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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich.

richt vom Korpskommaudanten. Thibaudius Ehrenwort seine schlimme Anspie¬
lung auf dessen Verhalten als Kriegsgefangener der Deutschen > genügte ihm,
und er unterzeichnete. Hat er sich denn aber jemals geweigert, zu unterzeichnen?
Mau legte ihm deu Artikel 7 vor, und er unterschrieb ihn. Die Dekrete zur
Vertreibung der religiösen Genossenschaften, das Atheistengesetz, die Amnestie,
die uns Mörder und Brandstifter ins Land zurückbrachte -- er unter¬
schrieb sie alle. Die ungesetzliche Absetzung der Prinzen wurde bei ihm beau>
tragt, und wieder setzte er seineu Namen darunter. Er, ein alter Rechtsanwalt,
gestattete, daß die Richterbank nnter seiner Regierung in Stücke zerbach. Er,
ein geiziger Gutsbesitzer, erlaubte, daß Grundeigentum der geheiligtsten Art be¬
stritten wurde, ohne daß er bedacht hätte, daß die Dekrete einmal sich gegen
ihn selbst wenden könnten. Und wie verfuhr er jetzt? Mit jakobinischer Bru¬
talität. Für Thibandin und seine Genossen sind die Prinzen nichts als die
Herren von Orleans, man verfolgt sie einzig und allein, weil sie Prinzen sind,
und in Zukunft wird mir noch Raum für Leute sein, die ihr Ehrenwort ge¬
brochen haben. . . Die Republik erweitert, indem sie die Bürger eines Landes,
wo Gleichheit herrschen soll, in Kategorien teilt, jeden Tag den Kreis der In¬
teressen, welche verletzt werden können. Richter, öffentliche Beamte, Sachwalter,
Priester, Bischöfe, Rentenbesitzer, Aktionäre, alle empfinden, daß sie auf unsichern
Füßen stehen, und zu diesen Klassen treten jetzt die dreißigtausend Offiziere der
französischen Armee, die fortan den tyrannischen Launen eines Thibaudin preis¬
gegeben sein werden. Nach diesem letzten Streiche werden diese Leute alles
wagen. Ein hervorragender Politiker sagte neulich: Nicht, was geschieht, über¬
rascht mich, sondern, das was nicht geschieht."

Es ist die übertreibende Art des Parteigeistes, die hier spricht, aber dnrch
die Übertreibung leuchtet doch ein gutes Teil Wahrheit hindurch. Die ganze
Politik des Präsidenten Grevy und seiner Räte war in dieser Frage eine Politik
der Mißgriffe, die an das englische Sprichwort erinnert: Er schießt nach der
Taube, und herunter kommt die Krähe. "Prinz Napoleon," sagt der og-it^
lölsAraxd, "war die Taube, welche die französische Regierung gern geschossen
Hütte, aber das Wild war so unbedeutend und ungefährlich, daß das ornitho-
logische Bild in diesem Falle ein wenig anders gewendet werden könnte. Wir
könnten mit dem Präsidenten Andrew Johnson fragen, der, zum Vorgehen
gegen einen politischen Gegner aufgefordert, zur Antwort gab: "Nutze es denn
etwas, auf tote Enten zu schießen?" Der Prinz Jerome Napoleon ist schon
seit mehreren Jahren politisch tot. Er leidet unter dem dreifachen Mißgeschick,
der Sohn eines Vaters zu sein, der allgemein für den Taugenichts unter den
Söhnen der Letitia Rcmolini galt, von seinem Vetter Napoleon III. stets mit
Mißtrauen betrachtet und häufig wegen seiner politischen Verirrungen getadelt
worden zu sein und als Prätendent die unbehagliche Stellung eines Mannes
einzunehmen, an dessen politisches Bekenntnis keine Partei recht zu glauben


Die erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich.

richt vom Korpskommaudanten. Thibaudius Ehrenwort seine schlimme Anspie¬
lung auf dessen Verhalten als Kriegsgefangener der Deutschen > genügte ihm,
und er unterzeichnete. Hat er sich denn aber jemals geweigert, zu unterzeichnen?
Mau legte ihm deu Artikel 7 vor, und er unterschrieb ihn. Die Dekrete zur
Vertreibung der religiösen Genossenschaften, das Atheistengesetz, die Amnestie,
die uns Mörder und Brandstifter ins Land zurückbrachte — er unter¬
schrieb sie alle. Die ungesetzliche Absetzung der Prinzen wurde bei ihm beau>
tragt, und wieder setzte er seineu Namen darunter. Er, ein alter Rechtsanwalt,
gestattete, daß die Richterbank nnter seiner Regierung in Stücke zerbach. Er,
ein geiziger Gutsbesitzer, erlaubte, daß Grundeigentum der geheiligtsten Art be¬
stritten wurde, ohne daß er bedacht hätte, daß die Dekrete einmal sich gegen
ihn selbst wenden könnten. Und wie verfuhr er jetzt? Mit jakobinischer Bru¬
talität. Für Thibandin und seine Genossen sind die Prinzen nichts als die
Herren von Orleans, man verfolgt sie einzig und allein, weil sie Prinzen sind,
und in Zukunft wird mir noch Raum für Leute sein, die ihr Ehrenwort ge¬
brochen haben. . . Die Republik erweitert, indem sie die Bürger eines Landes,
wo Gleichheit herrschen soll, in Kategorien teilt, jeden Tag den Kreis der In¬
teressen, welche verletzt werden können. Richter, öffentliche Beamte, Sachwalter,
Priester, Bischöfe, Rentenbesitzer, Aktionäre, alle empfinden, daß sie auf unsichern
Füßen stehen, und zu diesen Klassen treten jetzt die dreißigtausend Offiziere der
französischen Armee, die fortan den tyrannischen Launen eines Thibaudin preis¬
gegeben sein werden. Nach diesem letzten Streiche werden diese Leute alles
wagen. Ein hervorragender Politiker sagte neulich: Nicht, was geschieht, über¬
rascht mich, sondern, das was nicht geschieht."

Es ist die übertreibende Art des Parteigeistes, die hier spricht, aber dnrch
die Übertreibung leuchtet doch ein gutes Teil Wahrheit hindurch. Die ganze
Politik des Präsidenten Grevy und seiner Räte war in dieser Frage eine Politik
der Mißgriffe, die an das englische Sprichwort erinnert: Er schießt nach der
Taube, und herunter kommt die Krähe. „Prinz Napoleon," sagt der og-it^
lölsAraxd, „war die Taube, welche die französische Regierung gern geschossen
Hütte, aber das Wild war so unbedeutend und ungefährlich, daß das ornitho-
logische Bild in diesem Falle ein wenig anders gewendet werden könnte. Wir
könnten mit dem Präsidenten Andrew Johnson fragen, der, zum Vorgehen
gegen einen politischen Gegner aufgefordert, zur Antwort gab: „Nutze es denn
etwas, auf tote Enten zu schießen?" Der Prinz Jerome Napoleon ist schon
seit mehreren Jahren politisch tot. Er leidet unter dem dreifachen Mißgeschick,
der Sohn eines Vaters zu sein, der allgemein für den Taugenichts unter den
Söhnen der Letitia Rcmolini galt, von seinem Vetter Napoleon III. stets mit
Mißtrauen betrachtet und häufig wegen seiner politischen Verirrungen getadelt
worden zu sein und als Prätendent die unbehagliche Stellung eines Mannes
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/555>, abgerufen am 26.06.2024.