Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Grafen von Altenschwerdt.

diese Weise mit der Zeit den ganzen, großen Erlenbrnch, welcher jetzt eine kleine
Wüste inmitten unsrer Besitzungen darstellt, zu kultiviren, indem den strebsamen
Leuten, sobald sie Eigentümer des kleinen Grundstücks geworden sind, die an¬
grenzende unkultivirte Fläche unter der Bedingung der Urbarmachung als Eigen¬
tum zugeteilt wird.

Eberhardt konnte sich nicht enthalten, während Dorothea ihm diesen Plan
entwickelte, an die Erzählung von dem guten Mädchen zu denken, das mit einem
Milchgefäß zu Markte ging, und dessen frohe Hoffnungen auf den Erlös durch
einen fröhlichen Sprung, bei dem die Milch verschüttet ward, erbarmungslos
zerstört wurden. Doch brachte er es nicht übers Herz, als er jetzt in das freude¬
strahlende Gesicht der jungen Dame blickte, irgend eine aus der grauen Erfah¬
rung geschöpfte Einwendung zu machen.

Ein herrlicher Plan, sagte er. Und ist der Herr Prediger Scngstack auch
der Meinung, daß er sich ausführen läßt?

Vollkommen! entgegnete Dorothea triumphirend. Der Prediger nimmt
großes Interesse an dieser Sache, sodaß ich schon um seinetwegen froh bin, auf
diese Idee gekommen zu sein. Er ist, wie ich glaube, in einer etwas traurigen
Lage in Scholldorf, wie wohl vielfach die Geistlichen es in den kleinen, abge¬
legenen Ortschaften sind. Es muß für einen gebildeten Geist, der die Schön¬
heit der Kunst und der Wissenschaft geschmeckt hat, eine sehr schwere Aufgabe
sein, mit einem Schlage gleichsam auf eine ferne Insel versetzt zu werden. Denn
anders kann man wohl kaum den Aufenthalt zwischen lauter ungebildeten Bauern
bezeichnen. Prediger Sengstack, der noch ein jüngerer Manu und unverheiratet
ist, macht mir durchaus einen solchen Eindruck, und es kam mir so vor, als
wäre mein Plan, den ich ihm vor einiger Zeit vortrug, eine wahre Wohlthat
für seinen Gemütszustand gewesen. Sehen Sie, fuhr Dorothea fort, ein Blatt
Papier aus der Satteltasche ziehend, hier ist eine flüchtige Skizze des Muster¬
hauses. Hier sehen Sie die Thür, die nach dem Garten führt, hier sind die vier
Feuster der Front, welche zehn Meter Länge haben soll, und der kleine Anbau
hier ist für ein Schwein berechnet, welches jede Familie jährlich aufziehen soll.

Sehr gut, sehr hübsch. Dieses Mustergebäude erinnert mich an die kleinen
Häuser der Farmer bei uns dort drüben, und ich sehe im Geiste die Ansied-
lungen unsrer Shaker am Hudson vor mir stehen.

So sprach Eberhardt, aber seine Worte kamen mehr ans jenein zweiten
Bewußtsein heraus, welches wir gewissermaßen äußerlich für den Umgang mit
der Welt zu besitze" scheinen, als aus seinem innerlichen Denken. Denn dieses
war auf die zierliche Zeichnung gerichtet, insofern sie ein Erzeugnis dieser
schlanken Hand und ein Beweis für das edle Herz dieser königlichen jungen
Dame war.

In fortgesetztem Gespräch über die geplante Kolonie und die dabei zu be¬
folgenden Grundsätze setzten sie ihren Weg fort und erreichten nach einer halben


Die Grafen von Altenschwerdt.

diese Weise mit der Zeit den ganzen, großen Erlenbrnch, welcher jetzt eine kleine
Wüste inmitten unsrer Besitzungen darstellt, zu kultiviren, indem den strebsamen
Leuten, sobald sie Eigentümer des kleinen Grundstücks geworden sind, die an¬
grenzende unkultivirte Fläche unter der Bedingung der Urbarmachung als Eigen¬
tum zugeteilt wird.

Eberhardt konnte sich nicht enthalten, während Dorothea ihm diesen Plan
entwickelte, an die Erzählung von dem guten Mädchen zu denken, das mit einem
Milchgefäß zu Markte ging, und dessen frohe Hoffnungen auf den Erlös durch
einen fröhlichen Sprung, bei dem die Milch verschüttet ward, erbarmungslos
zerstört wurden. Doch brachte er es nicht übers Herz, als er jetzt in das freude¬
strahlende Gesicht der jungen Dame blickte, irgend eine aus der grauen Erfah¬
rung geschöpfte Einwendung zu machen.

Ein herrlicher Plan, sagte er. Und ist der Herr Prediger Scngstack auch
der Meinung, daß er sich ausführen läßt?

