Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Krisis in Paris.

gebnisse den Weg verlegt haben, und es war andrerseits unwahrscheinlich,
daß der Senat jetzt, wo er sein Ziel erreicht hatte, durch Nachgeben, soweit er
nach seinen Grundsätzen vermag, einen Vergleich zu erleichtern geneigt sein würde.

Vermutlich werden sich die streitenden Parteien, so sagte man sich, zuletzt
auf Grund des Barbeyschen Vorschlags einigen, gegen den nur eine Mehrheit
von sechzehn Senatoren gestimmt hatte. Dieser Plan, der nnr eine geringe
Veränderung des vom Kabinet entworfenen Gesetzes bedeutet, will die Verbannung
von Prätendenten kraft eines im Ministerrate zu beschließenden Dekrets, also
Verleihung von diskretionärer Befugnis an die Regierung, wogegen der Wad-
dington-Saysche Plan auf regelmüßiger gerichtlicher Verurteilung besteht, die der
Ausweisung eines gegen die Gesetze verstoßenden Prinzen vorausgehen müsse.
Hier einen Mittelweg zu finden, schien nicht leicht, aber auch nicht unmöglich
M sein. Bis jetzt ist er indeß nicht gefunden. Der Senat hat den Barbeyschen
Plan mit geringer Majorität abgelehnt.

Betrachten wir den Gang, den die Dinge in der letzten Woche in Paris
genommen haben, etwas näher. Der Senat nahm nach Ablehnung des Proskrip¬
tionsgesetzes, welches die Regierung mit der Deputirtenkcnnmer vereinbart hatte,
den Waddington-Sayschen Gesetzentwurf an. Derselbe vermied die Befugnis der
Regierung, nach Belieben durch Dekret zu verbannen, er schloß die Bestrafung
der orleanistischen Prinzen für Verbrechen, die von Häuptern der Bonapartisten
begangen worden, aus, was gegen das sittliche Gefühl vieler gemäßigten Re¬
publikaner verstieß, und er schlug vor, gesetzlich zu bestimmen, "daß jedes Glied
einer Familie, die über Frankreich regiert hat, wenn es öffentlich als Prätendent
auftritt oder sich einer Kundgebung schuldig macht, die geeignet ist, die Sicher¬
heit des Staates zu gefährden, durch Verbannung bestraft werden soll. Die
gedachte Person soll vor die Assisen oder vor den Senat, der sich zu dem Zwecke
in einen Gerichtshof zu verwandeln hat, zur Aburteilung gebracht werden."
So sollte die Schuld eiues Prätendenten nicht durch seine Gegner und Ver¬
folger, sondern durch ordentliche und unparteiische Untersuchung vor einem
Tribunal festgestellt werden, und das Fallenlassen der Anklage gegen den
Prinzen Napoleon sowie dessen Freigebung aus der Haft hat bewiesen, daß es
in Frankreich noch Richter giebt, die sich von politischer Leidenschaft nicht be¬
irren lassen und Gerechtigkeit üben, selbst wenn es sich dabei um einen Prinzen
handelt, der sehr unbeliebt und wenig geachtet ist. Es ist äußerst zweifelhaft,
ob selbst nach dem jetzt vorgeschlagenen Gesetze das Anschlagen oder die sonstige
Bekanntmachung eines Manifestes, wie das des Prinzen Jerome war, als
"Handlung eines Prätendenten" aufgefaßt werden könnte, während es eine geradezu
lächerliche Behauptung sein würde, zu sagen, es sei "eine Kundgebung, geeignet,
die Sicherheit des Staates zu gefährden." Das ärgste, was man davon sagen
könnte, wäre, es sei eine Schmähung der Republik, unterzeichnet von jemand,
der sich enthalten habe, seinen Familiennamen hinzuzufügen. Dann aber wäre


Die Krisis in Paris.

gebnisse den Weg verlegt haben, und es war andrerseits unwahrscheinlich,
daß der Senat jetzt, wo er sein Ziel erreicht hatte, durch Nachgeben, soweit er
nach seinen Grundsätzen vermag, einen Vergleich zu erleichtern geneigt sein würde.

