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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Stunde ein weites, freies Termin, welches um manchen Stellen von kleinen
Flächen moorigen Wassers bedeckt war und mir einzelne Bäume von knorrigen
Aussehen trug.

Dorothea hielt ihr Pferd an. Dies ist der Erlenbruch, sagte sie mit strah¬
lendem Gesicht. Sehen Sie den vielen Platz, Herr Eschenburg, sehen Sie dies
große Feld der Thätigkeit. Dort drüben, wo der hellgrüne Weideplatz sich an
den Wald anschließt, dort ist die Stelle, wo die Gebäude stehen sollen. Dort
ist ein guter, schwerer Boden, welcher leicht ertragfähig gemacht werden kann.
Und dort sehe ich auch an der Waldecke den Wagen unsers guten Pfarrers
halten. Er ist pünktlich gewesen.

Die kleine Kavalkade nahm die Richtung auf jenen Wagen hin, und bald
erkannte Eberhardt im Näherkommen einen schwarzgekleideten Herrn, der in
eiligem Schritt auf dem Waldwege daherkam. Dorothea stieg ab und reichte
dem Herrn ihre Hand entgegen, welche dieser unter ehrfurchtsvollem Gruß und
tief errötend ergriff. Eberhardt erblickte in ihm einen lang gewachsenen Mann,
dessen Züge die Spuren des Studierzimmers trugen und auffallend blaß er¬
schienen, sobald die erste Röte der Verlegenheit von ihnen verschwunden war.
Seine Augen hinter den Brillengläsern hatten das matte Aussehen, welches die
Folge von anhaltender Beschäftigung mit dem hellen Papier und den dunkeln
Buchstaben der Bücher und Schriften zu sein pflegt, und sein Wesen hatte etwas
Befangenes und Zerstreutes. Doch war der Ausdruck geistigen Lebens in diesem
Manne nicht zu verkennen, und Eberhardt dachte, daß Dorotheens Bemerkung
über die Vereinsamung eines gebildeten Geistlichen ganz besonders auf den
Pfarrer von Scholldorf passe. Er dachte bei sich, daß Dorothea wohl als
Gehilfen bei ihrem schwierigen Werke einen besser geeigneten Mann hätte finden
können, einen Mann, dem der Staub des Feldes vertrauter sei als der Staub
der Folianten, aber er konnte nicht ohne Rührung den Eifer sehen, mit dem
der Pfarrer den Ideen der jungen Dame entgegenkam, und sich in deren Ge¬
danken gleichsam berauschte.

Während Dorothea mit freundlicher und sichrer Haltung zu ihm über die
Verteilung des Bodens und die Lage der abzugrenzenden Grundstücke sprach
und ganz allein den Gegenstand des Gesprächs im Auge hatte, schien bei dem
Pfarrer das Wohlgefallen Dorotheens die Hauptsache zu sein. Er breitete auf
einem riesigen flachen Fettstein, der sich tischähnlich darbot, eine sauber aus¬
geführte Karte aus, welche die zukünftige Kolonie zur Anschauung bringen sollte,
und auf welcher er mit verschiednen Farben die Häuser, die Gärten, die Äcker
kenntlich gemacht hatte. Ein mädchenhaftes Erröten flog wieder über sein
Gesicht, als Dorothea die Karte mit Entzücken betrachtete und für höchst Praktisch
erklärte.

Eberhardt sah mit einer wunderlichen Mischung von Empfindungen dem
Gespräch zwischen den beiden zu, und die Ratschläge, mit denen er selbst an dem


Die Grafen von Altenschwerdt.

Stunde ein weites, freies Termin, welches um manchen Stellen von kleinen
Flächen moorigen Wassers bedeckt war und mir einzelne Bäume von knorrigen
Aussehen trug.

Dorothea hielt ihr Pferd an. Dies ist der Erlenbruch, sagte sie mit strah¬
lendem Gesicht. Sehen Sie den vielen Platz, Herr Eschenburg, sehen Sie dies
große Feld der Thätigkeit. Dort drüben, wo der hellgrüne Weideplatz sich an
den Wald anschließt, dort ist die Stelle, wo die Gebäude stehen sollen. Dort
ist ein guter, schwerer Boden, welcher leicht ertragfähig gemacht werden kann.
Und dort sehe ich auch an der Waldecke den Wagen unsers guten Pfarrers
halten. Er ist pünktlich gewesen.

Die kleine Kavalkade nahm die Richtung auf jenen Wagen hin, und bald
erkannte Eberhardt im Näherkommen einen schwarzgekleideten Herrn, der in
eiligem Schritt auf dem Waldwege daherkam. Dorothea stieg ab und reichte
dem Herrn ihre Hand entgegen, welche dieser unter ehrfurchtsvollem Gruß und
tief errötend ergriff. Eberhardt erblickte in ihm einen lang gewachsenen Mann,
dessen Züge die Spuren des Studierzimmers trugen und auffallend blaß er¬
schienen, sobald die erste Röte der Verlegenheit von ihnen verschwunden war.
Seine Augen hinter den Brillengläsern hatten das matte Aussehen, welches die
Folge von anhaltender Beschäftigung mit dem hellen Papier und den dunkeln
Buchstaben der Bücher und Schriften zu sein pflegt, und sein Wesen hatte etwas
Befangenes und Zerstreutes. Doch war der Ausdruck geistigen Lebens in diesem
Manne nicht zu verkennen, und Eberhardt dachte, daß Dorotheens Bemerkung
über die Vereinsamung eines gebildeten Geistlichen ganz besonders auf den
Pfarrer von Scholldorf passe. Er dachte bei sich, daß Dorothea wohl als
Gehilfen bei ihrem schwierigen Werke einen besser geeigneten Mann hätte finden
können, einen Mann, dem der Staub des Feldes vertrauter sei als der Staub
der Folianten, aber er konnte nicht ohne Rührung den Eifer sehen, mit dem
der Pfarrer den Ideen der jungen Dame entgegenkam, und sich in deren Ge¬
danken gleichsam berauschte.

