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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

die Stand und Rang und Reichtum als ihre Götzen verehrt, daß ich fest ent¬
schlossen bin, mich selbst niemals zum Opfer auf einem jener falschen Altäre
darbringen zu lassen. Das, mein teurer, väterlicher Freund, ist mein Be¬
kenntnis Ihnen gegenüber, Ihnen allein, und wenn Sie dermaleinst Ihr
Beichtkind werden einsam umhergehen sehen, beschäftigt mit der Leitung von
Kolonien undankbarer Tagelöhner, eine alte Jungfer, mit Zuckerdüten in der
Tasche für zerlumpte Dorfkinder, so werden Sie mich wenigstens für glücklicher
halten dürfen, als wenn Sie mich an der Seite eines Mannes sähen, dem ich
mich schmachvoll seiner Stellung wegen verkauft hätte. Und ich habe den Trost,
daß niemand meines Vermögens wegen mir Liebe heucheln und mich so betrügen
wird, denn nicht ich bin die Erbin des großen Besitzes meines Vaters, sondern
die Herrschaft Eichhausen fällt dereinst an eine Nebenlinie, und ich werde, dem
Hausgesetz gemäß, mit einer kleinen Apanage abgefunden.

Dem alten General machten diese Worte seiner jungen Freundin ganz
gegen seinen Wunsch ein großes Vergnügen. Die Energie, mit welcher Dorothea
gesprochen hatte, der Ausdruck ihres Blicks im Verein mit dem hellen, klaren
Klang ihrer Stimme berührten eine verwandte Saite in seinem Innern, und er
konnte sich nicht enthalten mit dem Kopfe zu nicken und vor sich hin zu murmeln:
Sehr gut, sehr gut!

Doch siel ihm sogleich wieder ein, was der Baron über seine Pläne ihm
mitgeteilt hatte, und indem er dessen hartnäckigen Charakter bedachte, konnte er
sich großer Besorgnisse für die Zukunft nicht entschlagen. Ja ja, mein liebes
Kind, sagte er, das klingt vortrefflich, aber ich weiß, es ist ein so großer Unter¬
schied zwischen den Bildern, die eine jugendfrische Seele sich malt, und der höchst
komplizirten Wirklichkeit, daß man nicht gar zu fest an seine eignen Ideen
glauben soll.

Das haben Sie nicht im Ernst gesprochen, und ich muß Sie schelten, er¬
wiederte Dorothea schnell. Sind Sie nicht selbst ein Beispiel dafür, daß ein
fester Geist, der die Quellen seiner Befriedigung in sich selber findet, ungehindert
durch die trüben Schicksale der komplizirten Wirklichkeit, die Sie mir so furchtbar
darstellen wollen, seinen eignen Weg siegreich verfolgt? Ich kann mir nur
eitles als wirklich zu fürchten vorstellen, das ist die Vernichtung der Ideale, die
wir in unsrer Brust tragen, dnrch unsre eigne Feigheit.

Der Graf hörte ihr mit freudig bewegtem Gesicht zu, und ein Gefühl
inniger Sympathie mit dieser mutigen und groß denkenden Seele verjagte bei
ihm alle Neigung, Dorothea gegenüber für die ihm insgeheim anvertraute
Absicht seines Freundes Sextus noch irgend ein begünstigendes Wort zu äußern.
Im Gegenteil entschloß er sich, diesem bei Zeiten in dem Falle, daß sich eine
günstige Gelegenheit darbieten sollte, vorzustellen, daß es bei einer solchen
Tochter nicht wohlgethan sei, den beliebten Weg der Konvenienzheirat einzu¬
schlagen.


Die Grafen von Altenschwerdt.

die Stand und Rang und Reichtum als ihre Götzen verehrt, daß ich fest ent¬
schlossen bin, mich selbst niemals zum Opfer auf einem jener falschen Altäre
darbringen zu lassen. Das, mein teurer, väterlicher Freund, ist mein Be¬
kenntnis Ihnen gegenüber, Ihnen allein, und wenn Sie dermaleinst Ihr
Beichtkind werden einsam umhergehen sehen, beschäftigt mit der Leitung von
Kolonien undankbarer Tagelöhner, eine alte Jungfer, mit Zuckerdüten in der
Tasche für zerlumpte Dorfkinder, so werden Sie mich wenigstens für glücklicher
halten dürfen, als wenn Sie mich an der Seite eines Mannes sähen, dem ich
mich schmachvoll seiner Stellung wegen verkauft hätte. Und ich habe den Trost,
daß niemand meines Vermögens wegen mir Liebe heucheln und mich so betrügen
wird, denn nicht ich bin die Erbin des großen Besitzes meines Vaters, sondern
die Herrschaft Eichhausen fällt dereinst an eine Nebenlinie, und ich werde, dem
Hausgesetz gemäß, mit einer kleinen Apanage abgefunden.

Dem alten General machten diese Worte seiner jungen Freundin ganz
gegen seinen Wunsch ein großes Vergnügen. Die Energie, mit welcher Dorothea
gesprochen hatte, der Ausdruck ihres Blicks im Verein mit dem hellen, klaren
Klang ihrer Stimme berührten eine verwandte Saite in seinem Innern, und er
konnte sich nicht enthalten mit dem Kopfe zu nicken und vor sich hin zu murmeln:
Sehr gut, sehr gut!