Vermutlich werden sich die streitenden Parteien, so sagte man sich, zuletzt
auf Grund des Barbeyschen Vorschlags einigen, gegen den nur eine Mehrheit
von sechzehn Senatoren gestimmt hatte. Dieser Plan, der nnr eine geringe
Veränderung des vom Kabinet entworfenen Gesetzes bedeutet, will die Verbannung
von Prätendenten kraft eines im Ministerrate zu beschließenden Dekrets, also
Verleihung von diskretionärer Befugnis an die Regierung, wogegen der Wad-
dington-Saysche Plan auf regelmüßiger gerichtlicher Verurteilung besteht, die der
Ausweisung eines gegen die Gesetze verstoßenden Prinzen vorausgehen müsse.
Hier einen Mittelweg zu finden, schien nicht leicht, aber auch nicht unmöglich
M sein. Bis jetzt ist er indeß nicht gefunden. Der Senat hat den Barbeyschen
Plan mit geringer Majorität abgelehnt.

Betrachten wir den Gang, den die Dinge in der letzten Woche in Paris
genommen haben, etwas näher. Der Senat nahm nach Ablehnung des Proskrip¬
tionsgesetzes, welches die Regierung mit der Deputirtenkcnnmer vereinbart hatte,
den Waddington-Sayschen Gesetzentwurf an. Derselbe vermied die Befugnis der
Regierung, nach Belieben durch Dekret zu verbannen, er schloß die Bestrafung
der orleanistischen Prinzen für Verbrechen, die von Häuptern der Bonapartisten
begangen worden, aus, was gegen das sittliche Gefühl vieler gemäßigten Re¬
publikaner verstieß, und er schlug vor, gesetzlich zu bestimmen, „daß jedes Glied
einer Familie, die über Frankreich regiert hat, wenn es öffentlich als Prätendent
auftritt oder sich einer Kundgebung schuldig macht, die geeignet ist, die Sicher¬
heit des Staates zu gefährden, durch Verbannung bestraft werden soll. Die
gedachte Person soll vor die Assisen oder vor den Senat, der sich zu dem Zwecke
in einen Gerichtshof zu verwandeln hat, zur Aburteilung gebracht werden."
So sollte die Schuld eiues Prätendenten nicht durch seine Gegner und Ver¬
folger, sondern durch ordentliche und unparteiische Untersuchung vor einem
Tribunal festgestellt werden, und das Fallenlassen der Anklage gegen den
Prinzen Napoleon sowie dessen Freigebung aus der Haft hat bewiesen, daß es
in Frankreich noch Richter giebt, die sich von politischer Leidenschaft nicht be¬
irren lassen und Gerechtigkeit üben, selbst wenn es sich dabei um einen Prinzen
handelt, der sehr unbeliebt und wenig geachtet ist. Es ist äußerst zweifelhaft,
ob selbst nach dem jetzt vorgeschlagenen Gesetze das Anschlagen oder die sonstige
Bekanntmachung eines Manifestes, wie das des Prinzen Jerome war, als
„Handlung eines Prätendenten" aufgefaßt werden könnte, während es eine geradezu
lächerliche Behauptung sein würde, zu sagen, es sei „eine Kundgebung, geeignet,
die Sicherheit des Staates zu gefährden." Das ärgste, was man davon sagen
könnte, wäre, es sei eine Schmähung der Republik, unterzeichnet von jemand,
der sich enthalten habe, seinen Familiennamen hinzuzufügen. Dann aber wäre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0498" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152306"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Krisis in Paris.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1895" prev="#ID_1894"> gebnisse den Weg verlegt haben, und es war andrerseits unwahrscheinlich,<lb/>
daß der Senat jetzt, wo er sein Ziel erreicht hatte, durch Nachgeben, soweit er<lb/>
