Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die erste Woche des neuen Ministeriunis in Frankreich.

Großmächten zu stürze". In der Thronrede vom 29. Dezember 1847 konnte
er noch sagen: "Lassen Sie uns nach den Grundsätzen der Charte alle öffent¬
liche" Freiheiten aufrecht erhalten und weiter entwickeln. Damit werden Wir
auf die uns folgenden Geschlechter das Vertrauen "vertragen, das Aus zu Teil
geworden ist, und sie werden Uns segnen, daß Wir das Gebäude gründete" und
verteidigten, unter dessen Dache sie frei und glücklich lebe" werden." Fürwahr,
ein glücklicher König und ein beglücktes Volk! Aber sieben Wochen nach dieser
Ansprache lagen alle diese schönen Dinge, diese stolze" Hoffnungen im Staube.
Das Gebäude, unter dessen Dache zukünftige Generationen frei und glücklich
leben sollten, war wie ein Kartenhaus zusammengefallen, der "Napoleon des
Friedens" unter dem Pseudonym "Mr. Smith" nach England entflohen und
Frankreich eine Republik geworden.

Auch die Kinder Ludwig Philipps siud vom Unglück verfolgt worden.
Geld und Gut zwar besitzen sie in Fülle, auch ist ihnen eine gewisse kühle
Achtung nicht versagt worden. Sie sind ehrenwerte Soldaten, Gelehrte und
Künstler. Aber politisch scheine" sie immer vom Neide der Götter verfolgt, und
der letzte Schlag, der sie in diesen Tagen traf, ist eine düstere Erinnerung an
das erste Unglück, welches die Laufbahn des Gründers der Dynastie verdunkelte.
Wäre nicht ein gewisser Unfall mit einem über die Champs Elysees fahrende"
Wagen passiert, so würde der Gang der konstitutionellen Monarchie in Frankreich
höchst wahrscheinlich keinen Augenblick unterbothen worden sein, und der Herzog
von Orleans, der tapfere, begabte und allgemein beliebte Sohn Ludwig Philipps,
wäre jetzt König der Franzosen. Aber das Unglück, ein Verwandter der Nemesis,
wollte es anders.

Aber kehren wir nach dieser Abschweifung zu dem Ministerium Ferry zurück.
Dasselbe hat -- beiläufig wie viele seiner Vorgänger -- seine Amtsführung
unter glücklichen Sternen begonnen. Die Auseinandersetzung der Politik, die es
zu befolgen gedenkt, ist von der großen Mehrzahl der Zeitungen günstig be¬
urteilt worden. Die Journale namentlich, welche Gambettas Meinung ver¬
traten, erteilten ihr einstimmig große Lobsprüche, und kaum weniger Anerkennung
spendeten ihr die Blätter der gemäßigten republikanischen Partei. Nur die der
äußersten Linken fanden sie "zu autoritativ," und die der äußersten Rechten hatten
sowohl an ihrem Stil als an ihrem Inhalte z" mäkeln. So z. B. der orlea-
nistische I'iM^is, welcher sagt: "Casimir Perier sprach in einem andern Tone,
und Guizot und Thiers schrieben einen bessern Stil." Dagegen prophezeit
das ?N'lÄM6rak, ein Organ des linken Zentrums, von der ministeriellen Er¬
klärung: "Sie wird vom Laude günstig aufgenommen werden," das Liöolo
meint: "Das Kabinet vom 22. Februar tritt sein Amt unter vielverheißenden
Auspizien an," und die Rsxubliouö ^rW^iss bemerkt: "Die Erklärung ist
ganz, was sie sein soll, nämlich fest, klar, bündig, ohne Ehrgeiz, sondern sehr
praktisch."


Die erste Woche des neuen Ministeriunis in Frankreich.

Großmächten zu stürze». In der Thronrede vom 29. Dezember 1847 konnte
er noch sagen: „Lassen Sie uns nach den Grundsätzen der Charte alle öffent¬
liche» Freiheiten aufrecht erhalten und weiter entwickeln. Damit werden Wir
auf die uns folgenden Geschlechter das Vertrauen «vertragen, das Aus zu Teil
geworden ist, und sie werden Uns segnen, daß Wir das Gebäude gründete» und
verteidigten, unter dessen Dache sie frei und glücklich lebe» werden." Fürwahr,
ein glücklicher König und ein beglücktes Volk! Aber sieben Wochen nach dieser
Ansprache lagen alle diese schönen Dinge, diese stolze» Hoffnungen im Staube.
Das Gebäude, unter dessen Dache zukünftige Generationen frei und glücklich
leben sollten, war wie ein Kartenhaus zusammengefallen, der „Napoleon des
Friedens" unter dem Pseudonym „Mr. Smith" nach England entflohen und
Frankreich eine Republik geworden.

