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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Krisis in Paris.

und bezeugte öffentlich seine Achtung vor den nationalen Farbe". Es war wie
mit gewissen liberalen Kronprinzen, welche mit der liberalen Opposition gegen
die Regierung des konservativen Königs liebäugeln: alle Parteien sollen durch
die Dynastie beachtet, befriedigt und gewonnen werden. Seit jener Zeit haben
die Prinzen sich zuwartend verhalten. Faßte die Republik feste Wurzel und
blieb sie konservativ, so konnten sie hohe Stellen in Anspruch nehmen; kam das
Königtum wieder empor, so konnte man ihnen ihren Platz am Hofe nicht be¬
stricken. Das war vielleicht recht politisch gedacht, und eine kluge und starke
Regierung würde diese vorsichtigen, uach allen Möglichkeiten hinschielenden Herren
mit Lächeln betrachten können, aber abgesehen von einem kleinen Kreise alter
Bekannten fühlte es niemand sehr, als sie jetzt mit Absetzung und Ausweisung
bedroht wurden. Man war allgemein überzeugt, daß sie sich recht wohl selbst
zu helfen wissen, und selbst die Gegner der neuen Verbannung traten in ihren
Reden nur platonisch auf. Wenn sie daher das linke Zentrum mit seinem
Schilde hätte decken wollen, so würde das von ernstlichem Nachteile für die
konservative Republik sein. Unter den unwissenden Radikalen der großen Städte
und ebenso in einigen demokratisirten Landkreisen würden selbst Männer, die
der Republik so eifrig ergeben sind wie Clemenceau, als Genossen einer Ver¬
schwörung zur Wiederherstellung des Königtums gebrandmarkt worden sein,
wenn sie sich der orlcanistischen Prinzen angenommen hätten, und selbst Poli¬
tiker, die an eine so abgeschmackte Beschuldigung nicht geglaubt hätten, würden
sie aus Parteigründeu weitergctragen haben. Jeder kaltgestellte gemäßigte Re¬
publikaner hat eben für einen fortgeschritteneren Platz gemacht und ihm Aus¬
sicht auf ein Amt wenigstens für ein paar Wochen eröffnet. Das ist das Ziel
des Ehrgeizes bei der großen Mehrzahl der Deputirten. In der Politik wie
im Kriege wird ein guter General die Schlacht womöglich so lange vermeiden,
bis er ein günstiges Terrain dazu findet. Die Verteidigung der Prinzen wäre,
obwohl sie zugleich die Verteidigung des Prinzips strenger Gerechtigkeit und
gleichen Rechts für alle gewesen wäre, ohne Zweifel das ungeeignetste Terrain
gewesen, das die gemäßigten Republikaner hätten wühlen können. Wenn die
jetzige Verwirrung vorüber sein wird, werden sich andre Gelegenheiten finden.
Eines Tages werden die Radikalen, nachdem sie Blut geschmeckt haben, mit dem
Senat Streit über irgend einen Vorschlag anfangen, der auf Wiederbelebung
des Jakobinertums von 1793 hinausläuft. Dann kann ein Ministerium von
gemäßigten Männern gelassen zu Frankreich sagen: Wähle zwischen uns und
der äußersten Linken. Entscheide dich für eine Republik stark und sicher, weil
klug und kaltblütig, oder eine Republik, welche den alten Kampf gegen Religion,
Eigentum und persönliche Sicherheit wieder entzündet, der Frankreich sechs Jahre
hindurch verwüstete und schwächte, der mit der Schreckensherrschaft begann und
unausbleiblich mit dem 18. Brumaire endigen mußte. Ein so befragtes Frank¬
reich wird frei wählen können und keinen Sprung ins Dunkle und Bodenlose


Die Krisis in Paris.

und bezeugte öffentlich seine Achtung vor den nationalen Farbe». Es war wie
mit gewissen liberalen Kronprinzen, welche mit der liberalen Opposition gegen
die Regierung des konservativen Königs liebäugeln: alle Parteien sollen durch
die Dynastie beachtet, befriedigt und gewonnen werden. Seit jener Zeit haben
die Prinzen sich zuwartend verhalten. Faßte die Republik feste Wurzel und
blieb sie konservativ, so konnten sie hohe Stellen in Anspruch nehmen; kam das
Königtum wieder empor, so konnte man ihnen ihren Platz am Hofe nicht be¬
stricken. Das war vielleicht recht politisch gedacht, und eine kluge und starke
Regierung würde diese vorsichtigen, uach allen Möglichkeiten hinschielenden Herren
mit Lächeln betrachten können, aber abgesehen von einem kleinen Kreise alter
Bekannten fühlte es niemand sehr, als sie jetzt mit Absetzung und Ausweisung
bedroht wurden. Man war allgemein überzeugt, daß sie sich recht wohl selbst
zu helfen wissen, und selbst die Gegner der neuen Verbannung traten in ihren
Reden nur platonisch auf. Wenn sie daher das linke Zentrum mit seinem
Schilde hätte decken wollen, so würde das von ernstlichem Nachteile für die
konservative Republik sein. Unter den unwissenden Radikalen der großen Städte
und ebenso in einigen demokratisirten Landkreisen würden selbst Männer, die
der Republik so eifrig ergeben sind wie Clemenceau, als Genossen einer Ver¬
schwörung zur Wiederherstellung des Königtums gebrandmarkt worden sein,
wenn sie sich der orlcanistischen Prinzen angenommen hätten, und selbst Poli¬
tiker, die an eine so abgeschmackte Beschuldigung nicht geglaubt hätten, würden
sie aus Parteigründeu weitergctragen haben. Jeder kaltgestellte gemäßigte Re¬
publikaner hat eben für einen fortgeschritteneren Platz gemacht und ihm Aus¬
sicht auf ein Amt wenigstens für ein paar Wochen eröffnet. Das ist das Ziel
des Ehrgeizes bei der großen Mehrzahl der Deputirten. In der Politik wie
im Kriege wird ein guter General die Schlacht womöglich so lange vermeiden,
bis er ein günstiges Terrain dazu findet. Die Verteidigung der Prinzen wäre,
obwohl sie zugleich die Verteidigung des Prinzips strenger Gerechtigkeit und
gleichen Rechts für alle gewesen wäre, ohne Zweifel das ungeeignetste Terrain
gewesen, das die gemäßigten Republikaner hätten wühlen können. Wenn die
jetzige Verwirrung vorüber sein wird, werden sich andre Gelegenheiten finden.
Eines Tages werden die Radikalen, nachdem sie Blut geschmeckt haben, mit dem
Senat Streit über irgend einen Vorschlag anfangen, der auf Wiederbelebung
des Jakobinertums von 1793 hinausläuft. Dann kann ein Ministerium von
gemäßigten Männern gelassen zu Frankreich sagen: Wähle zwischen uns und
der äußersten Linken. Entscheide dich für eine Republik stark und sicher, weil
klug und kaltblütig, oder eine Republik, welche den alten Kampf gegen Religion,
Eigentum und persönliche Sicherheit wieder entzündet, der Frankreich sechs Jahre
hindurch verwüstete und schwächte, der mit der Schreckensherrschaft begann und
unausbleiblich mit dem 18. Brumaire endigen mußte. Ein so befragtes Frank¬
reich wird frei wählen können und keinen Sprung ins Dunkle und Bodenlose


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/500>, abgerufen am 23.07.2024.