Vollkommen! entgegnete Dorothea triumphirend. Der Prediger nimmt
großes Interesse an dieser Sache, sodaß ich schon um seinetwegen froh bin, auf
diese Idee gekommen zu sein. Er ist, wie ich glaube, in einer etwas traurigen
Lage in Scholldorf, wie wohl vielfach die Geistlichen es in den kleinen, abge¬
legenen Ortschaften sind. Es muß für einen gebildeten Geist, der die Schön¬
heit der Kunst und der Wissenschaft geschmeckt hat, eine sehr schwere Aufgabe
sein, mit einem Schlage gleichsam auf eine ferne Insel versetzt zu werden. Denn
anders kann man wohl kaum den Aufenthalt zwischen lauter ungebildeten Bauern
bezeichnen. Prediger Sengstack, der noch ein jüngerer Manu und unverheiratet
ist, macht mir durchaus einen solchen Eindruck, und es kam mir so vor, als
wäre mein Plan, den ich ihm vor einiger Zeit vortrug, eine wahre Wohlthat
für seinen Gemütszustand gewesen. Sehen Sie, fuhr Dorothea fort, ein Blatt
Papier aus der Satteltasche ziehend, hier ist eine flüchtige Skizze des Muster¬
hauses. Hier sehen Sie die Thür, die nach dem Garten führt, hier sind die vier
Feuster der Front, welche zehn Meter Länge haben soll, und der kleine Anbau
hier ist für ein Schwein berechnet, welches jede Familie jährlich aufziehen soll.

Sehr gut, sehr hübsch. Dieses Mustergebäude erinnert mich an die kleinen
Häuser der Farmer bei uns dort drüben, und ich sehe im Geiste die Ansied-
lungen unsrer Shaker am Hudson vor mir stehen.

So sprach Eberhardt, aber seine Worte kamen mehr ans jenein zweiten
Bewußtsein heraus, welches wir gewissermaßen äußerlich für den Umgang mit
der Welt zu besitze» scheinen, als aus seinem innerlichen Denken. Denn dieses
war auf die zierliche Zeichnung gerichtet, insofern sie ein Erzeugnis dieser
schlanken Hand und ein Beweis für das edle Herz dieser königlichen jungen
Dame war.

In fortgesetztem Gespräch über die geplante Kolonie und die dabei zu be¬
folgenden Grundsätze setzten sie ihren Weg fort und erreichten nach einer halben