Während Dorothea mit freundlicher und sichrer Haltung zu ihm über die
Verteilung des Bodens und die Lage der abzugrenzenden Grundstücke sprach
und ganz allein den Gegenstand des Gesprächs im Auge hatte, schien bei dem
Pfarrer das Wohlgefallen Dorotheens die Hauptsache zu sein. Er breitete auf
einem riesigen flachen Fettstein, der sich tischähnlich darbot, eine sauber aus¬
geführte Karte aus, welche die zukünftige Kolonie zur Anschauung bringen sollte,
und auf welcher er mit verschiednen Farben die Häuser, die Gärten, die Äcker
kenntlich gemacht hatte. Ein mädchenhaftes Erröten flog wieder über sein
Gesicht, als Dorothea die Karte mit Entzücken betrachtete und für höchst Praktisch
erklärte.

Eberhardt sah mit einer wunderlichen Mischung von Empfindungen dem
Gespräch zwischen den beiden zu, und die Ratschläge, mit denen er selbst an dem


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[0491] Die Grafen von Altenschwerdt. Stunde ein weites, freies Termin, welches um manchen Stellen von kleinen Flächen moorigen Wassers bedeckt war und mir einzelne Bäume von knorrigen Aussehen trug. Dorothea hielt ihr Pferd an. Dies ist der Erlenbruch, sagte sie mit strah¬ lendem Gesicht. Sehen Sie den vielen Platz, Herr Eschenburg, sehen Sie dies große Feld der Thätigkeit. Dort drüben, wo der hellgrüne Weideplatz sich an den Wald anschließt, dort ist die Stelle, wo die Gebäude stehen sollen. Dort ist ein guter, schwerer Boden, welcher leicht ertragfähig gemacht werden kann. Und dort sehe ich auch an der Waldecke den Wagen unsers guten Pfarrers halten. Er ist pünktlich gewesen. Die kleine Kavalkade nahm die Richtung auf jenen Wagen hin, und bald erkannte Eberhardt im Näherkommen einen schwarzgekleideten Herrn, der in eiligem Schritt auf dem Waldwege daherkam. Dorothea stieg ab und reichte dem Herrn ihre Hand entgegen, welche dieser unter ehrfurchtsvollem Gruß und tief errötend ergriff. Eberhardt erblickte in ihm einen lang gewachsenen Mann, dessen Züge die Spuren des Studierzimmers trugen und auffallend blaß er¬ schienen, sobald die erste Röte der Verlegenheit von ihnen verschwunden war. Seine Augen hinter den Brillengläsern hatten das matte Aussehen, welches die Folge von anhaltender Beschäftigung mit dem hellen Papier und den dunkeln Buchstaben der Bücher und Schriften zu sein pflegt, und sein Wesen hatte etwas Befangenes und Zerstreutes. Doch war der Ausdruck geistigen Lebens in diesem Manne nicht zu verkennen, und Eberhardt dachte, daß Dorotheens Bemerkung über die Vereinsamung eines gebildeten Geistlichen ganz besonders auf den Pfarrer von Scholldorf passe. Er dachte bei sich, daß Dorothea wohl als Gehilfen bei ihrem schwierigen Werke einen besser geeigneten Mann hätte finden können, einen Mann, dem der Staub des Feldes vertrauter sei als der Staub der Folianten, aber er konnte nicht ohne Rührung den Eifer sehen, mit dem der Pfarrer den Ideen der jungen Dame entgegenkam, und sich in deren Ge¬ danken gleichsam berauschte. Während Dorothea mit freundlicher und sichrer Haltung zu ihm über die Verteilung des Bodens und die Lage der abzugrenzenden Grundstücke sprach und ganz allein den Gegenstand des Gesprächs im Auge hatte, schien bei dem Pfarrer das Wohlgefallen Dorotheens die Hauptsache zu sein. Er breitete auf einem riesigen flachen Fettstein, der sich tischähnlich darbot, eine sauber aus¬ geführte Karte aus, welche die zukünftige Kolonie zur Anschauung bringen sollte, und auf welcher er mit verschiednen Farben die Häuser, die Gärten, die Äcker kenntlich gemacht hatte. Ein mädchenhaftes Erröten flog wieder über sein Gesicht, als Dorothea die Karte mit Entzücken betrachtete und für höchst Praktisch erklärte. Eberhardt sah mit einer wunderlichen Mischung von Empfindungen dem Gespräch zwischen den beiden zu, und die Ratschläge, mit denen er selbst an dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/491>, abgerufen am 23.07.2024.