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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Krisis in Paris.

es doch kein Verstoß gegen das französische Gesetz, unter ein Dokument nur
seinen Taufnamen zu setzen, wie man dies bei Briefen an Verwandte und Freunde
zu thun pflegt. Die bloße Unterschrift "Napoleon" schließt so wenig das Ver¬
brechen des Hochverrats in sich, als die unter einen Brief gesetzten Namen
"Adolphe" oder "Leon" bewiese" haben würden, daß Thiers oder Gambetta
sich mit der Hoffnung getragen hätten, einmal den Thron Frankreichs zu
besteigen.

Wir sind der Meinung, daß es eine noblere Politik gewesen wäre, wen"
die gemäßigten Republikaner dem Hindrängen der Radikalen auf persönliche
Proskription nicht nachgegeben hätten. Indeß mag es vom politischen Stand¬
punkt aus betrachtet klüger erscheinen, der äußersten Linken nicht zu gestatten,
das; sie sich ein Aktionsgebict wählt, das ihr große Vorteile darbietet. Die fort-
geschrittnen Politiker in Frankreich nehmen den Standpunkt nicht ein, auf dem
unsre meisten Liberalen der persönlichen Freiheit, der politischen Gerechtigkeit
und der gesetzlichen Gleichheit gegenüberstehen. In mehereren Sprachen
kommt das Sprichwort vor: In Liebessachen und Krieg sind alle Mittel recht,
die Franzosen aber fügen hinzu: auch in der Politik, und darnach Verfahren sie.
Wenn eine Dynastie untergraben, ein Ministerium angegriffen, eine Partei dis-
treditirt, eine hervorragende Persönlichkeit verhaßt gemacht werden soll, halten
sie vor keiner Verleumdung still, greifen sie nach jedem Geschoß und nehmen
sie Verbündete aller Art an -- beiläufig wie unsre Fortschrittsleute von der
Sorte Richters. Die Führer des linken Zentrums wollen zwar für ihre Person
nichts von den Verfolgungsthcorien der Radikalen wissen, müssen aber an die
Mehrzahl in ihrer Wühlerschaft denken, wo man die Prinzen des Hanfes Or¬
leans mit Übelwollen und Mißtrauen betrachtet. Ihr Reichtum erweckt Neid,
ihre stille und wenig anspruchsvolle Lebensweise giebt dem Demagogentum An¬
stoß, und ihre allen abenteuerlichen Unternehmungen fremde Vergangenheit flößt
eine Art von Geringschätzung ein. Sie haben weder große Tugenden noch
Laster, sie erfüllen weder mit Bewunderung noch mit Begeisterung, mir mit
kalter Abneigung. Seit ihrer Rückkehr nach Frankreich haben sie sich wachsam
und rührig bemüht, den Wind mit ihren Segeln zu fangen, aber ihre politische
Navigationsknnst hat nur den Erfolg gehabt, den historischen Eindruck, den
Ludwig Philipp hinterließ, zu vertiefen. Niemals waren sie aufrichtige Roya-
listen, niemals ehrliche Republikaner. Als die "ach dem Kriege gewählte Na¬
tionalversammlung eine monarchisch gesinnte Mehrheit zeigte, verschafften sich
die Prinzen im Widersprüche mit Thiers vermittelst eines Handelsgeschäfts ein
Votum, das ihnen ihre Güter und ihren militärischen Rang zurückgab. Der
Preis dafür war der Besuch des Grafen von Paris in Frohsdorf, wo er prak¬
tisch für den "Hochverrat" seines Großvaters Buße that und der dreifarbigen
Fahne entsagte. Aber ein Glied der interessanten Familie, der Herzog von
Anmale, that nicht mit, er weigerte sich, die Wallfahrt zum "Roy" anzutreten


Die Krisis in Paris.

es doch kein Verstoß gegen das französische Gesetz, unter ein Dokument nur
seinen Taufnamen zu setzen, wie man dies bei Briefen an Verwandte und Freunde
zu thun pflegt. Die bloße Unterschrift „Napoleon" schließt so wenig das Ver¬
brechen des Hochverrats in sich, als die unter einen Brief gesetzten Namen
„Adolphe" oder „Leon" bewiese» haben würden, daß Thiers oder Gambetta
sich mit der Hoffnung getragen hätten, einmal den Thron Frankreichs zu
besteigen.