Doch siel ihm sogleich wieder ein, was der Baron über seine Pläne ihm
mitgeteilt hatte, und indem er dessen hartnäckigen Charakter bedachte, konnte er
sich großer Besorgnisse für die Zukunft nicht entschlagen. Ja ja, mein liebes
Kind, sagte er, das klingt vortrefflich, aber ich weiß, es ist ein so großer Unter¬
schied zwischen den Bildern, die eine jugendfrische Seele sich malt, und der höchst
komplizirten Wirklichkeit, daß man nicht gar zu fest an seine eignen Ideen
glauben soll.

Das haben Sie nicht im Ernst gesprochen, und ich muß Sie schelten, er¬
wiederte Dorothea schnell. Sind Sie nicht selbst ein Beispiel dafür, daß ein
fester Geist, der die Quellen seiner Befriedigung in sich selber findet, ungehindert
durch die trüben Schicksale der komplizirten Wirklichkeit, die Sie mir so furchtbar
darstellen wollen, seinen eignen Weg siegreich verfolgt? Ich kann mir nur
eitles als wirklich zu fürchten vorstellen, das ist die Vernichtung der Ideale, die
wir in unsrer Brust tragen, dnrch unsre eigne Feigheit.

Der Graf hörte ihr mit freudig bewegtem Gesicht zu, und ein Gefühl
inniger Sympathie mit dieser mutigen und groß denkenden Seele verjagte bei
ihm alle Neigung, Dorothea gegenüber für die ihm insgeheim anvertraute
Absicht seines Freundes Sextus noch irgend ein begünstigendes Wort zu äußern.
Im Gegenteil entschloß er sich, diesem bei Zeiten in dem Falle, daß sich eine
günstige Gelegenheit darbieten sollte, vorzustellen, daß es bei einer solchen
Tochter nicht wohlgethan sei, den beliebten Weg der Konvenienzheirat einzu¬
schlagen.


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[0546] Die Grafen von Altenschwerdt. die Stand und Rang und Reichtum als ihre Götzen verehrt, daß ich fest ent¬ schlossen bin, mich selbst niemals zum Opfer auf einem jener falschen Altäre darbringen zu lassen. Das, mein teurer, väterlicher Freund, ist mein Be¬ kenntnis Ihnen gegenüber, Ihnen allein, und wenn Sie dermaleinst Ihr Beichtkind werden einsam umhergehen sehen, beschäftigt mit der Leitung von Kolonien undankbarer Tagelöhner, eine alte Jungfer, mit Zuckerdüten in der Tasche für zerlumpte Dorfkinder, so werden Sie mich wenigstens für glücklicher halten dürfen, als wenn Sie mich an der Seite eines Mannes sähen, dem ich mich schmachvoll seiner Stellung wegen verkauft hätte. Und ich habe den Trost, daß niemand meines Vermögens wegen mir Liebe heucheln und mich so betrügen wird, denn nicht ich bin die Erbin des großen Besitzes meines Vaters, sondern die Herrschaft Eichhausen fällt dereinst an eine Nebenlinie, und ich werde, dem Hausgesetz gemäß, mit einer kleinen Apanage abgefunden. Dem alten General machten diese Worte seiner jungen Freundin ganz gegen seinen Wunsch ein großes Vergnügen. Die Energie, mit welcher Dorothea gesprochen hatte, der Ausdruck ihres Blicks im Verein mit dem hellen, klaren Klang ihrer Stimme berührten eine verwandte Saite in seinem Innern, und er konnte sich nicht enthalten mit dem Kopfe zu nicken und vor sich hin zu murmeln: Sehr gut, sehr gut! Doch siel ihm sogleich wieder ein, was der Baron über seine Pläne ihm mitgeteilt hatte, und indem er dessen hartnäckigen Charakter bedachte, konnte er sich großer Besorgnisse für die Zukunft nicht entschlagen. Ja ja, mein liebes Kind, sagte er, das klingt vortrefflich, aber ich weiß, es ist ein so großer Unter¬ schied zwischen den Bildern, die eine jugendfrische Seele sich malt, und der höchst komplizirten Wirklichkeit, daß man nicht gar zu fest an seine eignen Ideen glauben soll. Das haben Sie nicht im Ernst gesprochen, und ich muß Sie schelten, er¬ wiederte Dorothea schnell. Sind Sie nicht selbst ein Beispiel dafür, daß ein fester Geist, der die Quellen seiner Befriedigung in sich selber findet, ungehindert durch die trüben Schicksale der komplizirten Wirklichkeit, die Sie mir so furchtbar darstellen wollen, seinen eignen Weg siegreich verfolgt? Ich kann mir nur eitles als wirklich zu fürchten vorstellen, das ist die Vernichtung der Ideale, die wir in unsrer Brust tragen, dnrch unsre eigne Feigheit. Der Graf hörte ihr mit freudig bewegtem Gesicht zu, und ein Gefühl inniger Sympathie mit dieser mutigen und groß denkenden Seele verjagte bei ihm alle Neigung, Dorothea gegenüber für die ihm insgeheim anvertraute Absicht seines Freundes Sextus noch irgend ein begünstigendes Wort zu äußern. Im Gegenteil entschloß er sich, diesem bei Zeiten in dem Falle, daß sich eine günstige Gelegenheit darbieten sollte, vorzustellen, daß es bei einer solchen Tochter nicht wohlgethan sei, den beliebten Weg der Konvenienzheirat einzu¬ schlagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/546>, abgerufen am 26.06.2024.