragen können, so liegt die Schuld immer am Menschen, denn das Pferd<lb/>
handelt, wie die Natur ihm vorschreibt, und die irrt sich nicht. Ich darf wohl<lb/>
behaupten, daß ich Erfahrung im Reiten habe, und Eure Exzellenz wissen, daß<lb/>
meine Pferde immer die Bewunderung derer erregen, die sie reiten. Aber es</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0600] Die Grafen von Altenschwerdt, Dem Baron gefiel der Platz, und er meinte, der Wind sei nur erfrischend. So setzten sie sich denn unter dem Vorbau mit den hölzernen Säulen nieder, und der Graf ließ Sherry und Sodawasser zur Erquickung auftragen. Das Meer war heute hell und klar und still. Es spiegelte die strahlende Blüue des Himmels wieder, und seine flimmernden Wellen wurden anmutig vom Westwind geschaukelt und spülten mit leisem Rauschen zum Strande hin. Dorothea verfolgte mit träumerischem Sinnen den Gang der silberglänzenden Häupter, die sich in unermüdlicher Reihenfolge aus der leicht bewegte» Fläche erhoben und allmählich anschwellend heranzogen, um in der Nähe des Landes vornüberzubrcchen und eine flache Schicht des flüssigen Elements über den Sand hinauszuschicken. Doch war der Fluß ihrer Gedanken nicht so ruhig wie die Meerflut, in deren Anblick sie sich versenkte. Ein geheimes Fieber brannte innerlich in ihr und verlieh den Träumen, die ihre Sinne umgaukelten, einen phantastischen Zug. Es war dem Gefühl des Glückes, das sie erfüllte, ein ge¬ heimes Bangen beigemischt, und sie suchte in den spielenden Wogen eine Be¬ ruhigung ihrer ungleichmäßig bewegten Seele. Und immer wieder hob sich ihr Blick von der Brandung zu ihren Füßen nach dem Horizont empor und schweifte nach der Seite hiu, wo ein Fischerdorf lag, das wichtig für sie ge¬ worden war. Bedeutungslos, fast wie das Rauschen des Wassers, klang die Unterhaltung der beiden Herren für ihr Ohr. Wie gewöhnlich, hatte sich deren Gespräch nach der ersten Erörterung des Podagraanfalls auf die Kavallerie gewandt, und Baron Sextus gab seinem Mißfallen an der modernen Art der Zäumung rück¬ haltlos Ausdruck. Ich habe mich seit fünfzig Jahren gründlich mit dieser Sache beschäftigt, sagte er, und ich bilde mir deshalb ein, sie zu verstehen. Aber in der jetzigen Zeit hat man in den Regimentern natürlich wichtigeres zu thun, als darauf sein Studium zu richten. Wenn die Herren jetzt eine Kandare so legen können, daß sie nicht durchfällt, so glauben sie das Alpha und Omega der Kunst zu haben. Damit hat ihr Wissen ein Ende. Aber ich behaupte, die meisten ver¬ stehen auch das nicht einmal. Welche Verwandtschaft und Übereinstimmung zwischen der Form der Kandare und dem Maule des Pferdes oder nun gar dem Temperament des Tieres bestehen muß, davon hat heutzutage kein Mensch mehr eine Ahnung. Wenn der- Gaul störrig ist oder steigt oder durchgeht, so denken sie, es sei die Schuld des Tieres. Und es ist doch jedesmal die Schuld des Reiters. Die sängt aber mit der falschen Zäumung an, wozu dann natürlich noch eine unsinnige Behandlung kommt. Wenn Mensch und Pferd sich nicht vertragen können, so liegt die Schuld immer am Menschen, denn das Pferd handelt, wie die Natur ihm vorschreibt, und die irrt sich nicht. Ich darf wohl behaupten, daß ich Erfahrung im Reiten habe, und Eure Exzellenz wissen, daß meine Pferde immer die Bewunderung derer erregen, die sie reiten. Aber es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/600
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/600>, abgerufen am 29.06.2024.