Auch die Kinder Ludwig Philipps siud vom Unglück verfolgt worden.
Geld und Gut zwar besitzen sie in Fülle, auch ist ihnen eine gewisse kühle
Achtung nicht versagt worden. Sie sind ehrenwerte Soldaten, Gelehrte und
Künstler. Aber politisch scheine» sie immer vom Neide der Götter verfolgt, und
der letzte Schlag, der sie in diesen Tagen traf, ist eine düstere Erinnerung an
das erste Unglück, welches die Laufbahn des Gründers der Dynastie verdunkelte.
Wäre nicht ein gewisser Unfall mit einem über die Champs Elysees fahrende»
Wagen passiert, so würde der Gang der konstitutionellen Monarchie in Frankreich
höchst wahrscheinlich keinen Augenblick unterbothen worden sein, und der Herzog
von Orleans, der tapfere, begabte und allgemein beliebte Sohn Ludwig Philipps,
wäre jetzt König der Franzosen. Aber das Unglück, ein Verwandter der Nemesis,
wollte es anders.

Aber kehren wir nach dieser Abschweifung zu dem Ministerium Ferry zurück.
Dasselbe hat — beiläufig wie viele seiner Vorgänger — seine Amtsführung
unter glücklichen Sternen begonnen. Die Auseinandersetzung der Politik, die es
zu befolgen gedenkt, ist von der großen Mehrzahl der Zeitungen günstig be¬
urteilt worden. Die Journale namentlich, welche Gambettas Meinung ver¬
traten, erteilten ihr einstimmig große Lobsprüche, und kaum weniger Anerkennung
spendeten ihr die Blätter der gemäßigten republikanischen Partei. Nur die der
äußersten Linken fanden sie „zu autoritativ," und die der äußersten Rechten hatten
sowohl an ihrem Stil als an ihrem Inhalte z» mäkeln. So z. B. der orlea-
nistische I'iM^is, welcher sagt: „Casimir Perier sprach in einem andern Tone,
und Guizot und Thiers schrieben einen bessern Stil." Dagegen prophezeit
das ?N'lÄM6rak, ein Organ des linken Zentrums, von der ministeriellen Er¬
klärung: „Sie wird vom Laude günstig aufgenommen werden," das Liöolo
meint: „Das Kabinet vom 22. Februar tritt sein Amt unter vielverheißenden
Auspizien an," und die Rsxubliouö ^rW^iss bemerkt: „Die Erklärung ist
ganz, was sie sein soll, nämlich fest, klar, bündig, ohne Ehrgeiz, sondern sehr
praktisch."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0558" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152426"/>
          <fw type="header" place="top"> Die erste Woche des neuen Ministeriunis in Frankreich.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2117" prev="#ID_2116"> Großmächten zu stürze». In der Thronrede vom 29. Dezember 1847 konnte<lb/>
er noch sagen: &#x201E;Lassen Sie uns nach den Grundsätzen der Charte alle öffent¬<lb/>
liche» Freiheiten aufrecht erhalten und weiter entwickeln. Damit werden Wir<lb/>
auf die uns folgenden Geschlechter das Vertrauen «vertragen, das Aus zu Teil<lb/>
geworden ist, und sie werden Uns segnen, daß Wir das Gebäude gründete» und<lb/>
verteidigten, unter dessen Dache sie frei und glücklich lebe» werden." Fürwahr,<lb/>
ein glücklicher König und ein beglücktes Volk! Aber sieben Wochen nach dieser<lb/>
Ansprache lagen alle diese schönen Dinge, diese stolze» Hoffnungen im Staube.<lb/>
Das Gebäude, unter dessen Dache zukünftige Generationen frei und glücklich<lb/>
leben sollten, war wie ein Kartenhaus zusammengefallen, der &#x201E;Napoleon des<lb/>
Friedens" unter dem Pseudonym &#x201E;Mr. Smith" nach England entflohen und<lb/>
Frankreich eine Republik geworden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2118"> Auch die Kinder Ludwig Philipps siud vom Unglück verfolgt worden.<lb/>
Geld und Gut zwar besitzen sie in Fülle, auch ist ihnen eine gewisse kühle<lb/>
Achtung nicht versagt worden. Sie sind ehrenwerte Soldaten, Gelehrte und<lb/>
Künstler. Aber politisch scheine» sie immer vom Neide der Götter verfolgt, und<lb/>
der letzte Schlag, der sie in diesen Tagen traf, ist eine düstere Erinnerung an<lb/>
das erste Unglück, welches die Laufbahn des Gründers der Dynastie verdunkelte.<lb/>
Wäre nicht ein gewisser Unfall mit einem über die Champs Elysees fahrende»<lb/>
Wagen passiert, so würde der Gang der konstitutionellen Monarchie in Frankreich<lb/>
höchst wahrscheinlich keinen Augenblick unterbothen worden sein, und der Herzog<lb/>
von Orleans, der tapfere, begabte und allgemein beliebte Sohn Ludwig Philipps,<lb/>
wäre jetzt König der Franzosen. Aber das Unglück, ein Verwandter der Nemesis,<lb/>
wollte es anders.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2119"> Aber kehren wir nach dieser Abschweifung zu dem Ministerium Ferry zurück.<lb/>
