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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Dorothea hatte sich von dem ersten Schrecken erholt, und indem sie über
die Entdeckung des alten Herrn nachdachte, fand sie in seinen Worten einen
Punkt, der sie sehr angenehm berührte. Hatte wirklich Eberhardts melancho¬
lische Miene sich verwandelt? Hatte wirklich ihr Wesen eine solche Macht ans
den vom Schicksal verfolgten Mann ausgeübt, daß er sich glücklicher fühlte?
Liebte Eberhardt sie wirklich? Die Wahrscheinlichkeit, daß der Graf recht gesehen
habe, erschien ihr als durchaus bezaubernd. Die arme Dorothea hatte in ihrem
Leben noch wenig Liebe erfahren, und wenn sie heiter und lebensfrisch in die
Welt hineinsah, so verdankte sie das der eignen Seelenkraft, nicht der Gunst
andrer Menschen, nicht dem beglückenden Einfluß zärtlicher Eltern und liebevoller
Freundinnen. Millicent allein hatte sich inniger an ihr Herz geschlossen, im
übrigen hatte sie von je mehr Liebe gegeben als empfangen, die flüchtigen Be¬
kanntschaften auf der Reise hatten niemals eine ernste Bedeutung sür ihr Em¬
pfinden gehabt, und es war ihr ein fast ganz neues Gefühl, daß sie geliebt
werden tönen- Des Grafen Worte, so sehr sie anfangs dnrch sie überrascht und
verletzt worden war, hatten bei näherer Betrachtung eine sehr liebliche Färbung.

Mein lieber alter Freund, sagte sie heiter zum Grafen, denken Sie nicht,
daß Sie Gespenster sehe"? Ich muß Ihnen gestehen, daß ich noch nicht das
geringste gefährliche bemerkt habe, und daß ich fürchte, Herr Eschenburg wird,
wenn er die malerischen Seiten dieser Küste erschöpft zu haben glaubt, mit voller
Skizzenmappe und leerem Herzen fröhlich abziehen, während das Winken meines
Taschentuches auch meinerseits die letzte Phase unsrer Freundschaft bildet. Ich
bin das so gewohnt von Italien her und von der Schweiz und von Norwegen,
wie Sie wissen. Es ist so mancher liebenswürdige Herr neben meinem Maul¬
tier geritten, daß ich nicht einsehe, warum es bedenklich sein sollte, daß auch
einmal jemand neben meinem Schimmel reitet.

Der alte General blickte sie zweifelnd an, und ein Lächeln zuckte um seinen
weißen Schnurrbart.

Aber noch eins will ich gestehen, fuhr Dorothea fort, während ihre Augen
Heller blitzten und ihre feinen Züge von inneren Feuer durchglüht erschienen:
Sollte ich jemals das Glück haben, daß ein Mann, den ich seiner edeln Ge¬
sinnung wegen schätzen müßte, mir seine Neigung zuwendete, so wüßte ich nichts
auf der Welt, was mich abhalten könnte, mein Loos an das seinige zu knüpfen.
Sie sehen mich bestürzt an, als hätte ich etwas ungeheuerliches ausgesprochen.
Ich habe durch die Gewohnheit des Umhertreibens unter vielerlei Leuten ver¬
schiedenartiger Sitte verlernt, in der artigen Manier der Kinderstubentöchter
meine Gedanken und Wünsche zu verstecken, aber dafür habe ich auch etwas
gelernt. Ich habe eingesehen, daß es nur ein Glück giebt, und daß die Rück¬
sichten auf das, was Sie Lebensbedingungen nennen, mit diesem Glücke nichts
zu thun haben. Ich habe so viel äußerliche Form und so viel innere Häßlichkeit,
so viel äußern Glanz und inneres Elend überall in der Gesellschaft gefunden,


Grenzboten I. 1883, 68
Die Grafen von Altenschwerdt.

Dorothea hatte sich von dem ersten Schrecken erholt, und indem sie über
die Entdeckung des alten Herrn nachdachte, fand sie in seinen Worten einen
Punkt, der sie sehr angenehm berührte. Hatte wirklich Eberhardts melancho¬
lische Miene sich verwandelt? Hatte wirklich ihr Wesen eine solche Macht ans
den vom Schicksal verfolgten Mann ausgeübt, daß er sich glücklicher fühlte?
Liebte Eberhardt sie wirklich? Die Wahrscheinlichkeit, daß der Graf recht gesehen
habe, erschien ihr als durchaus bezaubernd. Die arme Dorothea hatte in ihrem
Leben noch wenig Liebe erfahren, und wenn sie heiter und lebensfrisch in die
Welt hineinsah, so verdankte sie das der eignen Seelenkraft, nicht der Gunst
andrer Menschen, nicht dem beglückenden Einfluß zärtlicher Eltern und liebevoller
Freundinnen. Millicent allein hatte sich inniger an ihr Herz geschlossen, im
übrigen hatte sie von je mehr Liebe gegeben als empfangen, die flüchtigen Be¬
kanntschaften auf der Reise hatten niemals eine ernste Bedeutung sür ihr Em¬
pfinden gehabt, und es war ihr ein fast ganz neues Gefühl, daß sie geliebt
werden tönen- Des Grafen Worte, so sehr sie anfangs dnrch sie überrascht und
verletzt worden war, hatten bei näherer Betrachtung eine sehr liebliche Färbung.

Mein lieber alter Freund, sagte sie heiter zum Grafen, denken Sie nicht,
daß Sie Gespenster sehe»? Ich muß Ihnen gestehen, daß ich noch nicht das
geringste gefährliche bemerkt habe, und daß ich fürchte, Herr Eschenburg wird,
wenn er die malerischen Seiten dieser Küste erschöpft zu haben glaubt, mit voller
Skizzenmappe und leerem Herzen fröhlich abziehen, während das Winken meines
Taschentuches auch meinerseits die letzte Phase unsrer Freundschaft bildet. Ich
bin das so gewohnt von Italien her und von der Schweiz und von Norwegen,
wie Sie wissen. Es ist so mancher liebenswürdige Herr neben meinem Maul¬
tier geritten, daß ich nicht einsehe, warum es bedenklich sein sollte, daß auch
einmal jemand neben meinem Schimmel reitet.

Der alte General blickte sie zweifelnd an, und ein Lächeln zuckte um seinen
weißen Schnurrbart.

Aber noch eins will ich gestehen, fuhr Dorothea fort, während ihre Augen
Heller blitzten und ihre feinen Züge von inneren Feuer durchglüht erschienen:
Sollte ich jemals das Glück haben, daß ein Mann, den ich seiner edeln Ge¬
sinnung wegen schätzen müßte, mir seine Neigung zuwendete, so wüßte ich nichts
auf der Welt, was mich abhalten könnte, mein Loos an das seinige zu knüpfen.
Sie sehen mich bestürzt an, als hätte ich etwas ungeheuerliches ausgesprochen.
Ich habe durch die Gewohnheit des Umhertreibens unter vielerlei Leuten ver¬
schiedenartiger Sitte verlernt, in der artigen Manier der Kinderstubentöchter
meine Gedanken und Wünsche zu verstecken, aber dafür habe ich auch etwas
gelernt. Ich habe eingesehen, daß es nur ein Glück giebt, und daß die Rück¬
sichten auf das, was Sie Lebensbedingungen nennen, mit diesem Glücke nichts
zu thun haben. Ich habe so viel äußerliche Form und so viel innere Häßlichkeit,
so viel äußern Glanz und inneres Elend überall in der Gesellschaft gefunden,


Grenzboten I. 1883, 68
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/545>, abgerufen am 29.06.2024.