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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die erste Woche des neue" Ministeriums in Frankreich.

hold gesetzte Offizier, ja mit Ausnahme der Garde jeder Korporal des aktiven
Heeres als Agent für die Wiedereinsetzung Napoleons thätig. In den Trommeln
der Regimenter hielt man dreifarbige Kokarden versteckt, Massen entlassener
Soldaten bearbeiteten die untern Volksklassen, allenthalben zirknlirte das Veilchen,
die Lieblingsblume der Bonapartes, und man hörte die baldige Rückkehr Non-
siknr Violst" in allen Schenken und Kaffeehäusern prophezeien, bis sie endlich
in Wirklichkeit erfolgte. Auch nach dem Tage von Waterloo und der zweiten
Restauration der Bourbonen gab es in der französischen Armee noch zahlreiche
Verschwörungen für die Tricolore und gegen die weiße Fahne der Legitimität,
und als 1848 die Dynastie der Orleans siel, nahm der Prinz Ludwig Na¬
poleon den inzwischen sehr verwirrten, aber doch nicht ganz zerrissenen Faden
mit geschickter Hand wieder auf und zwar mit großem Erfolg, denn infolge der
unklugen Politik Ludwig Philipps war die napoleonische Legende nicht mir nicht
verschwunden, sondern zu kräftigerem Leben gelangt.

Der sonst recht schlaue König schmeichelte sich, wirklich zu sein, was seine
Höflinge ihm einredeten, der "Napoleon des Friedens," und bildete sich ein,
seine Unterthanen würden ihn in seiner friedliche" Praxis unterstützen, während
er sie ermutigte, in der Theorie die Idee des kriegerischen Napoleon zu be¬
wundern. Die Überführung der Gebeine des großen Friedensstörers von
Se. Helena nach Frankreich, deren feierliche Beisetzung im Dome der Invaliden,
die Duldung bonapartistischer Schriften, Bilder und Dramen, alles erhielt die
Legende des Siegers von Marengo und Austerlitz am Leben, und so kann man
behaupten, daß Ludwig Philipp, indem er die still glimmende Flamme des
Cäsarismus nährte, praktisch ein schlimmerer Verschwörer gegen sich selbst war
als die parlamentarische Opposition, deren Hauptziele die Entfernung Guizots
aus dem Amte und eine Reform des Wahlgesetzes waren, die aber im Streben
nach diesen Zielen den Dämon der französischen Demokratie weckte, und vou
der Beredsamkeit Lamartines, Aragos und Ledru-Nollins bis zum Wahnsinn
aufgestachelt, zuletzt nicht nur den verhaßten Minister, sondern auch die Juli-
mouarchie zum Scheitern brachte. Vorher war der Sohn Philippe Egalites
vielen als ein sehr glücklicher Fürst erschienen. Er hatte den Kopf auf den
Schultern behalten, als sein Vater den seinen verlor, er hatte, nachdem er in
der Verbannung sich als Lehrer der Mathematik an einer Schule in der Schweiz
notdürftig das Leben gefristet, als gekrönter Börsenspekulant großen Reichtum
erworben, er hatte den legitimen König von Frankreich vom Throne gestoßen
und dann an dessen Stelle im ganzen mit Mäßigung und Klugheit regiert,
sodaß Frankreich unter ihm glücklich und dem Anschein uach zufrieden war. Er
war endlich der Vater einer zahlreichen Familie, deren männliche Mitglieder sich
im Felde wie in den Künsten des Friedens auszeichneten, und es war ihm ge¬
lungen, den Herzögen von Orleans, Nemours, Aumale und Joinville eine
glänzende Laufbahn zu eröffnen, ohne sich in Verwicklungen mit den europäischen


Die erste Woche des neue« Ministeriums in Frankreich.

hold gesetzte Offizier, ja mit Ausnahme der Garde jeder Korporal des aktiven
Heeres als Agent für die Wiedereinsetzung Napoleons thätig. In den Trommeln
der Regimenter hielt man dreifarbige Kokarden versteckt, Massen entlassener
Soldaten bearbeiteten die untern Volksklassen, allenthalben zirknlirte das Veilchen,
die Lieblingsblume der Bonapartes, und man hörte die baldige Rückkehr Non-
siknr Violst« in allen Schenken und Kaffeehäusern prophezeien, bis sie endlich
in Wirklichkeit erfolgte. Auch nach dem Tage von Waterloo und der zweiten
Restauration der Bourbonen gab es in der französischen Armee noch zahlreiche
Verschwörungen für die Tricolore und gegen die weiße Fahne der Legitimität,
und als 1848 die Dynastie der Orleans siel, nahm der Prinz Ludwig Na¬
poleon den inzwischen sehr verwirrten, aber doch nicht ganz zerrissenen Faden
mit geschickter Hand wieder auf und zwar mit großem Erfolg, denn infolge der
unklugen Politik Ludwig Philipps war die napoleonische Legende nicht mir nicht
verschwunden, sondern zu kräftigerem Leben gelangt.

