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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

allmählich Heller ward und die weißen Kämme der heranspülenden Wogen sich
immer deutlicher und glänzender zeigten.

Die Sonne will durchbrechen, und dann haben wir einen schönen Buch
sagte der Alte.

Während Eberhardt so in Gesellschaft des ehrwürdigen Haushofmeisters in
dem alten Gemäuer umherkletterte und von der Spitze des Thurmes aus die
geheimen Seufzer seines Herzens dem großen Luftmeer anvertraute, hatte der
Graf sich seinem jugendlichen und schönen Besuche gegenübergesetzt. Er betrachtete
mit teilnehmenden Blick Dorotheens liebliches, frohes Gesicht; ein Zug mit¬
leidiger Sympathie erschien in seinen Augen.

Mein liebes Kind, sagte er, werden Sie meinem väterlichen Interesse an
Ihnen und unsrer langen Freundschaft wohl eine kleine Ermahnung zu gute
halte", die ich an Sie richten möchte?

Sie wandte ihre Augen von dem hellen Spiegel des Meeres weg und sah
den Grafen erwartungsvoll an, während ein ahnungsvolles Gefühl ihre Wangen
mit einer leichten Blässe bedeckte.

Meine Ermahnung betrifft Ihren Herrn Begleiter, sagte der alte General,
jeden Umweg verschmähend. Wir geben in jungen Jahren, und auch wohl in
ältern, gern einem Gefühle nach, das uns diese oder jene Person anziehend
erscheinen läßt, ohne daß wir mit kaltem Verstände erwägen, ob die Lebens¬
bedingungen, die uns nun einmal gegeben sind, sich mit unsrer sympathischen
Neigung vertragen. Die Erfahrung hat mir oft, sowohl an mir selbst als auch
an andern, gezeigt, wie schmerzlich es ist, einem süßen Gifte zu entsagen, an
das wir uns gewöhnt haben, und ich möchte Sie vor der Gewöhnung bei Zeiten
warnen.

Auf Dorotheeus Wangen loderte, eine brennende Röte auf. Die Worte
des alten Generals rissen gleichsam eine" Schleier weg, mit dem sie ihre eignen
Empfindungen vor sich selbst verhüllt hatte, und bereiteten ihre eine Über¬
raschung, indem sie ihr etwas neues, ungekanntes ihrer tiefsten Seele plötzlich
in das helle Tageslicht stellten. Im ersten Augenblick fühlte sie sich beleidigt,
und es schwebte ihr eine kühle Abweisung auf der Zunge, doch erinnerte sie sich
der bewährten Freundlichkeit des alten Herrn, und der Anblick seines gütigen
Gesichts überzeugte sie, daß er nicht leichthin oder aus Lust zu unberufener
Einmischung gesprochen haben könne. Sie sah ihn daher nur fragend an und
forderte in verständlicher Weise, obwohl stillschweigend, eine nähere Erklärung.

Sie können sich wohl denken, mein liebes Kind, fuhr er in leichterem Tone
fort, daß ich damit nicht sagen will, ich hätte das mindeste Zeichen wahrgenommen,
es sei das stolze Herz meiner Freundin Dorothea durch die Erscheinung des
fremden Malers, so gut er aussehen und so liebenswürdig er sich benehmen
mag, in Flammen geraten. So leicht brennbar ist dieser Stoff wohl nicht.
Aber es kommt mir so vor, als hätte sich der Ausdruck des Herrn Eschenburg


Die Grafen von Altenschwerdt.

allmählich Heller ward und die weißen Kämme der heranspülenden Wogen sich
immer deutlicher und glänzender zeigten.

Die Sonne will durchbrechen, und dann haben wir einen schönen Buch
sagte der Alte.

Während Eberhardt so in Gesellschaft des ehrwürdigen Haushofmeisters in
dem alten Gemäuer umherkletterte und von der Spitze des Thurmes aus die
geheimen Seufzer seines Herzens dem großen Luftmeer anvertraute, hatte der
Graf sich seinem jugendlichen und schönen Besuche gegenübergesetzt. Er betrachtete
mit teilnehmenden Blick Dorotheens liebliches, frohes Gesicht; ein Zug mit¬
leidiger Sympathie erschien in seinen Augen.

Mein liebes Kind, sagte er, werden Sie meinem väterlichen Interesse an
Ihnen und unsrer langen Freundschaft wohl eine kleine Ermahnung zu gute
halte», die ich an Sie richten möchte?

Sie wandte ihre Augen von dem hellen Spiegel des Meeres weg und sah
den Grafen erwartungsvoll an, während ein ahnungsvolles Gefühl ihre Wangen
mit einer leichten Blässe bedeckte.

Meine Ermahnung betrifft Ihren Herrn Begleiter, sagte der alte General,
jeden Umweg verschmähend. Wir geben in jungen Jahren, und auch wohl in
ältern, gern einem Gefühle nach, das uns diese oder jene Person anziehend
erscheinen läßt, ohne daß wir mit kaltem Verstände erwägen, ob die Lebens¬
bedingungen, die uns nun einmal gegeben sind, sich mit unsrer sympathischen
Neigung vertragen. Die Erfahrung hat mir oft, sowohl an mir selbst als auch
an andern, gezeigt, wie schmerzlich es ist, einem süßen Gifte zu entsagen, an
das wir uns gewöhnt haben, und ich möchte Sie vor der Gewöhnung bei Zeiten
warnen.

