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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die'Grafen von Altenschwerdt.

Teilen Sie Ihrem Herrn mit, daß ich hier war, sagte sie, indem sie dem
Schwarzen ihre Hand herablassend entgegenreichte. Er wird sich vielleicht bewogen
finden, mich aufzusuchen. Ich wohne hier in der Nähe in der Heilanstalt zu
Fischbeck. Leben Sie Wohl, mein braver Alter! Ich gratulire Herrn Eschenburg
zu einem so vortrefflichen, zuverlässigen Diener.

Ihr Gesicht war ganz Güte und Leutseligkeit, als sie so sprach, aber der
Schwarze hatte die Empfindung, einer schönen Schlange gegenüberzustehen. Er
verneigte sich tief, aber er ergriff nicht die ihm gnädig gereichte Hand, auch ent¬
gegnen er nichts, sondern begleitete schweigend den vornehmen Besuch bis hinaus an
die Thür des Wirtshauses, von wo er der Dame mit sorgenvollem Blick nachsah,
so lange, bis die Biegung der Dorfgasse die schlanke Gestalt in dem eleganten
Anzüge aufnahm.

Gräfin Sibylle kehrte langsamen Schrittes und mit nachdenklich gesenktem
Kopfe zum Wagen zurück. Der Ausdruck von Freundlichkeit war völlig aus
ihrem Gesicht verschwunden.

Du hast eine lange Unterhaltung mit dem Pfarrer gehabt, sagte ihr Sohn
Dietrich, als sie zurückkam.

Sie sah ihn mit zerstreuter Miene an, ohne zu antworten, stieg ein und
ließ auf dem nächsten Wege zurückfahren. Sie war zu sehr mit ihren eignen
Gedanken beschäftigt, um ihre Begleitung zu beobachten, sonst würde sie vielleicht
in dem Aussehen des jungen Mädchens Anzeichen entdeckt haben, welche ihr
einigen Verdacht hinsichtlich der Beziehungen desselben zu ihrem Sohne eingeflößt
hätten. Die jungen Leute hatten einen Spaziergang unternommen, um im
Schatten des Waldes der glühenden Luft der Landstraße zu entgehen. Trotzdem
waren Fräulein Glocks Wangen sehr erhitzt.

Aber Gräfin Sibylle achtete nicht darauf. Ohne ein Wort zu reden legte
sie den Heimweg zurück. Sie schien sehr ermüdet, und ihre Nerven schienen in
fieberhafter Spannung zu sein. Mehrere male flog ein Zittern durch ihre
Gestalt, wie Dietrich mit Besorgnis bemerkte. Er wagte jedoch keine Frage an
sie zu richten, indem er sich der Übeln Aufnahme erinnerte, die seine Bemühung
mit dem Kölnischen Wasser gefunden hatte. Gräfin Sibylle blickte mit düsterm
Auge in die Landschaft hinein, ohne zu sehen, was die Außenwelt ihr in
wechselnden Bildern vorführte. Sie sah nur die Gestalten der Erinnerung in
ihrer eignen Seele. Sie blickte viele Jahre zurück und sah Dinge, welche sich
mit dem Staube der Vergessenheit verhüllt zu haben schienen, in frischer,
blendender Neuheit wieder vor sich auftauchen, den Wandgemälden im alten
Pompeji gleich, die aus Schutt und Ahabs hervor das Leben des lustigen
Badeorts nach zweitausend Jahren dem Blicke der Neuern vorführen. Sie sah
im Geiste ebenfalls eine lustige Zeit vor sich, Jahre der Frivolität, die plötzlich
wie durch den Ausbruch eines Vulkans mit Asche überschüttet wurden. Sie sah
einen Mann vor sich, unvergleichlich um Grazie, unvergleichlich an Kühnheit, dessen


Die'Grafen von Altenschwerdt.

Teilen Sie Ihrem Herrn mit, daß ich hier war, sagte sie, indem sie dem
Schwarzen ihre Hand herablassend entgegenreichte. Er wird sich vielleicht bewogen
finden, mich aufzusuchen. Ich wohne hier in der Nähe in der Heilanstalt zu
Fischbeck. Leben Sie Wohl, mein braver Alter! Ich gratulire Herrn Eschenburg
zu einem so vortrefflichen, zuverlässigen Diener.

Ihr Gesicht war ganz Güte und Leutseligkeit, als sie so sprach, aber der
Schwarze hatte die Empfindung, einer schönen Schlange gegenüberzustehen. Er
verneigte sich tief, aber er ergriff nicht die ihm gnädig gereichte Hand, auch ent¬
gegnen er nichts, sondern begleitete schweigend den vornehmen Besuch bis hinaus an
die Thür des Wirtshauses, von wo er der Dame mit sorgenvollem Blick nachsah,
so lange, bis die Biegung der Dorfgasse die schlanke Gestalt in dem eleganten
Anzüge aufnahm.

Gräfin Sibylle kehrte langsamen Schrittes und mit nachdenklich gesenktem
Kopfe zum Wagen zurück. Der Ausdruck von Freundlichkeit war völlig aus
ihrem Gesicht verschwunden.

Du hast eine lange Unterhaltung mit dem Pfarrer gehabt, sagte ihr Sohn
Dietrich, als sie zurückkam.