nach seinen Grundsätzen vermag, einen Vergleich zu erleichtern geneigt sein würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1896"> Vermutlich werden sich die streitenden Parteien, so sagte man sich, zuletzt<lb/>
auf Grund des Barbeyschen Vorschlags einigen, gegen den nur eine Mehrheit<lb/>
von sechzehn Senatoren gestimmt hatte. Dieser Plan, der nnr eine geringe<lb/>
Veränderung des vom Kabinet entworfenen Gesetzes bedeutet, will die Verbannung<lb/>
von Prätendenten kraft eines im Ministerrate zu beschließenden Dekrets, also<lb/>
Verleihung von diskretionärer Befugnis an die Regierung, wogegen der Wad-<lb/>
dington-Saysche Plan auf regelmüßiger gerichtlicher Verurteilung besteht, die der<lb/>
Ausweisung eines gegen die Gesetze verstoßenden Prinzen vorausgehen müsse.<lb/>
Hier einen Mittelweg zu finden, schien nicht leicht, aber auch nicht unmöglich<lb/>
M sein. Bis jetzt ist er indeß nicht gefunden. Der Senat hat den Barbeyschen<lb/>
Plan mit geringer Majorität abgelehnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1897" next="#ID_1898"> Betrachten wir den Gang, den die Dinge in der letzten Woche in Paris<lb/>
genommen haben, etwas näher. Der Senat nahm nach Ablehnung des Proskrip¬<lb/>
tionsgesetzes, welches die Regierung mit der Deputirtenkcnnmer vereinbart hatte,<lb/>
den Waddington-Sayschen Gesetzentwurf an. Derselbe vermied die Befugnis der<lb/>
Regierung, nach Belieben durch Dekret zu verbannen, er schloß die Bestrafung<lb/>
der orleanistischen Prinzen für Verbrechen, die von Häuptern der Bonapartisten<lb/>
begangen worden, aus, was gegen das sittliche Gefühl vieler gemäßigten Re¬<lb/>
publikaner verstieß, und er schlug vor, gesetzlich zu bestimmen, &#x201E;daß jedes Glied<lb/>
einer Familie, die über Frankreich regiert hat, wenn es öffentlich als Prätendent<lb/>
auftritt oder sich einer Kundgebung schuldig macht, die geeignet ist, die Sicher¬<lb/>
heit des Staates zu gefährden, durch Verbannung bestraft werden soll. Die<lb/>
gedachte Person soll vor die Assisen oder vor den Senat, der sich zu dem Zwecke<lb/>
in einen Gerichtshof zu verwandeln hat, zur Aburteilung gebracht werden."<lb/>
So sollte die Schuld eiues Prätendenten nicht durch seine Gegner und Ver¬<lb/>
folger, sondern durch ordentliche und unparteiische Untersuchung vor einem<lb/>
Tribunal festgestellt werden, und das Fallenlassen der Anklage gegen den<lb/>
Prinzen Napoleon sowie dessen Freigebung aus der Haft hat bewiesen, daß es<lb/>
in Frankreich noch Richter giebt, die sich von politischer Leidenschaft nicht be¬<lb/>
irren lassen und Gerechtigkeit üben, selbst wenn es sich dabei um einen Prinzen<lb/>
handelt, der sehr unbeliebt und wenig geachtet ist. Es ist äußerst zweifelhaft,<lb/>
ob selbst nach dem jetzt vorgeschlagenen Gesetze das Anschlagen oder die sonstige<lb/>
Bekanntmachung eines Manifestes, wie das des Prinzen Jerome war, als<lb/>
&#x201E;Handlung eines Prätendenten" aufgefaßt werden könnte, während es eine geradezu<lb/>
lächerliche Behauptung sein würde, zu sagen, es sei &#x201E;eine Kundgebung, geeignet,<lb/>
die Sicherheit des Staates zu gefährden." Das ärgste, was man davon sagen<lb/>
könnte, wäre, es sei eine Schmähung der Republik, unterzeichnet von jemand,<lb/>