Dasselbe hat &#x2014; beiläufig wie viele seiner Vorgänger &#x2014; seine Amtsführung<lb/>
unter glücklichen Sternen begonnen. Die Auseinandersetzung der Politik, die es<lb/>
zu befolgen gedenkt, ist von der großen Mehrzahl der Zeitungen günstig be¬<lb/>
urteilt worden. Die Journale namentlich, welche Gambettas Meinung ver¬<lb/>
traten, erteilten ihr einstimmig große Lobsprüche, und kaum weniger Anerkennung<lb/>
spendeten ihr die Blätter der gemäßigten republikanischen Partei. Nur die der<lb/>
äußersten Linken fanden sie &#x201E;zu autoritativ," und die der äußersten Rechten hatten<lb/>
sowohl an ihrem Stil als an ihrem Inhalte z» mäkeln. So z. B. der orlea-<lb/>
nistische I'iM^is, welcher sagt: &#x201E;Casimir Perier sprach in einem andern Tone,<lb/>
und Guizot und Thiers schrieben einen bessern Stil." Dagegen prophezeit<lb/>
das ?N'lÄM6rak, ein Organ des linken Zentrums, von der ministeriellen Er¬<lb/>
klärung: &#x201E;Sie wird vom Laude günstig aufgenommen werden," das Liöolo<lb/>
meint: &#x201E;Das Kabinet vom 22. Februar tritt sein Amt unter vielverheißenden<lb/>
Auspizien an," und die Rsxubliouö ^rW^iss bemerkt: &#x201E;Die Erklärung ist<lb/>
ganz, was sie sein soll, nämlich fest, klar, bündig, ohne Ehrgeiz, sondern sehr<lb/>
praktisch."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0558] Die erste Woche des neuen Ministeriunis in Frankreich. Großmächten zu stürze». In der Thronrede vom 29. Dezember 1847 konnte er noch sagen: „Lassen Sie uns nach den Grundsätzen der Charte alle öffent¬ liche» Freiheiten aufrecht erhalten und weiter entwickeln. Damit werden Wir auf die uns folgenden Geschlechter das Vertrauen «vertragen, das Aus zu Teil geworden ist, und sie werden Uns segnen, daß Wir das Gebäude gründete» und verteidigten, unter dessen Dache sie frei und glücklich lebe» werden." Fürwahr, ein glücklicher König und ein beglücktes Volk! Aber sieben Wochen nach dieser Ansprache lagen alle diese schönen Dinge, diese stolze» Hoffnungen im Staube. Das Gebäude, unter dessen Dache zukünftige Generationen frei und glücklich leben sollten, war wie ein Kartenhaus zusammengefallen, der „Napoleon des Friedens" unter dem Pseudonym „Mr. Smith" nach England entflohen und Frankreich eine Republik geworden. Auch die Kinder Ludwig Philipps siud vom Unglück verfolgt worden. Geld und Gut zwar besitzen sie in Fülle, auch ist ihnen eine gewisse kühle Achtung nicht versagt worden. Sie sind ehrenwerte Soldaten, Gelehrte und Künstler. Aber politisch scheine» sie immer vom Neide der Götter verfolgt, und der letzte Schlag, der sie in diesen Tagen traf, ist eine düstere Erinnerung an das erste Unglück, welches die Laufbahn des Gründers der Dynastie verdunkelte. Wäre nicht ein gewisser Unfall mit einem über die Champs Elysees fahrende» Wagen passiert, so würde der Gang der konstitutionellen Monarchie in Frankreich höchst wahrscheinlich keinen Augenblick unterbothen worden sein, und der Herzog von Orleans, der tapfere, begabte und allgemein beliebte Sohn Ludwig Philipps, wäre jetzt König der Franzosen. Aber das Unglück, ein Verwandter der Nemesis, wollte es anders. Aber kehren wir nach dieser Abschweifung zu dem Ministerium Ferry zurück. Dasselbe hat — beiläufig wie viele seiner Vorgänger — seine Amtsführung unter glücklichen Sternen begonnen. Die Auseinandersetzung der Politik, die es zu befolgen gedenkt, ist von der großen Mehrzahl der Zeitungen günstig be¬ urteilt worden. Die Journale namentlich, welche Gambettas Meinung ver¬ traten, erteilten ihr einstimmig große Lobsprüche, und kaum weniger Anerkennung spendeten ihr die Blätter der gemäßigten republikanischen Partei. Nur die der äußersten Linken fanden sie „zu autoritativ," und die der äußersten Rechten hatten sowohl an ihrem Stil als an ihrem Inhalte z» mäkeln. So z. B. der orlea- nistische I'iM^is, welcher sagt: „Casimir Perier sprach in einem andern Tone, und Guizot und Thiers schrieben einen bessern Stil." Dagegen prophezeit das ?N'lÄM6rak, ein Organ des linken Zentrums, von der ministeriellen Er¬ klärung: „Sie wird vom Laude günstig aufgenommen werden," das Liöolo meint: „Das Kabinet vom 22. Februar tritt sein Amt unter vielverheißenden Auspizien an," und die Rsxubliouö ^rW^iss bemerkt: „Die Erklärung ist ganz, was sie sein soll, nämlich fest, klar, bündig, ohne Ehrgeiz, sondern sehr praktisch."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/558
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/558>, abgerufen am 03.07.2024.