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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Lächeln über alles, was Menschen heilig zu sein pflegt, noch jetzt so lebendig und auf¬
reizend vor ihr auftauchte, daß sie die Lippen zusammenpreßte und die Stirne faltete,
wie damals vor fünfundzwanzig Jahren, als dies Lächeln sie in den Abgrund stieß.

Wohin waren jene Jahre, wohin jene Glut der Empfindungen, die dem
Leben Wert gab, wohin jene Liebe, jener Haß? Es wäre besser gewesen,
damals zu sterben, als einer thörichten Klugheit zu folgen und ein Dasein fort¬
zusetzen, dessen Blüte verwelkt war, und eine Bürde sich aufzuladen, die der
Mühe des Tragens kaum wert war. Was hatte die Vermählung mit dem
ungeliebten Manne ihr gebracht, als eine unendliche Reihe jener grauen Tage,
die der Mühe sie zu beginnen und zu enden nicht lohnen, und als eine Kette
von Verpflichtungen und Sorgen und Eitelkeiten, die sich unzerreißbar immer
fester und dichter schlang und die doch nur ein Spinngewebe blieb, so stark
und schwer sie auch trügerischerweise aussah? Waren für die Gräfin Sibylle
ihre Stellung im Leben, ihr Rang, ihr Vermögen und ihre Pläne, war ihr
Sohn selbst wirklich eine ernsthafte Sache, so ernsthaft, daß sie von neuem
einen Kampf darum anfangen sollte?

Gräfin Sibylle biß die Zähne zusammen, und Pläne der verschiedensten
Art zuckten durch ihr Gehirn.

Konnte sie den Versicherungen des alten Negers Glauben schenken, daß der
Sohn jener Frau, die sie von jeher für ihre schlimmste Feindin gehalten hatte,
sich ohne jede Absicht der Rache nach Deutschland begeben habe? Es war ganz
undenkbar. Es war garnicht anzunehmen, daß er auf Ansprüche verzichten sollte,
die ihm einen so stolzen Namen in Aussicht stellten. Es war unmöglich zu
glauben, daß er hierher gekommen sei, wenn er nicht die Absicht hatte, sein
vermeintliches Recht geltend zu machen. Wenn er dies aber wollte - welche
unübersehbare Reihe von Unannehmlichkeiten, von Gefahren, von Schrecknissen
der drohendsten Natur stiegen vor ihr auf!

War es nicht beunruhigend, daß der Schwarze so stumm war? Lag nicht
der Ruhe, mit welcher sich die Leute in dein kleinen Gasthofe, Herr und Diener,
anscheinend verhielten, eine böse Absicht zu Grunde? Jene Frau war tot. und
ihr Sohn hielt sich in Deutschland auf, hier, ganz in ihrer Nähe, ohne daß sie,
die Gräfin, irgend etwas davon erfahren hatte -- glich das nicht einer im
stillen schleichenden Verfolgung? Sie hatte eine Miene der Friedfertigkeit und
Versöhnlichkeit gezeigt. Nicht in wahrer Herzeusmeinung, sondern um den alten
Diener sicher zu machen und ihn auszuforschen. Aber war es nicht vielleicht
das klügste, diese Miene beizubehalten und eine Politik zu verfolgen, die dieser
Miene entsprach? Konnte sie nicht am besten aller Sorge und Gefahr entgehen,
indem sie jenem jungen Manne, der ihre Ruhe bedrohte, freundschaftlich ent¬
gegenkam? Vielleicht suchte er nur solche Vorteile zu erringen, welche er er¬
reichen konnte, ohne daß er die Gräfin und ihren^Sohn im Besitz ihres Namens,
Titels und Vermögens anzugreifen brauchte.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Lächeln über alles, was Menschen heilig zu sein pflegt, noch jetzt so lebendig und auf¬
reizend vor ihr auftauchte, daß sie die Lippen zusammenpreßte und die Stirne faltete,
wie damals vor fünfundzwanzig Jahren, als dies Lächeln sie in den Abgrund stieß.

Wohin waren jene Jahre, wohin jene Glut der Empfindungen, die dem
Leben Wert gab, wohin jene Liebe, jener Haß? Es wäre besser gewesen,
damals zu sterben, als einer thörichten Klugheit zu folgen und ein Dasein fort¬
zusetzen, dessen Blüte verwelkt war, und eine Bürde sich aufzuladen, die der
Mühe des Tragens kaum wert war. Was hatte die Vermählung mit dem
ungeliebten Manne ihr gebracht, als eine unendliche Reihe jener grauen Tage,
die der Mühe sie zu beginnen und zu enden nicht lohnen, und als eine Kette
von Verpflichtungen und Sorgen und Eitelkeiten, die sich unzerreißbar immer
fester und dichter schlang und die doch nur ein Spinngewebe blieb, so stark
und schwer sie auch trügerischerweise aussah? Waren für die Gräfin Sibylle
ihre Stellung im Leben, ihr Rang, ihr Vermögen und ihre Pläne, war ihr
Sohn selbst wirklich eine ernsthafte Sache, so ernsthaft, daß sie von neuem
einen Kampf darum anfangen sollte?

Gräfin Sibylle biß die Zähne zusammen, und Pläne der verschiedensten
Art zuckten durch ihr Gehirn.