der sich enthalten habe, seinen Familiennamen hinzuzufügen. Dann aber wäre</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0498] Die Krisis in Paris. gebnisse den Weg verlegt haben, und es war andrerseits unwahrscheinlich, daß der Senat jetzt, wo er sein Ziel erreicht hatte, durch Nachgeben, soweit er nach seinen Grundsätzen vermag, einen Vergleich zu erleichtern geneigt sein würde. Vermutlich werden sich die streitenden Parteien, so sagte man sich, zuletzt auf Grund des Barbeyschen Vorschlags einigen, gegen den nur eine Mehrheit von sechzehn Senatoren gestimmt hatte. Dieser Plan, der nnr eine geringe Veränderung des vom Kabinet entworfenen Gesetzes bedeutet, will die Verbannung von Prätendenten kraft eines im Ministerrate zu beschließenden Dekrets, also Verleihung von diskretionärer Befugnis an die Regierung, wogegen der Wad- dington-Saysche Plan auf regelmüßiger gerichtlicher Verurteilung besteht, die der Ausweisung eines gegen die Gesetze verstoßenden Prinzen vorausgehen müsse. Hier einen Mittelweg zu finden, schien nicht leicht, aber auch nicht unmöglich M sein. Bis jetzt ist er indeß nicht gefunden. Der Senat hat den Barbeyschen Plan mit geringer Majorität abgelehnt. Betrachten wir den Gang, den die Dinge in der letzten Woche in Paris genommen haben, etwas näher. Der Senat nahm nach Ablehnung des Proskrip¬ tionsgesetzes, welches die Regierung mit der Deputirtenkcnnmer vereinbart hatte, den Waddington-Sayschen Gesetzentwurf an. Derselbe vermied die Befugnis der Regierung, nach Belieben durch Dekret zu verbannen, er schloß die Bestrafung der orleanistischen Prinzen für Verbrechen, die von Häuptern der Bonapartisten begangen worden, aus, was gegen das sittliche Gefühl vieler gemäßigten Re¬ publikaner verstieß, und er schlug vor, gesetzlich zu bestimmen, „daß jedes Glied einer Familie, die über Frankreich regiert hat, wenn es öffentlich als Prätendent auftritt oder sich einer Kundgebung schuldig macht, die geeignet ist, die Sicher¬ heit des Staates zu gefährden, durch Verbannung bestraft werden soll. Die gedachte Person soll vor die Assisen oder vor den Senat, der sich zu dem Zwecke in einen Gerichtshof zu verwandeln hat, zur Aburteilung gebracht werden." So sollte die Schuld eiues Prätendenten nicht durch seine Gegner und Ver¬ folger, sondern durch ordentliche und unparteiische Untersuchung vor einem Tribunal festgestellt werden, und das Fallenlassen der Anklage gegen den Prinzen Napoleon sowie dessen Freigebung aus der Haft hat bewiesen, daß es in Frankreich noch Richter giebt, die sich von politischer Leidenschaft nicht be¬ irren lassen und Gerechtigkeit üben, selbst wenn es sich dabei um einen Prinzen handelt, der sehr unbeliebt und wenig geachtet ist. Es ist äußerst zweifelhaft, ob selbst nach dem jetzt vorgeschlagenen Gesetze das Anschlagen oder die sonstige Bekanntmachung eines Manifestes, wie das des Prinzen Jerome war, als „Handlung eines Prätendenten" aufgefaßt werden könnte, während es eine geradezu lächerliche Behauptung sein würde, zu sagen, es sei „eine Kundgebung, geeignet, die Sicherheit des Staates zu gefährden." Das ärgste, was man davon sagen könnte, wäre, es sei eine Schmähung der Republik, unterzeichnet von jemand, der sich enthalten habe, seinen Familiennamen hinzuzufügen. Dann aber wäre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/498
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/498>, abgerufen am 03.07.2024.