Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich.

vermag. Selbst in den glänzenden Tagen, wo er das Palais Royal bewohnte,
war er in Frankreich nicht beliebt. Das italienische Volk verhielt sich gleich-
giltig gegen ihn, obwohl er der Schwiegersohn eines der beliebtesten Monarchen
auf dem Festlande war, und ehe er die Pariser durch einen Staatsstreich mit
Druckerschwärze und Kleister überraschte und amüsirte, war es ihm gelungen,
sich so ziemlich in Vergessenheit zu bringen. Indem ihm die französische Ne¬
gierung in die Conciergerie steckte und wegen eines abgeschmackten Manifestes
einen Prozeß gegen ihn anstrengte, der mißglücken mußte, verschaffte sie ihm
genau, was er sich wünschte, ein bischen wohlfeile Reklame, die sich aber bald
wieder in nichts verflüchtigte. Die dem Prinzen zugedachte Schrotladung ver¬
fehlte ihn, die Taube flog davon, mit beschmutzten Gefieder zwar, aber mit
heiler Haut. Indeß hat jede Kugel ihr Ziel, und so ist auch der republikanische
Schrotschuß nicht ganz und gar vergeblich verpufft worden: statt der bona-
partistischen Taube hat man die orleanistische Krähe erlegt. Die wütenden Ver-
bannungscdikte, welche die radikale Linke der Deputirtenkammer im Ange hatte,
wurden von dem Gerechtigkeitssinn und dem gesunden Menschenverstande des
Senats verworfen, aber ein Ziel, das dem Herzen der extremen Republikaner
Frankreichs teuer war, ist doch erreicht worden: man hat den orleanistischen
Prinzen die Möglichkeit benommen, fürderhin französische Soldaten zu befehligen."

So sehen wir denn in der Angelegenheit einen Prinzen, der sich selbst als
Prätendenten hinstellt, vollkommen straflos bleiben und in eine Lage kommen,
wo er sich, falls er Genossen von Einfluß findet, weiter Verschwörungen be¬
treiben kann, während andrerseits ein vollkommen unverdienter militärischer
Ostracismus über drei Prinzen verhängt worden ist, die sich, so viel man weiß,
niemals auf Verschwörungen eingelassen haben, und die ihre Lage moralisch
außer Stand setzt, als Prätendenten aufzutreten. Das Haupt der Familie
Orleans ist der Graf von Paris, der aber den höhern Rechtsanspruch der ältern
Linie der Bourbonen auf den französischen Thron deutlich und rückhaltlos an¬
erkannt hat, sodaß bis zum Tode des Grafen Chambord der älteste Sohn
Ludwig Philipps nicht daran denken kann, als Erbe der Krone aufzutreten,
vorausgesetzt, daß die Monarchie in Frankreich sich von den Toten erwecken
läßt. Diese Voraussetzung aber hat die französischen Republikaner offenbar er¬
füllt und wie ein Spuk, wie eine furchtbare Vision geängstigt. Sie sahen da
im Geiste, wie ein Jägeroberst und ein Artilleriehauptmmm die unter ihrem
Befehl stehenden Truppen so bearbeiteten, daß daraus ein Militäraufstand nach
Art der spanischen Pronunciamientos sich entwickelte, infolge dessen der Herzog
d'Aumale zum Generalleutnant oder Verweser des Königreichs gewählt wurde,
was wieder nur der erste Schritt zur Thronbesteigung König Heinrich des
Fünften war, von dem dann der Graf von Paris die Krone erbte.

Im Herbst 1814 und im Frühjahr 1815 verfuhren die zum Sturze der
Bourbonen verschworenen Imperialisten anders. Damals war jeder auf Halb-


Die erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich.

vermag. Selbst in den glänzenden Tagen, wo er das Palais Royal bewohnte,
war er in Frankreich nicht beliebt. Das italienische Volk verhielt sich gleich-
giltig gegen ihn, obwohl er der Schwiegersohn eines der beliebtesten Monarchen
auf dem Festlande war, und ehe er die Pariser durch einen Staatsstreich mit
Druckerschwärze und Kleister überraschte und amüsirte, war es ihm gelungen,
sich so ziemlich in Vergessenheit zu bringen. Indem ihm die französische Ne¬
gierung in die Conciergerie steckte und wegen eines abgeschmackten Manifestes
einen Prozeß gegen ihn anstrengte, der mißglücken mußte, verschaffte sie ihm
genau, was er sich wünschte, ein bischen wohlfeile Reklame, die sich aber bald
wieder in nichts verflüchtigte. Die dem Prinzen zugedachte Schrotladung ver¬
fehlte ihn, die Taube flog davon, mit beschmutzten Gefieder zwar, aber mit
heiler Haut. Indeß hat jede Kugel ihr Ziel, und so ist auch der republikanische
Schrotschuß nicht ganz und gar vergeblich verpufft worden: statt der bona-
partistischen Taube hat man die orleanistische Krähe erlegt. Die wütenden Ver-
bannungscdikte, welche die radikale Linke der Deputirtenkammer im Ange hatte,
wurden von dem Gerechtigkeitssinn und dem gesunden Menschenverstande des
Senats verworfen, aber ein Ziel, das dem Herzen der extremen Republikaner
Frankreichs teuer war, ist doch erreicht worden: man hat den orleanistischen
Prinzen die Möglichkeit benommen, fürderhin französische Soldaten zu befehligen."