Konnte sie den Versicherungen des alten Negers Glauben schenken, daß der
Sohn jener Frau, die sie von jeher für ihre schlimmste Feindin gehalten hatte,
sich ohne jede Absicht der Rache nach Deutschland begeben habe? Es war ganz
undenkbar. Es war garnicht anzunehmen, daß er auf Ansprüche verzichten sollte,
die ihm einen so stolzen Namen in Aussicht stellten. Es war unmöglich zu
glauben, daß er hierher gekommen sei, wenn er nicht die Absicht hatte, sein
vermeintliches Recht geltend zu machen. Wenn er dies aber wollte - welche
unübersehbare Reihe von Unannehmlichkeiten, von Gefahren, von Schrecknissen
der drohendsten Natur stiegen vor ihr auf!

War es nicht beunruhigend, daß der Schwarze so stumm war? Lag nicht
der Ruhe, mit welcher sich die Leute in dein kleinen Gasthofe, Herr und Diener,
anscheinend verhielten, eine böse Absicht zu Grunde? Jene Frau war tot. und
ihr Sohn hielt sich in Deutschland auf, hier, ganz in ihrer Nähe, ohne daß sie,
die Gräfin, irgend etwas davon erfahren hatte — glich das nicht einer im
stillen schleichenden Verfolgung? Sie hatte eine Miene der Friedfertigkeit und
Versöhnlichkeit gezeigt. Nicht in wahrer Herzeusmeinung, sondern um den alten
Diener sicher zu machen und ihn auszuforschen. Aber war es nicht vielleicht
das klügste, diese Miene beizubehalten und eine Politik zu verfolgen, die dieser
Miene entsprach? Konnte sie nicht am besten aller Sorge und Gefahr entgehen,
indem sie jenem jungen Manne, der ihre Ruhe bedrohte, freundschaftlich ent¬
gegenkam? Vielleicht suchte er nur solche Vorteile zu erringen, welche er er¬
reichen konnte, ohne daß er die Gräfin und ihren^Sohn im Besitz ihres Namens,
Titels und Vermögens anzugreifen brauchte.


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[0597] Die Grafen von Altenschwerdt. Lächeln über alles, was Menschen heilig zu sein pflegt, noch jetzt so lebendig und auf¬ reizend vor ihr auftauchte, daß sie die Lippen zusammenpreßte und die Stirne faltete, wie damals vor fünfundzwanzig Jahren, als dies Lächeln sie in den Abgrund stieß. Wohin waren jene Jahre, wohin jene Glut der Empfindungen, die dem Leben Wert gab, wohin jene Liebe, jener Haß? Es wäre besser gewesen, damals zu sterben, als einer thörichten Klugheit zu folgen und ein Dasein fort¬ zusetzen, dessen Blüte verwelkt war, und eine Bürde sich aufzuladen, die der Mühe des Tragens kaum wert war. Was hatte die Vermählung mit dem ungeliebten Manne ihr gebracht, als eine unendliche Reihe jener grauen Tage, die der Mühe sie zu beginnen und zu enden nicht lohnen, und als eine Kette von Verpflichtungen und Sorgen und Eitelkeiten, die sich unzerreißbar immer fester und dichter schlang und die doch nur ein Spinngewebe blieb, so stark und schwer sie auch trügerischerweise aussah? Waren für die Gräfin Sibylle ihre Stellung im Leben, ihr Rang, ihr Vermögen und ihre Pläne, war ihr Sohn selbst wirklich eine ernsthafte Sache, so ernsthaft, daß sie von neuem einen Kampf darum anfangen sollte? Gräfin Sibylle biß die Zähne zusammen, und Pläne der verschiedensten Art zuckten durch ihr Gehirn. Konnte sie den Versicherungen des alten Negers Glauben schenken, daß der Sohn jener Frau, die sie von jeher für ihre schlimmste Feindin gehalten hatte, sich ohne jede Absicht der Rache nach Deutschland begeben habe? Es war ganz undenkbar. Es war garnicht anzunehmen, daß er auf Ansprüche verzichten sollte, die ihm einen so stolzen Namen in Aussicht stellten. Es war unmöglich zu glauben, daß er hierher gekommen sei, wenn er nicht die Absicht hatte, sein vermeintliches Recht geltend zu machen. Wenn er dies aber wollte - welche unübersehbare Reihe von Unannehmlichkeiten, von Gefahren, von Schrecknissen der drohendsten Natur stiegen vor ihr auf! War es nicht beunruhigend, daß der Schwarze so stumm war? Lag nicht der Ruhe, mit welcher sich die Leute in dein kleinen Gasthofe, Herr und Diener, anscheinend verhielten, eine böse Absicht zu Grunde? Jene Frau war tot. und ihr Sohn hielt sich in Deutschland auf, hier, ganz in ihrer Nähe, ohne daß sie, die Gräfin, irgend etwas davon erfahren hatte — glich das nicht einer im stillen schleichenden Verfolgung? Sie hatte eine Miene der Friedfertigkeit und Versöhnlichkeit gezeigt. Nicht in wahrer Herzeusmeinung, sondern um den alten Diener sicher zu machen und ihn auszuforschen. Aber war es nicht vielleicht das klügste, diese Miene beizubehalten und eine Politik zu verfolgen, die dieser Miene entsprach? Konnte sie nicht am besten aller Sorge und Gefahr entgehen, indem sie jenem jungen Manne, der ihre Ruhe bedrohte, freundschaftlich ent¬ gegenkam? Vielleicht suchte er nur solche Vorteile zu erringen, welche er er¬ reichen konnte, ohne daß er die Gräfin und ihren^Sohn im Besitz ihres Namens, Titels und Vermögens anzugreifen brauchte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/597>, abgerufen am 03.07.2024.