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0490" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152290"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altenschwerdt.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1864" prev="#ID_1863"> diese Weise mit der Zeit den ganzen, großen Erlenbrnch, welcher jetzt eine kleine<lb/>
Wüste inmitten unsrer Besitzungen darstellt, zu kultiviren, indem den strebsamen<lb/>
Leuten, sobald sie Eigentümer des kleinen Grundstücks geworden sind, die an¬<lb/>
grenzende unkultivirte Fläche unter der Bedingung der Urbarmachung als Eigen¬<lb/>
tum zugeteilt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1865"> Eberhardt konnte sich nicht enthalten, während Dorothea ihm diesen Plan<lb/>
entwickelte, an die Erzählung von dem guten Mädchen zu denken, das mit einem<lb/>
Milchgefäß zu Markte ging, und dessen frohe Hoffnungen auf den Erlös durch<lb/>
einen fröhlichen Sprung, bei dem die Milch verschüttet ward, erbarmungslos<lb/>
zerstört wurden. Doch brachte er es nicht übers Herz, als er jetzt in das freude¬<lb/>
strahlende Gesicht der jungen Dame blickte, irgend eine aus der grauen Erfah¬<lb/>
rung geschöpfte Einwendung zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1866"> Ein herrlicher Plan, sagte er. Und ist der Herr Prediger Scngstack auch<lb/>
der Meinung, daß er sich ausführen läßt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1867"> Vollkommen! entgegnete Dorothea triumphirend. Der Prediger nimmt<lb/>
großes Interesse an dieser Sache, sodaß ich schon um seinetwegen froh bin, auf<lb/>
diese Idee gekommen zu sein. Er ist, wie ich glaube, in einer etwas traurigen<lb/>
Lage in Scholldorf, wie wohl vielfach die Geistlichen es in den kleinen, abge¬<lb/>
legenen Ortschaften sind. Es muß für einen gebildeten Geist, der die Schön¬<lb/>
heit der Kunst und der Wissenschaft geschmeckt hat, eine sehr schwere Aufgabe<lb/>
sein, mit einem Schlage gleichsam auf eine ferne Insel versetzt zu werden. Denn<lb/>
anders kann man wohl kaum den Aufenthalt zwischen lauter ungebildeten Bauern<lb/>
bezeichnen. Prediger Sengstack, der noch ein jüngerer Manu und unverheiratet<lb/>
ist, macht mir durchaus einen solchen Eindruck, und es kam mir so vor, als<lb/>
wäre mein Plan, den ich ihm vor einiger Zeit vortrug, eine wahre Wohlthat<lb/>
für seinen Gemütszustand gewesen. Sehen Sie, fuhr Dorothea fort, ein Blatt<lb/>
Papier aus der Satteltasche ziehend, hier ist eine flüchtige Skizze des Muster¬<lb/>
hauses. Hier sehen Sie die Thür, die nach dem Garten führt, hier sind die vier<lb/>
Feuster der Front, welche zehn Meter Länge haben soll, und der kleine Anbau<lb/>
hier ist für ein Schwein berechnet, welches jede Familie jährlich aufziehen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1868"> Sehr gut, sehr hübsch. Dieses Mustergebäude erinnert mich an die kleinen<lb/>
Häuser der Farmer bei uns dort drüben, und ich sehe im Geiste die Ansied-<lb/>
lungen unsrer Shaker am Hudson vor mir stehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1869"> So sprach Eberhardt, aber seine Worte kamen mehr ans jenein zweiten<lb/>
Bewußtsein heraus, welches wir gewissermaßen äußerlich für den Umgang mit<lb/>
der Welt zu besitze» scheinen, als aus seinem innerlichen Denken. Denn dieses<lb/>
war auf die zierliche Zeichnung gerichtet, insofern sie ein Erzeugnis dieser<lb/>
schlanken Hand und ein Beweis für das edle Herz dieser königlichen jungen<lb/>
Dame war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1870" next="#ID_1871"> In fortgesetztem Gespräch über die geplante Kolonie und die dabei zu be¬<lb/>
folgenden Grundsätze setzten sie ihren Weg fort und erreichten nach einer halben</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0490] Die Grafen von Altenschwerdt. diese Weise mit der Zeit den ganzen, großen Erlenbrnch, welcher jetzt eine kleine Wüste inmitten unsrer Besitzungen darstellt, zu kultiviren, indem den strebsamen Leuten, sobald sie Eigentümer des kleinen Grundstücks geworden sind, die an¬ grenzende unkultivirte Fläche unter der Bedingung der Urbarmachung als Eigen¬ tum zugeteilt wird. Eberhardt konnte sich nicht enthalten, während Dorothea ihm diesen Plan entwickelte, an die Erzählung von dem guten Mädchen zu denken, das mit einem Milchgefäß zu Markte ging, und dessen frohe Hoffnungen auf den Erlös durch einen fröhlichen Sprung, bei dem die Milch verschüttet ward, erbarmungslos zerstört wurden. Doch brachte er es nicht übers Herz, als er jetzt in das freude¬ strahlende Gesicht der jungen Dame blickte, irgend eine aus der grauen Erfah¬ rung geschöpfte Einwendung zu machen. Ein herrlicher Plan, sagte er. Und ist der Herr Prediger Scngstack auch der Meinung, daß er sich ausführen läßt? Vollkommen! entgegnete Dorothea triumphirend. Der Prediger nimmt großes Interesse an dieser Sache, sodaß ich schon um seinetwegen froh bin, auf diese Idee gekommen zu sein. Er ist, wie ich glaube, in einer etwas traurigen Lage in Scholldorf, wie wohl vielfach die Geistlichen es in den kleinen, abge¬ legenen Ortschaften sind. Es muß für einen gebildeten Geist, der die Schön¬ heit der Kunst und der Wissenschaft geschmeckt hat, eine sehr schwere Aufgabe sein, mit einem Schlage gleichsam auf eine ferne Insel versetzt zu werden. Denn anders kann man wohl kaum den Aufenthalt zwischen lauter ungebildeten Bauern bezeichnen. Prediger Sengstack, der noch ein jüngerer Manu und unverheiratet ist, macht mir durchaus einen solchen Eindruck, und es kam mir so vor, als wäre mein Plan, den ich ihm vor einiger Zeit vortrug, eine wahre Wohlthat für seinen Gemütszustand gewesen. Sehen Sie, fuhr Dorothea fort, ein Blatt Papier aus der Satteltasche ziehend, hier ist eine flüchtige Skizze des Muster¬ hauses. Hier sehen Sie die Thür, die nach dem Garten führt, hier sind die vier Feuster der Front, welche zehn Meter Länge haben soll, und der kleine Anbau hier ist für ein Schwein berechnet, welches jede Familie jährlich aufziehen soll. Sehr gut, sehr hübsch. Dieses Mustergebäude erinnert mich an die kleinen Häuser der Farmer bei uns dort drüben, und ich sehe im Geiste die Ansied- lungen unsrer Shaker am Hudson vor mir stehen. So sprach Eberhardt, aber seine Worte kamen mehr ans jenein zweiten Bewußtsein heraus, welches wir gewissermaßen äußerlich für den Umgang mit der Welt zu besitze» scheinen, als aus seinem innerlichen Denken. Denn dieses war auf die zierliche Zeichnung gerichtet, insofern sie ein Erzeugnis dieser schlanken Hand und ein Beweis für das edle Herz dieser königlichen jungen Dame war. In fortgesetztem Gespräch über die geplante Kolonie und die dabei zu be¬ folgenden Grundsätze setzten sie ihren Weg fort und erreichten nach einer halben

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/490
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/490>, abgerufen am 23.07.2024.