Der sonst recht schlaue König schmeichelte sich, wirklich zu sein, was seine
Höflinge ihm einredeten, der „Napoleon des Friedens," und bildete sich ein,
seine Unterthanen würden ihn in seiner friedliche» Praxis unterstützen, während
er sie ermutigte, in der Theorie die Idee des kriegerischen Napoleon zu be¬
wundern. Die Überführung der Gebeine des großen Friedensstörers von
Se. Helena nach Frankreich, deren feierliche Beisetzung im Dome der Invaliden,
die Duldung bonapartistischer Schriften, Bilder und Dramen, alles erhielt die
Legende des Siegers von Marengo und Austerlitz am Leben, und so kann man
behaupten, daß Ludwig Philipp, indem er die still glimmende Flamme des
Cäsarismus nährte, praktisch ein schlimmerer Verschwörer gegen sich selbst war
als die parlamentarische Opposition, deren Hauptziele die Entfernung Guizots
aus dem Amte und eine Reform des Wahlgesetzes waren, die aber im Streben
nach diesen Zielen den Dämon der französischen Demokratie weckte, und vou
der Beredsamkeit Lamartines, Aragos und Ledru-Nollins bis zum Wahnsinn
aufgestachelt, zuletzt nicht nur den verhaßten Minister, sondern auch die Juli-
mouarchie zum Scheitern brachte. Vorher war der Sohn Philippe Egalites
vielen als ein sehr glücklicher Fürst erschienen. Er hatte den Kopf auf den
Schultern behalten, als sein Vater den seinen verlor, er hatte, nachdem er in
der Verbannung sich als Lehrer der Mathematik an einer Schule in der Schweiz
notdürftig das Leben gefristet, als gekrönter Börsenspekulant großen Reichtum
erworben, er hatte den legitimen König von Frankreich vom Throne gestoßen
und dann an dessen Stelle im ganzen mit Mäßigung und Klugheit regiert,
sodaß Frankreich unter ihm glücklich und dem Anschein uach zufrieden war. Er
war endlich der Vater einer zahlreichen Familie, deren männliche Mitglieder sich
im Felde wie in den Künsten des Friedens auszeichneten, und es war ihm ge¬
lungen, den Herzögen von Orleans, Nemours, Aumale und Joinville eine
glänzende Laufbahn zu eröffnen, ohne sich in Verwicklungen mit den europäischen


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[0557] Die erste Woche des neue« Ministeriums in Frankreich. hold gesetzte Offizier, ja mit Ausnahme der Garde jeder Korporal des aktiven Heeres als Agent für die Wiedereinsetzung Napoleons thätig. In den Trommeln der Regimenter hielt man dreifarbige Kokarden versteckt, Massen entlassener Soldaten bearbeiteten die untern Volksklassen, allenthalben zirknlirte das Veilchen, die Lieblingsblume der Bonapartes, und man hörte die baldige Rückkehr Non- siknr Violst« in allen Schenken und Kaffeehäusern prophezeien, bis sie endlich in Wirklichkeit erfolgte. Auch nach dem Tage von Waterloo und der zweiten Restauration der Bourbonen gab es in der französischen Armee noch zahlreiche Verschwörungen für die Tricolore und gegen die weiße Fahne der Legitimität, und als 1848 die Dynastie der Orleans siel, nahm der Prinz Ludwig Na¬ poleon den inzwischen sehr verwirrten, aber doch nicht ganz zerrissenen Faden mit geschickter Hand wieder auf und zwar mit großem Erfolg, denn infolge der unklugen Politik Ludwig Philipps war die napoleonische Legende nicht mir nicht verschwunden, sondern zu kräftigerem Leben gelangt. Der sonst recht schlaue König schmeichelte sich, wirklich zu sein, was seine Höflinge ihm einredeten, der „Napoleon des Friedens," und bildete sich ein, seine Unterthanen würden ihn in seiner friedliche» Praxis unterstützen, während er sie ermutigte, in der Theorie die Idee des kriegerischen Napoleon zu be¬ wundern. Die Überführung der Gebeine des großen Friedensstörers von Se. Helena nach Frankreich, deren feierliche Beisetzung im Dome der Invaliden, die Duldung bonapartistischer Schriften, Bilder und Dramen, alles erhielt die Legende des Siegers von Marengo und Austerlitz am Leben, und so kann man behaupten, daß Ludwig Philipp, indem er die still glimmende Flamme des Cäsarismus nährte, praktisch ein schlimmerer Verschwörer gegen sich selbst war als die parlamentarische Opposition, deren Hauptziele die Entfernung Guizots aus dem Amte und eine Reform des Wahlgesetzes waren, die aber im Streben nach diesen Zielen den Dämon der französischen Demokratie weckte, und vou der Beredsamkeit Lamartines, Aragos und Ledru-Nollins bis zum Wahnsinn aufgestachelt, zuletzt nicht nur den verhaßten Minister, sondern auch die Juli- mouarchie zum Scheitern brachte. Vorher war der Sohn Philippe Egalites vielen als ein sehr glücklicher Fürst erschienen. Er hatte den Kopf auf den Schultern behalten, als sein Vater den seinen verlor, er hatte, nachdem er in der Verbannung sich als Lehrer der Mathematik an einer Schule in der Schweiz notdürftig das Leben gefristet, als gekrönter Börsenspekulant großen Reichtum erworben, er hatte den legitimen König von Frankreich vom Throne gestoßen und dann an dessen Stelle im ganzen mit Mäßigung und Klugheit regiert, sodaß Frankreich unter ihm glücklich und dem Anschein uach zufrieden war. Er war endlich der Vater einer zahlreichen Familie, deren männliche Mitglieder sich im Felde wie in den Künsten des Friedens auszeichneten, und es war ihm ge¬ lungen, den Herzögen von Orleans, Nemours, Aumale und Joinville eine glänzende Laufbahn zu eröffnen, ohne sich in Verwicklungen mit den europäischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/557>, abgerufen am 01.07.2024.