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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Marie und ihren Sohn kennen! Dies beklagenswerte Mißtrauen, dem ich auf
dieser Seite immer begegnete, ist die eigentliche Schuld an der Entfremdung
zwischen Menschen, die sich nahe stehen sollten, Ihnen gegenüber mache ich gern
meinem Herzen Luft, denn ich weiß, daß Sie ein ehrlicher, wohlmeinender Mann
und der treueste Freund, wenn ich so sagen darf, jener bedauernswerten Dame
waren. Ich versichere Ihnen, Andrew, wenn es nur auf mich ankäme, so sollte
das herzlichste Einvernehmen zwischen mir und den Eschenburgs immer geherrscht
haben. Denn schließlich -- was ist der Grund dieser Feindschaft? Nichts
als die Schuld eines Mannes, der lange schon nicht mehr unter den Lebenden
weilt und dem wir nichts mehr nachtragen dürfen. Ja ich gehe sogar soweit,
zu glauben, daß Ihre verstorbene Gebieterin, mein lieber Andrew, sich im Ernst
eingebildet hat, sie wäre mit dem Grafen Altenschwerdt verheiratet gewesen. Ist
es nicht so?

Der Schwarze hörte voll Argwohn diesen Worten zu. Gewiß, sagte er,
hat sich meine selige Lady das eingebildet. Aber sie hat es sich nicht nur ein¬
gebildet, sondern gewußt.

Die Gräfin zuckte die Achseln. Als ob ein so stolzer Mann, wie mein
Gemahl, jemals ein Bürgermädchen geheiratet haben würde! entgegnete sie.
Doch das verstehen Sie nicht, Andrew. Sie kennen die Verhältnisse der euro¬
päischen vornehmen Welt uicht. Es ist ganz unmöglich, sage ich Ihnen. Sie
meinten, wenn Ihr Herr hier wäre, würde er mir die Dokumente zeigen, auf
welche sich Mariens Glaube gründete. Da er nun nicht hier ist -- wollen Sie
sie mir nicht zeigen? Gewiß ist ein so vertrauenswürdiger Mann wie Sie im
Besitz des Schlüssels zu dieser Schatulle.

Andrew schüttelte den Kopf. Ich bedaure, daß ich Ihre" Wünschen in
keiner Weise nachkommen kann, Frau Gräfin.

Es ist schade, sagte sie. Mit so leichter Mühe könnte diese MißHelligkeit
zwischen Ihrem Herrn und mir beigelegt werden. Und das würde nur zu seinem
Vorteile sein. Ich könnte ihn protegiren, mein lieber Andrew. Er ist ein un¬
bekannter, frcnndloser Manu in diesem Lande. Ich könnte ihn mit reichen und
vornehmen Leuten bekannt machen, die ihm seine Bilder abkauften.

Sie beobachtete sorgfältig die Miene des Schwarzen, ob nicht etwa doch
ein Eindruck ihrer Worte bei ihm zu entdecken sei, sie überlegte, ob es vielleicht
ratsam wäre, durch ein Anerbieten von Geld sich diesen Mann gefügig zu machen.
Aber sie konnte kein günstiges Zeichen in seinem Wesen wahrnehme,: und fürchtete,
durch den Versuch der Bestechung diesen erprobten langjährigen Diener völlig
argwöhnisch zu machen.

So entschloß sie sich denn, sich mit der Erfahrung zu begnügen, daß die
bedeutungsvollen Schriftstücke, welche sie zu sehen wünschte, sich in diesem Zimmer
und dieser Kassette befänden, und trat unter der Maske der Freundlichkeit
ihren Rückzug an.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Marie und ihren Sohn kennen! Dies beklagenswerte Mißtrauen, dem ich auf
dieser Seite immer begegnete, ist die eigentliche Schuld an der Entfremdung
zwischen Menschen, die sich nahe stehen sollten, Ihnen gegenüber mache ich gern
meinem Herzen Luft, denn ich weiß, daß Sie ein ehrlicher, wohlmeinender Mann
und der treueste Freund, wenn ich so sagen darf, jener bedauernswerten Dame
waren. Ich versichere Ihnen, Andrew, wenn es nur auf mich ankäme, so sollte
das herzlichste Einvernehmen zwischen mir und den Eschenburgs immer geherrscht
haben. Denn schließlich — was ist der Grund dieser Feindschaft? Nichts
als die Schuld eines Mannes, der lange schon nicht mehr unter den Lebenden
weilt und dem wir nichts mehr nachtragen dürfen. Ja ich gehe sogar soweit,
zu glauben, daß Ihre verstorbene Gebieterin, mein lieber Andrew, sich im Ernst
eingebildet hat, sie wäre mit dem Grafen Altenschwerdt verheiratet gewesen. Ist
es nicht so?

Der Schwarze hörte voll Argwohn diesen Worten zu. Gewiß, sagte er,
hat sich meine selige Lady das eingebildet. Aber sie hat es sich nicht nur ein¬
gebildet, sondern gewußt.

Die Gräfin zuckte die Achseln. Als ob ein so stolzer Mann, wie mein
Gemahl, jemals ein Bürgermädchen geheiratet haben würde! entgegnete sie.
Doch das verstehen Sie nicht, Andrew. Sie kennen die Verhältnisse der euro¬
päischen vornehmen Welt uicht. Es ist ganz unmöglich, sage ich Ihnen. Sie
meinten, wenn Ihr Herr hier wäre, würde er mir die Dokumente zeigen, auf
welche sich Mariens Glaube gründete. Da er nun nicht hier ist — wollen Sie
sie mir nicht zeigen? Gewiß ist ein so vertrauenswürdiger Mann wie Sie im
Besitz des Schlüssels zu dieser Schatulle.