So sehen wir denn in der Angelegenheit einen Prinzen, der sich selbst als
Prätendenten hinstellt, vollkommen straflos bleiben und in eine Lage kommen,
wo er sich, falls er Genossen von Einfluß findet, weiter Verschwörungen be¬
treiben kann, während andrerseits ein vollkommen unverdienter militärischer
Ostracismus über drei Prinzen verhängt worden ist, die sich, so viel man weiß,
niemals auf Verschwörungen eingelassen haben, und die ihre Lage moralisch
außer Stand setzt, als Prätendenten aufzutreten. Das Haupt der Familie
Orleans ist der Graf von Paris, der aber den höhern Rechtsanspruch der ältern
Linie der Bourbonen auf den französischen Thron deutlich und rückhaltlos an¬
erkannt hat, sodaß bis zum Tode des Grafen Chambord der älteste Sohn
Ludwig Philipps nicht daran denken kann, als Erbe der Krone aufzutreten,
vorausgesetzt, daß die Monarchie in Frankreich sich von den Toten erwecken
läßt. Diese Voraussetzung aber hat die französischen Republikaner offenbar er¬
füllt und wie ein Spuk, wie eine furchtbare Vision geängstigt. Sie sahen da
im Geiste, wie ein Jägeroberst und ein Artilleriehauptmmm die unter ihrem
Befehl stehenden Truppen so bearbeiteten, daß daraus ein Militäraufstand nach
Art der spanischen Pronunciamientos sich entwickelte, infolge dessen der Herzog
d'Aumale zum Generalleutnant oder Verweser des Königreichs gewählt wurde,
was wieder nur der erste Schritt zur Thronbesteigung König Heinrich des
Fünften war, von dem dann der Graf von Paris die Krone erbte.