Sie sah ihn mit zerstreuter Miene an, ohne zu antworten, stieg ein und
ließ auf dem nächsten Wege zurückfahren. Sie war zu sehr mit ihren eignen
Gedanken beschäftigt, um ihre Begleitung zu beobachten, sonst würde sie vielleicht
in dem Aussehen des jungen Mädchens Anzeichen entdeckt haben, welche ihr
einigen Verdacht hinsichtlich der Beziehungen desselben zu ihrem Sohne eingeflößt
hätten. Die jungen Leute hatten einen Spaziergang unternommen, um im
Schatten des Waldes der glühenden Luft der Landstraße zu entgehen. Trotzdem
waren Fräulein Glocks Wangen sehr erhitzt.

Aber Gräfin Sibylle achtete nicht darauf. Ohne ein Wort zu reden legte
sie den Heimweg zurück. Sie schien sehr ermüdet, und ihre Nerven schienen in
fieberhafter Spannung zu sein. Mehrere male flog ein Zittern durch ihre
Gestalt, wie Dietrich mit Besorgnis bemerkte. Er wagte jedoch keine Frage an
sie zu richten, indem er sich der Übeln Aufnahme erinnerte, die seine Bemühung
mit dem Kölnischen Wasser gefunden hatte. Gräfin Sibylle blickte mit düsterm
Auge in die Landschaft hinein, ohne zu sehen, was die Außenwelt ihr in
wechselnden Bildern vorführte. Sie sah nur die Gestalten der Erinnerung in
ihrer eignen Seele. Sie blickte viele Jahre zurück und sah Dinge, welche sich
mit dem Staube der Vergessenheit verhüllt zu haben schienen, in frischer,
blendender Neuheit wieder vor sich auftauchen, den Wandgemälden im alten
Pompeji gleich, die aus Schutt und Ahabs hervor das Leben des lustigen
Badeorts nach zweitausend Jahren dem Blicke der Neuern vorführen. Sie sah
im Geiste ebenfalls eine lustige Zeit vor sich, Jahre der Frivolität, die plötzlich
wie durch den Ausbruch eines Vulkans mit Asche überschüttet wurden. Sie sah
einen Mann vor sich, unvergleichlich um Grazie, unvergleichlich an Kühnheit, dessen


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[0596] Die'Grafen von Altenschwerdt. Teilen Sie Ihrem Herrn mit, daß ich hier war, sagte sie, indem sie dem Schwarzen ihre Hand herablassend entgegenreichte. Er wird sich vielleicht bewogen finden, mich aufzusuchen. Ich wohne hier in der Nähe in der Heilanstalt zu Fischbeck. Leben Sie Wohl, mein braver Alter! Ich gratulire Herrn Eschenburg zu einem so vortrefflichen, zuverlässigen Diener. Ihr Gesicht war ganz Güte und Leutseligkeit, als sie so sprach, aber der Schwarze hatte die Empfindung, einer schönen Schlange gegenüberzustehen. Er verneigte sich tief, aber er ergriff nicht die ihm gnädig gereichte Hand, auch ent¬ gegnen er nichts, sondern begleitete schweigend den vornehmen Besuch bis hinaus an die Thür des Wirtshauses, von wo er der Dame mit sorgenvollem Blick nachsah, so lange, bis die Biegung der Dorfgasse die schlanke Gestalt in dem eleganten Anzüge aufnahm. Gräfin Sibylle kehrte langsamen Schrittes und mit nachdenklich gesenktem Kopfe zum Wagen zurück. Der Ausdruck von Freundlichkeit war völlig aus ihrem Gesicht verschwunden. Du hast eine lange Unterhaltung mit dem Pfarrer gehabt, sagte ihr Sohn Dietrich, als sie zurückkam. Sie sah ihn mit zerstreuter Miene an, ohne zu antworten, stieg ein und ließ auf dem nächsten Wege zurückfahren. Sie war zu sehr mit ihren eignen Gedanken beschäftigt, um ihre Begleitung zu beobachten, sonst würde sie vielleicht in dem Aussehen des jungen Mädchens Anzeichen entdeckt haben, welche ihr einigen Verdacht hinsichtlich der Beziehungen desselben zu ihrem Sohne eingeflößt hätten. Die jungen Leute hatten einen Spaziergang unternommen, um im Schatten des Waldes der glühenden Luft der Landstraße zu entgehen. Trotzdem waren Fräulein Glocks Wangen sehr erhitzt. Aber Gräfin Sibylle achtete nicht darauf. Ohne ein Wort zu reden legte sie den Heimweg zurück. Sie schien sehr ermüdet, und ihre Nerven schienen in fieberhafter Spannung zu sein. Mehrere male flog ein Zittern durch ihre Gestalt, wie Dietrich mit Besorgnis bemerkte. Er wagte jedoch keine Frage an sie zu richten, indem er sich der Übeln Aufnahme erinnerte, die seine Bemühung mit dem Kölnischen Wasser gefunden hatte. Gräfin Sibylle blickte mit düsterm Auge in die Landschaft hinein, ohne zu sehen, was die Außenwelt ihr in wechselnden Bildern vorführte. Sie sah nur die Gestalten der Erinnerung in ihrer eignen Seele. Sie blickte viele Jahre zurück und sah Dinge, welche sich mit dem Staube der Vergessenheit verhüllt zu haben schienen, in frischer, blendender Neuheit wieder vor sich auftauchen, den Wandgemälden im alten Pompeji gleich, die aus Schutt und Ahabs hervor das Leben des lustigen Badeorts nach zweitausend Jahren dem Blicke der Neuern vorführen. Sie sah im Geiste ebenfalls eine lustige Zeit vor sich, Jahre der Frivolität, die plötzlich wie durch den Ausbruch eines Vulkans mit Asche überschüttet wurden. Sie sah einen Mann vor sich, unvergleichlich um Grazie, unvergleichlich an Kühnheit, dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/596>, abgerufen am 03.07.2024.