Auf Dorotheeus Wangen loderte, eine brennende Röte auf. Die Worte
des alten Generals rissen gleichsam eine» Schleier weg, mit dem sie ihre eignen
Empfindungen vor sich selbst verhüllt hatte, und bereiteten ihre eine Über¬
raschung, indem sie ihr etwas neues, ungekanntes ihrer tiefsten Seele plötzlich
in das helle Tageslicht stellten. Im ersten Augenblick fühlte sie sich beleidigt,
und es schwebte ihr eine kühle Abweisung auf der Zunge, doch erinnerte sie sich
der bewährten Freundlichkeit des alten Herrn, und der Anblick seines gütigen
Gesichts überzeugte sie, daß er nicht leichthin oder aus Lust zu unberufener
Einmischung gesprochen haben könne. Sie sah ihn daher nur fragend an und
forderte in verständlicher Weise, obwohl stillschweigend, eine nähere Erklärung.

Sie können sich wohl denken, mein liebes Kind, fuhr er in leichterem Tone
fort, daß ich damit nicht sagen will, ich hätte das mindeste Zeichen wahrgenommen,
es sei das stolze Herz meiner Freundin Dorothea durch die Erscheinung des
fremden Malers, so gut er aussehen und so liebenswürdig er sich benehmen
mag, in Flammen geraten. So leicht brennbar ist dieser Stoff wohl nicht.
Aber es kommt mir so vor, als hätte sich der Ausdruck des Herrn Eschenburg


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[0543] Die Grafen von Altenschwerdt. allmählich Heller ward und die weißen Kämme der heranspülenden Wogen sich immer deutlicher und glänzender zeigten. Die Sonne will durchbrechen, und dann haben wir einen schönen Buch sagte der Alte. Während Eberhardt so in Gesellschaft des ehrwürdigen Haushofmeisters in dem alten Gemäuer umherkletterte und von der Spitze des Thurmes aus die geheimen Seufzer seines Herzens dem großen Luftmeer anvertraute, hatte der Graf sich seinem jugendlichen und schönen Besuche gegenübergesetzt. Er betrachtete mit teilnehmenden Blick Dorotheens liebliches, frohes Gesicht; ein Zug mit¬ leidiger Sympathie erschien in seinen Augen. Mein liebes Kind, sagte er, werden Sie meinem väterlichen Interesse an Ihnen und unsrer langen Freundschaft wohl eine kleine Ermahnung zu gute halte», die ich an Sie richten möchte? Sie wandte ihre Augen von dem hellen Spiegel des Meeres weg und sah den Grafen erwartungsvoll an, während ein ahnungsvolles Gefühl ihre Wangen mit einer leichten Blässe bedeckte. Meine Ermahnung betrifft Ihren Herrn Begleiter, sagte der alte General, jeden Umweg verschmähend. Wir geben in jungen Jahren, und auch wohl in ältern, gern einem Gefühle nach, das uns diese oder jene Person anziehend erscheinen läßt, ohne daß wir mit kaltem Verstände erwägen, ob die Lebens¬ bedingungen, die uns nun einmal gegeben sind, sich mit unsrer sympathischen Neigung vertragen. Die Erfahrung hat mir oft, sowohl an mir selbst als auch an andern, gezeigt, wie schmerzlich es ist, einem süßen Gifte zu entsagen, an das wir uns gewöhnt haben, und ich möchte Sie vor der Gewöhnung bei Zeiten warnen. Auf Dorotheeus Wangen loderte, eine brennende Röte auf. Die Worte des alten Generals rissen gleichsam eine» Schleier weg, mit dem sie ihre eignen Empfindungen vor sich selbst verhüllt hatte, und bereiteten ihre eine Über¬ raschung, indem sie ihr etwas neues, ungekanntes ihrer tiefsten Seele plötzlich in das helle Tageslicht stellten. Im ersten Augenblick fühlte sie sich beleidigt, und es schwebte ihr eine kühle Abweisung auf der Zunge, doch erinnerte sie sich der bewährten Freundlichkeit des alten Herrn, und der Anblick seines gütigen Gesichts überzeugte sie, daß er nicht leichthin oder aus Lust zu unberufener Einmischung gesprochen haben könne. Sie sah ihn daher nur fragend an und forderte in verständlicher Weise, obwohl stillschweigend, eine nähere Erklärung. Sie können sich wohl denken, mein liebes Kind, fuhr er in leichterem Tone fort, daß ich damit nicht sagen will, ich hätte das mindeste Zeichen wahrgenommen, es sei das stolze Herz meiner Freundin Dorothea durch die Erscheinung des fremden Malers, so gut er aussehen und so liebenswürdig er sich benehmen mag, in Flammen geraten. So leicht brennbar ist dieser Stoff wohl nicht. Aber es kommt mir so vor, als hätte sich der Ausdruck des Herrn Eschenburg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/543>, abgerufen am 03.07.2024.