Im Herbst 1814 und im Frühjahr 1815 verfuhren die zum Sturze der
Bourbonen verschworenen Imperialisten anders. Damals war jeder auf Halb-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0556" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152422"/>
          <fw type="header" place="top"> Die erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2112" prev="#ID_2111"> vermag. Selbst in den glänzenden Tagen, wo er das Palais Royal bewohnte,<lb/>
war er in Frankreich nicht beliebt. Das italienische Volk verhielt sich gleich-<lb/>
giltig gegen ihn, obwohl er der Schwiegersohn eines der beliebtesten Monarchen<lb/>
auf dem Festlande war, und ehe er die Pariser durch einen Staatsstreich mit<lb/>
Druckerschwärze und Kleister überraschte und amüsirte, war es ihm gelungen,<lb/>
sich so ziemlich in Vergessenheit zu bringen. Indem ihm die französische Ne¬<lb/>
gierung in die Conciergerie steckte und wegen eines abgeschmackten Manifestes<lb/>
einen Prozeß gegen ihn anstrengte, der mißglücken mußte, verschaffte sie ihm<lb/>
genau, was er sich wünschte, ein bischen wohlfeile Reklame, die sich aber bald<lb/>
wieder in nichts verflüchtigte. Die dem Prinzen zugedachte Schrotladung ver¬<lb/>
fehlte ihn, die Taube flog davon, mit beschmutzten Gefieder zwar, aber mit<lb/>
heiler Haut. Indeß hat jede Kugel ihr Ziel, und so ist auch der republikanische<lb/>
Schrotschuß nicht ganz und gar vergeblich verpufft worden: statt der bona-<lb/>
partistischen Taube hat man die orleanistische Krähe erlegt. Die wütenden Ver-<lb/>
bannungscdikte, welche die radikale Linke der Deputirtenkammer im Ange hatte,<lb/>
wurden von dem Gerechtigkeitssinn und dem gesunden Menschenverstande des<lb/>
Senats verworfen, aber ein Ziel, das dem Herzen der extremen Republikaner<lb/>
Frankreichs teuer war, ist doch erreicht worden: man hat den orleanistischen<lb/>
Prinzen die Möglichkeit benommen, fürderhin französische Soldaten zu befehligen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2113"> So sehen wir denn in der Angelegenheit einen Prinzen, der sich selbst als<lb/>
Prätendenten hinstellt, vollkommen straflos bleiben und in eine Lage kommen,<lb/>
wo er sich, falls er Genossen von Einfluß findet, weiter Verschwörungen be¬<lb/>
treiben kann, während andrerseits ein vollkommen unverdienter militärischer<lb/>
Ostracismus über drei Prinzen verhängt worden ist, die sich, so viel man weiß,<lb/>
niemals auf Verschwörungen eingelassen haben, und die ihre Lage moralisch<lb/>
außer Stand setzt, als Prätendenten aufzutreten. Das Haupt der Familie<lb/>
Orleans ist der Graf von Paris, der aber den höhern Rechtsanspruch der ältern<lb/>
Linie der Bourbonen auf den französischen Thron deutlich und rückhaltlos an¬<lb/>
erkannt hat, sodaß bis zum Tode des Grafen Chambord der älteste Sohn<lb/>
Ludwig Philipps nicht daran denken kann, als Erbe der Krone aufzutreten,<lb/>
vorausgesetzt, daß die Monarchie in Frankreich sich von den Toten erwecken<lb/>
läßt. Diese Voraussetzung aber hat die französischen Republikaner offenbar er¬<lb/>
füllt und wie ein Spuk, wie eine furchtbare Vision geängstigt. Sie sahen da<lb/>
im Geiste, wie ein Jägeroberst und ein Artilleriehauptmmm die unter ihrem<lb/>
Befehl stehenden Truppen so bearbeiteten, daß daraus ein Militäraufstand nach<lb/>
Art der spanischen Pronunciamientos sich entwickelte, infolge dessen der Herzog<lb/>
d'Aumale zum Generalleutnant oder Verweser des Königreichs gewählt wurde,<lb/>
was wieder nur der erste Schritt zur Thronbesteigung König Heinrich des<lb/>
Fünften war, von dem dann der Graf von Paris die Krone erbte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2114" next="#ID_2115"> Im Herbst 1814 und im Frühjahr 1815 verfuhren die zum Sturze der<lb/>
Bourbonen verschworenen Imperialisten anders. Damals war jeder auf Halb-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0556] Die erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich. vermag. Selbst in den glänzenden Tagen, wo er das Palais Royal bewohnte, war er in Frankreich nicht beliebt. Das italienische Volk verhielt sich gleich- giltig gegen ihn, obwohl er der Schwiegersohn eines der beliebtesten Monarchen auf dem Festlande war, und ehe er die Pariser durch einen Staatsstreich mit Druckerschwärze und Kleister überraschte und amüsirte, war es ihm gelungen, sich so ziemlich in Vergessenheit zu bringen. Indem ihm die französische Ne¬ gierung in die Conciergerie steckte und wegen eines abgeschmackten Manifestes einen Prozeß gegen ihn anstrengte, der mißglücken mußte, verschaffte sie ihm genau, was er sich wünschte, ein bischen wohlfeile Reklame, die sich aber bald wieder in nichts verflüchtigte. Die dem Prinzen zugedachte Schrotladung ver¬ fehlte ihn, die Taube flog davon, mit beschmutzten Gefieder zwar, aber mit heiler Haut. Indeß hat jede Kugel ihr Ziel, und so ist auch der republikanische Schrotschuß nicht ganz und gar vergeblich verpufft worden: statt der bona- partistischen Taube hat man die orleanistische Krähe erlegt. Die wütenden Ver- bannungscdikte, welche die radikale Linke der Deputirtenkammer im Ange hatte, wurden von dem Gerechtigkeitssinn und dem gesunden Menschenverstande des Senats verworfen, aber ein Ziel, das dem Herzen der extremen Republikaner Frankreichs teuer war, ist doch erreicht worden: man hat den orleanistischen Prinzen die Möglichkeit benommen, fürderhin französische Soldaten zu befehligen." So sehen wir denn in der Angelegenheit einen Prinzen, der sich selbst als Prätendenten hinstellt, vollkommen straflos bleiben und in eine Lage kommen, wo er sich, falls er Genossen von Einfluß findet, weiter Verschwörungen be¬ treiben kann, während andrerseits ein vollkommen unverdienter militärischer Ostracismus über drei Prinzen verhängt worden ist, die sich, so viel man weiß, niemals auf Verschwörungen eingelassen haben, und die ihre Lage moralisch außer Stand setzt, als Prätendenten aufzutreten. Das Haupt der Familie Orleans ist der Graf von Paris, der aber den höhern Rechtsanspruch der ältern Linie der Bourbonen auf den französischen Thron deutlich und rückhaltlos an¬ erkannt hat, sodaß bis zum Tode des Grafen Chambord der älteste Sohn Ludwig Philipps nicht daran denken kann, als Erbe der Krone aufzutreten, vorausgesetzt, daß die Monarchie in Frankreich sich von den Toten erwecken läßt. Diese Voraussetzung aber hat die französischen Republikaner offenbar er¬ füllt und wie ein Spuk, wie eine furchtbare Vision geängstigt. Sie sahen da im Geiste, wie ein Jägeroberst und ein Artilleriehauptmmm die unter ihrem Befehl stehenden Truppen so bearbeiteten, daß daraus ein Militäraufstand nach Art der spanischen Pronunciamientos sich entwickelte, infolge dessen der Herzog d'Aumale zum Generalleutnant oder Verweser des Königreichs gewählt wurde, was wieder nur der erste Schritt zur Thronbesteigung König Heinrich des Fünften war, von dem dann der Graf von Paris die Krone erbte. Im Herbst 1814 und im Frühjahr 1815 verfuhren die zum Sturze der Bourbonen verschworenen Imperialisten anders. Damals war jeder auf Halb-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/556
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/556>, abgerufen am 29.06.2024.