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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

selber verändert, seitdem ich ihn zuerst gesehen. Er zeigte eine melancholische Miene,
und jetzt hat sich all seine Schwärze in Sonnenschein verwandelt. Wenn ich
die Gesetze der Physik unsrer schwachen menschlichen Natur recht verstehe, so ist
das nicht ohne Gefahr für die Zukunft, und --

Er hielt inne, als er die Bewegung seiner ZuHörerin wahrnahm, und
lenkte, in der Überzeugung, daß er genug gesagt und daß Dorothea seine
Meinung verstanden habe, auf einen andern Gegenstand über. Dorothea hatte
ihm von ihrem Plane der Kolonie am Erlenbruch gesprochen, und er begann
hierüber seine Ansicht zu entwickeln.

Aber er mußte die Bemerkung machen, daß Dorothea mit geringer Auf¬
merksamkeit zuhörte. Ihre Gedanken schienen sich nicht auf dem Erlenbruch
festhalten zu lassen, und ein träumerisches Abschweifen derselben nach unsicht¬
baren Gegenständen war in ihrem Blick zu erkennen. Der alte General fragte
sich, ob er klug gethan habe, jenen zarten Punkt zu erwähnen, oder ob nicht
etwa seine Neigung. Gutes zu thun, ihn eine Unbesonnenheit habe begehen lassen,
indem er eine flüchtige Gestalt, ein bloßes Phantom durch sein Aussprechen
schon mit einem greifbaren Leibe bekleidet und dadurch erst in die Wirklichkeit
gebannt habe. Er wiederholte sich selbst die Gründe, welche ihn bewogen hatten,
Dorothea zu warnen: die drohende Nähe der von ihrem Vater beschlossenen
Verbindung und die Blindheit eben dieses Vaters, der nicht einsah, wie bedenk¬
lich der Umgang seiner Tochter mit dem schönen Fremden sei, aber doch begann
er zu fürchten, daß seine Sorge um das ihm liebe junge Mädchen ihn zu weit
getrieben haben könnte.

Er hätte gewünscht, daß sie etwas erwiedert hätte, daß sie böse geworden,
oder daß sie scherzend ausgewichen wäre. Der jähe Wechsel in ihrer Farbe
aber und die Veränderung in ihrem Wesen deuteten auf eine tiefe Empfindung.
Ich war von je ein schlechter Diplomat, sagte sich der alte General vorwurfsvoll,
und ich fürchte, die Gesellschaft der Familie Degenhcird und der Seemöven hat
mich in dieser Hinsicht nicht verfeinert.

In dieser Verlegenheit über den Erfolg seiner wohlgemeinten Ermahnung
blickte der Graf zum Fenster hinaus und betrachtete, über die labyrinthische Ge¬
staltung weiblicher Gemüter sinnend, die Lichteffekte auf dem Meeresspiegel.
Der Himmel war heute den ganzen Morgen hindurch eben so grau gewesen
wie am vorigen Tage, aber zur Stunde ging eine Veränderung an ihm vor.
Im Süden zerriß der Nebelschleier unter dem kräftigen Hauche des Windes in
den obern Regionen, oder vielleicht unter der aufsaugenden Kraft der Wärme,
und aus dem jeden Augenblick breiter werdenden Spalt blickte die Sonne herab
und ließ die graue See auf einer langen, glänzenden Bahn hin in hellgrünem
Lichte aufblitzen. Zugleich fühlte er seine Hand von weichen Fingern berührt
und sah, als er Dorothea anblickte, ihr Gesicht jetzt ebenso hell und freudig
wie unten den Sonnenblick auf der Wasserfläche.


Die Grafen von Altenschwerdt.

selber verändert, seitdem ich ihn zuerst gesehen. Er zeigte eine melancholische Miene,
und jetzt hat sich all seine Schwärze in Sonnenschein verwandelt. Wenn ich
die Gesetze der Physik unsrer schwachen menschlichen Natur recht verstehe, so ist
das nicht ohne Gefahr für die Zukunft, und —

Er hielt inne, als er die Bewegung seiner ZuHörerin wahrnahm, und
lenkte, in der Überzeugung, daß er genug gesagt und daß Dorothea seine
Meinung verstanden habe, auf einen andern Gegenstand über. Dorothea hatte
ihm von ihrem Plane der Kolonie am Erlenbruch gesprochen, und er begann
hierüber seine Ansicht zu entwickeln.

Aber er mußte die Bemerkung machen, daß Dorothea mit geringer Auf¬
merksamkeit zuhörte. Ihre Gedanken schienen sich nicht auf dem Erlenbruch
festhalten zu lassen, und ein träumerisches Abschweifen derselben nach unsicht¬
baren Gegenständen war in ihrem Blick zu erkennen. Der alte General fragte
sich, ob er klug gethan habe, jenen zarten Punkt zu erwähnen, oder ob nicht
etwa seine Neigung. Gutes zu thun, ihn eine Unbesonnenheit habe begehen lassen,
indem er eine flüchtige Gestalt, ein bloßes Phantom durch sein Aussprechen
schon mit einem greifbaren Leibe bekleidet und dadurch erst in die Wirklichkeit
gebannt habe. Er wiederholte sich selbst die Gründe, welche ihn bewogen hatten,
Dorothea zu warnen: die drohende Nähe der von ihrem Vater beschlossenen
Verbindung und die Blindheit eben dieses Vaters, der nicht einsah, wie bedenk¬
lich der Umgang seiner Tochter mit dem schönen Fremden sei, aber doch begann
er zu fürchten, daß seine Sorge um das ihm liebe junge Mädchen ihn zu weit
getrieben haben könnte.

Er hätte gewünscht, daß sie etwas erwiedert hätte, daß sie böse geworden,
oder daß sie scherzend ausgewichen wäre. Der jähe Wechsel in ihrer Farbe
aber und die Veränderung in ihrem Wesen deuteten auf eine tiefe Empfindung.
Ich war von je ein schlechter Diplomat, sagte sich der alte General vorwurfsvoll,
und ich fürchte, die Gesellschaft der Familie Degenhcird und der Seemöven hat
mich in dieser Hinsicht nicht verfeinert.

In dieser Verlegenheit über den Erfolg seiner wohlgemeinten Ermahnung
blickte der Graf zum Fenster hinaus und betrachtete, über die labyrinthische Ge¬
staltung weiblicher Gemüter sinnend, die Lichteffekte auf dem Meeresspiegel.
Der Himmel war heute den ganzen Morgen hindurch eben so grau gewesen
wie am vorigen Tage, aber zur Stunde ging eine Veränderung an ihm vor.
Im Süden zerriß der Nebelschleier unter dem kräftigen Hauche des Windes in
den obern Regionen, oder vielleicht unter der aufsaugenden Kraft der Wärme,
und aus dem jeden Augenblick breiter werdenden Spalt blickte die Sonne herab
und ließ die graue See auf einer langen, glänzenden Bahn hin in hellgrünem
Lichte aufblitzen. Zugleich fühlte er seine Hand von weichen Fingern berührt
und sah, als er Dorothea anblickte, ihr Gesicht jetzt ebenso hell und freudig
wie unten den Sonnenblick auf der Wasserfläche.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/544>, abgerufen am 01.07.2024.