Wir sind der Meinung, daß es eine noblere Politik gewesen wäre, wen»
die gemäßigten Republikaner dem Hindrängen der Radikalen auf persönliche
Proskription nicht nachgegeben hätten. Indeß mag es vom politischen Stand¬
punkt aus betrachtet klüger erscheinen, der äußersten Linken nicht zu gestatten,
das; sie sich ein Aktionsgebict wählt, das ihr große Vorteile darbietet. Die fort-
geschrittnen Politiker in Frankreich nehmen den Standpunkt nicht ein, auf dem
unsre meisten Liberalen der persönlichen Freiheit, der politischen Gerechtigkeit
und der gesetzlichen Gleichheit gegenüberstehen. In mehereren Sprachen
kommt das Sprichwort vor: In Liebessachen und Krieg sind alle Mittel recht,
die Franzosen aber fügen hinzu: auch in der Politik, und darnach Verfahren sie.
Wenn eine Dynastie untergraben, ein Ministerium angegriffen, eine Partei dis-
treditirt, eine hervorragende Persönlichkeit verhaßt gemacht werden soll, halten
sie vor keiner Verleumdung still, greifen sie nach jedem Geschoß und nehmen
sie Verbündete aller Art an — beiläufig wie unsre Fortschrittsleute von der
Sorte Richters. Die Führer des linken Zentrums wollen zwar für ihre Person
nichts von den Verfolgungsthcorien der Radikalen wissen, müssen aber an die
Mehrzahl in ihrer Wühlerschaft denken, wo man die Prinzen des Hanfes Or¬
leans mit Übelwollen und Mißtrauen betrachtet. Ihr Reichtum erweckt Neid,
ihre stille und wenig anspruchsvolle Lebensweise giebt dem Demagogentum An¬
stoß, und ihre allen abenteuerlichen Unternehmungen fremde Vergangenheit flößt
eine Art von Geringschätzung ein. Sie haben weder große Tugenden noch
Laster, sie erfüllen weder mit Bewunderung noch mit Begeisterung, mir mit
kalter Abneigung. Seit ihrer Rückkehr nach Frankreich haben sie sich wachsam
und rührig bemüht, den Wind mit ihren Segeln zu fangen, aber ihre politische
Navigationsknnst hat nur den Erfolg gehabt, den historischen Eindruck, den
Ludwig Philipp hinterließ, zu vertiefen. Niemals waren sie aufrichtige Roya-
listen, niemals ehrliche Republikaner. Als die »ach dem Kriege gewählte Na¬
tionalversammlung eine monarchisch gesinnte Mehrheit zeigte, verschafften sich
die Prinzen im Widersprüche mit Thiers vermittelst eines Handelsgeschäfts ein
Votum, das ihnen ihre Güter und ihren militärischen Rang zurückgab. Der
Preis dafür war der Besuch des Grafen von Paris in Frohsdorf, wo er prak¬
tisch für den „Hochverrat" seines Großvaters Buße that und der dreifarbigen
Fahne entsagte. Aber ein Glied der interessanten Familie, der Herzog von
Anmale, that nicht mit, er weigerte sich, die Wallfahrt zum „Roy" anzutreten


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[0499] Die Krisis in Paris. es doch kein Verstoß gegen das französische Gesetz, unter ein Dokument nur seinen Taufnamen zu setzen, wie man dies bei Briefen an Verwandte und Freunde zu thun pflegt. Die bloße Unterschrift „Napoleon" schließt so wenig das Ver¬ brechen des Hochverrats in sich, als die unter einen Brief gesetzten Namen „Adolphe" oder „Leon" bewiese» haben würden, daß Thiers oder Gambetta sich mit der Hoffnung getragen hätten, einmal den Thron Frankreichs zu besteigen. Wir sind der Meinung, daß es eine noblere Politik gewesen wäre, wen» die gemäßigten Republikaner dem Hindrängen der Radikalen auf persönliche Proskription nicht nachgegeben hätten. Indeß mag es vom politischen Stand¬ punkt aus betrachtet klüger erscheinen, der äußersten Linken nicht zu gestatten, das; sie sich ein Aktionsgebict wählt, das ihr große Vorteile darbietet. Die fort- geschrittnen Politiker in Frankreich nehmen den Standpunkt nicht ein, auf dem unsre meisten Liberalen der persönlichen Freiheit, der politischen Gerechtigkeit und der gesetzlichen Gleichheit gegenüberstehen. In mehereren Sprachen kommt das Sprichwort vor: In Liebessachen und Krieg sind alle Mittel recht, die Franzosen aber fügen hinzu: auch in der Politik, und darnach Verfahren sie. Wenn eine Dynastie untergraben, ein Ministerium angegriffen, eine Partei dis- treditirt, eine hervorragende Persönlichkeit verhaßt gemacht werden soll, halten sie vor keiner Verleumdung still, greifen sie nach jedem Geschoß und nehmen sie Verbündete aller Art an — beiläufig wie unsre Fortschrittsleute von der Sorte Richters. Die Führer des linken Zentrums wollen zwar für ihre Person nichts von den Verfolgungsthcorien der Radikalen wissen, müssen aber an die Mehrzahl in ihrer Wühlerschaft denken, wo man die Prinzen des Hanfes Or¬ leans mit Übelwollen und Mißtrauen betrachtet. Ihr Reichtum erweckt Neid, ihre stille und wenig anspruchsvolle Lebensweise giebt dem Demagogentum An¬ stoß, und ihre allen abenteuerlichen Unternehmungen fremde Vergangenheit flößt eine Art von Geringschätzung ein. Sie haben weder große Tugenden noch Laster, sie erfüllen weder mit Bewunderung noch mit Begeisterung, mir mit kalter Abneigung. Seit ihrer Rückkehr nach Frankreich haben sie sich wachsam und rührig bemüht, den Wind mit ihren Segeln zu fangen, aber ihre politische Navigationsknnst hat nur den Erfolg gehabt, den historischen Eindruck, den Ludwig Philipp hinterließ, zu vertiefen. Niemals waren sie aufrichtige Roya- listen, niemals ehrliche Republikaner. Als die »ach dem Kriege gewählte Na¬ tionalversammlung eine monarchisch gesinnte Mehrheit zeigte, verschafften sich die Prinzen im Widersprüche mit Thiers vermittelst eines Handelsgeschäfts ein Votum, das ihnen ihre Güter und ihren militärischen Rang zurückgab. Der Preis dafür war der Besuch des Grafen von Paris in Frohsdorf, wo er prak¬ tisch für den „Hochverrat" seines Großvaters Buße that und der dreifarbigen Fahne entsagte. Aber ein Glied der interessanten Familie, der Herzog von Anmale, that nicht mit, er weigerte sich, die Wallfahrt zum „Roy" anzutreten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/499>, abgerufen am 03.07.2024.