Andrew schüttelte den Kopf. Ich bedaure, daß ich Ihre» Wünschen in
keiner Weise nachkommen kann, Frau Gräfin.

Es ist schade, sagte sie. Mit so leichter Mühe könnte diese MißHelligkeit
zwischen Ihrem Herrn und mir beigelegt werden. Und das würde nur zu seinem
Vorteile sein. Ich könnte ihn protegiren, mein lieber Andrew. Er ist ein un¬
bekannter, frcnndloser Manu in diesem Lande. Ich könnte ihn mit reichen und
vornehmen Leuten bekannt machen, die ihm seine Bilder abkauften.

Sie beobachtete sorgfältig die Miene des Schwarzen, ob nicht etwa doch
ein Eindruck ihrer Worte bei ihm zu entdecken sei, sie überlegte, ob es vielleicht
ratsam wäre, durch ein Anerbieten von Geld sich diesen Mann gefügig zu machen.
Aber sie konnte kein günstiges Zeichen in seinem Wesen wahrnehme,: und fürchtete,
durch den Versuch der Bestechung diesen erprobten langjährigen Diener völlig
argwöhnisch zu machen.

So entschloß sie sich denn, sich mit der Erfahrung zu begnügen, daß die
bedeutungsvollen Schriftstücke, welche sie zu sehen wünschte, sich in diesem Zimmer
und dieser Kassette befänden, und trat unter der Maske der Freundlichkeit
ihren Rückzug an.


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[0595] Die Grafen von Altenschwerdt. Marie und ihren Sohn kennen! Dies beklagenswerte Mißtrauen, dem ich auf dieser Seite immer begegnete, ist die eigentliche Schuld an der Entfremdung zwischen Menschen, die sich nahe stehen sollten, Ihnen gegenüber mache ich gern meinem Herzen Luft, denn ich weiß, daß Sie ein ehrlicher, wohlmeinender Mann und der treueste Freund, wenn ich so sagen darf, jener bedauernswerten Dame waren. Ich versichere Ihnen, Andrew, wenn es nur auf mich ankäme, so sollte das herzlichste Einvernehmen zwischen mir und den Eschenburgs immer geherrscht haben. Denn schließlich — was ist der Grund dieser Feindschaft? Nichts als die Schuld eines Mannes, der lange schon nicht mehr unter den Lebenden weilt und dem wir nichts mehr nachtragen dürfen. Ja ich gehe sogar soweit, zu glauben, daß Ihre verstorbene Gebieterin, mein lieber Andrew, sich im Ernst eingebildet hat, sie wäre mit dem Grafen Altenschwerdt verheiratet gewesen. Ist es nicht so? Der Schwarze hörte voll Argwohn diesen Worten zu. Gewiß, sagte er, hat sich meine selige Lady das eingebildet. Aber sie hat es sich nicht nur ein¬ gebildet, sondern gewußt. Die Gräfin zuckte die Achseln. Als ob ein so stolzer Mann, wie mein Gemahl, jemals ein Bürgermädchen geheiratet haben würde! entgegnete sie. Doch das verstehen Sie nicht, Andrew. Sie kennen die Verhältnisse der euro¬ päischen vornehmen Welt uicht. Es ist ganz unmöglich, sage ich Ihnen. Sie meinten, wenn Ihr Herr hier wäre, würde er mir die Dokumente zeigen, auf welche sich Mariens Glaube gründete. Da er nun nicht hier ist — wollen Sie sie mir nicht zeigen? Gewiß ist ein so vertrauenswürdiger Mann wie Sie im Besitz des Schlüssels zu dieser Schatulle. Andrew schüttelte den Kopf. Ich bedaure, daß ich Ihre» Wünschen in keiner Weise nachkommen kann, Frau Gräfin. Es ist schade, sagte sie. Mit so leichter Mühe könnte diese MißHelligkeit zwischen Ihrem Herrn und mir beigelegt werden. Und das würde nur zu seinem Vorteile sein. Ich könnte ihn protegiren, mein lieber Andrew. Er ist ein un¬ bekannter, frcnndloser Manu in diesem Lande. Ich könnte ihn mit reichen und vornehmen Leuten bekannt machen, die ihm seine Bilder abkauften. Sie beobachtete sorgfältig die Miene des Schwarzen, ob nicht etwa doch ein Eindruck ihrer Worte bei ihm zu entdecken sei, sie überlegte, ob es vielleicht ratsam wäre, durch ein Anerbieten von Geld sich diesen Mann gefügig zu machen. Aber sie konnte kein günstiges Zeichen in seinem Wesen wahrnehme,: und fürchtete, durch den Versuch der Bestechung diesen erprobten langjährigen Diener völlig argwöhnisch zu machen. So entschloß sie sich denn, sich mit der Erfahrung zu begnügen, daß die bedeutungsvollen Schriftstücke, welche sie zu sehen wünschte, sich in diesem Zimmer und dieser Kassette befänden, und trat unter der Maske der Freundlichkeit ihren Rückzug an.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/595>, abgerufen am 23.07.2024.