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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Das Wort Einheitskavallerie birgt einen unerhörten Unsinn in sich, wie die
meisten Schlagwörter der Neuzeit, sagte er nachdrücklich. Weswegen, frage ich,
weswegen wäre diese künstliche und kostspielige Vereinigung des Mannes mit einem
seiner Natur nach unbändigen Tiere erdacht und seit den grauesten Zeiten des
Altertums durchgeführt worden, wenn es nicht geschehen wäre, um Vorteile zu
erringen, die ein Mann zu Fuß nicht erreichen kann? Es liegt auf der Hand, daß
diese Vorteile in der Natur des Pferdes liegen, insofern man dasselbe mit dem
Menschen vergleicht. Dann findet man zwei Punkte: erstens, daß ein Pferd rascher
ist als ein Mensch, und zweitens, daß es mehr Gewicht und folglich mehr
Kraft hat, den Feind niederzurennen. Was folgt daraus? Es ist sonnenklar: Man
benutzt auf der einen Seite die Schnelligkeit, nämlich zum Einziehen von Nach¬
richten, zum Ausspähen des Landes, zu Umgehungen der Flanken des Feindes und
zum Verfolgen der Flüchtigen. Das heißt, man organisirt eine leichte Kavallerie.
Und ferner. Man benutzt auf der andern Seite das Gewicht des Pferdes,
nämlich zum Überrennen der feindlichen Kavallerie, zum Niederwerfen der In¬
fanterie, sobald sie sich in geschlossenen Massen in geeignetem Terrain auf
passende Distanz zeigt, und zum Zusammentreiben der zerstreuten Abteilungen
in dichte Massen, auf welche die Artillerie wirken kann. Mit andern Worten:
Man organisirt eine schwere Kavallerie. Wollte man aber beide Zwecke mit¬
einander vereinigen, so würde man beide verfehlen. Denn die leichten Pferde
haben nicht die nötige Wucht, nicht das Ungestüm und die Kraft, die ich zur
Attacke gebrauche, und die schweren Pferde haben nicht die Schnelligkeit der
Bewegung, die ich zu überraschenden Evolutionen und zum Vorpostendienst ver¬
lange. Was würde das Ergebnis der Einheitskavallerie sein? Sie würde
weder schnell noch ungestüm sein, sie würde zur Attacke zu leicht, zur Umgehung
zu schwer sein. Wenn ich aber eine Kavallerie haben soll, die weder schnell
genug noch schwer genug ist, so will ich lieber gar keine Kavallerie haben.

Es ist nur die Frage, entgegnete der General, ob wirklich auf das Un¬
gestüm, auf die Wucht der Attacke, namentlich gegenüber der Infanterie, noch
ein entscheidendes Gewicht gelegt werden darf. Ich denke, jeder Reiterführer
müßte sich angesichts der kürzlich bei Wörth und Sedan gemachten Erfahrungen
in jedem Falle ernstlich besinnen, ob er gut daran thue, seine Schwadronen
gegen intakte Infanterie loszulassen. Und wenn man in Betracht zieht, wie
sehr das zerstreute Fechten bei den Fußtruppen die Überhand gewonnen hat,
gewinnt man neue Gesichtspunkte für die Verwendung der Reiter, indem man
ihre Wichtigkeit für schnelle Bewegung in durchschnittenem Terrain, zum Auf¬
rollen von Schützenlinien, zum Zersprengen kleiner, geschlossener Abteilungen
und zu überraschendem Durchbrechen und Umgehen langer, dünner Jnfanterie-
linien beachtet. Ohne also eine Entscheidung für Einheitskavallcrie damit aus¬
sprechen zu wollen, möchte ich die Ausbildung einer jeden Kavallerie im
Campagnereiten als vorzüglich wichtig hinstellen.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Das Wort Einheitskavallerie birgt einen unerhörten Unsinn in sich, wie die
meisten Schlagwörter der Neuzeit, sagte er nachdrücklich. Weswegen, frage ich,
weswegen wäre diese künstliche und kostspielige Vereinigung des Mannes mit einem
seiner Natur nach unbändigen Tiere erdacht und seit den grauesten Zeiten des
Altertums durchgeführt worden, wenn es nicht geschehen wäre, um Vorteile zu
erringen, die ein Mann zu Fuß nicht erreichen kann? Es liegt auf der Hand, daß
diese Vorteile in der Natur des Pferdes liegen, insofern man dasselbe mit dem
Menschen vergleicht. Dann findet man zwei Punkte: erstens, daß ein Pferd rascher
ist als ein Mensch, und zweitens, daß es mehr Gewicht und folglich mehr
Kraft hat, den Feind niederzurennen. Was folgt daraus? Es ist sonnenklar: Man
benutzt auf der einen Seite die Schnelligkeit, nämlich zum Einziehen von Nach¬
richten, zum Ausspähen des Landes, zu Umgehungen der Flanken des Feindes und
zum Verfolgen der Flüchtigen. Das heißt, man organisirt eine leichte Kavallerie.
Und ferner. Man benutzt auf der andern Seite das Gewicht des Pferdes,
nämlich zum Überrennen der feindlichen Kavallerie, zum Niederwerfen der In¬
fanterie, sobald sie sich in geschlossenen Massen in geeignetem Terrain auf
passende Distanz zeigt, und zum Zusammentreiben der zerstreuten Abteilungen
in dichte Massen, auf welche die Artillerie wirken kann. Mit andern Worten:
Man organisirt eine schwere Kavallerie. Wollte man aber beide Zwecke mit¬
einander vereinigen, so würde man beide verfehlen. Denn die leichten Pferde
haben nicht die nötige Wucht, nicht das Ungestüm und die Kraft, die ich zur
Attacke gebrauche, und die schweren Pferde haben nicht die Schnelligkeit der
Bewegung, die ich zu überraschenden Evolutionen und zum Vorpostendienst ver¬
lange. Was würde das Ergebnis der Einheitskavallerie sein? Sie würde
weder schnell noch ungestüm sein, sie würde zur Attacke zu leicht, zur Umgehung
zu schwer sein. Wenn ich aber eine Kavallerie haben soll, die weder schnell
genug noch schwer genug ist, so will ich lieber gar keine Kavallerie haben.

Es ist nur die Frage, entgegnete der General, ob wirklich auf das Un¬
gestüm, auf die Wucht der Attacke, namentlich gegenüber der Infanterie, noch
ein entscheidendes Gewicht gelegt werden darf. Ich denke, jeder Reiterführer
müßte sich angesichts der kürzlich bei Wörth und Sedan gemachten Erfahrungen
in jedem Falle ernstlich besinnen, ob er gut daran thue, seine Schwadronen
gegen intakte Infanterie loszulassen. Und wenn man in Betracht zieht, wie
sehr das zerstreute Fechten bei den Fußtruppen die Überhand gewonnen hat,
gewinnt man neue Gesichtspunkte für die Verwendung der Reiter, indem man
ihre Wichtigkeit für schnelle Bewegung in durchschnittenem Terrain, zum Auf¬
rollen von Schützenlinien, zum Zersprengen kleiner, geschlossener Abteilungen
und zu überraschendem Durchbrechen und Umgehen langer, dünner Jnfanterie-
linien beachtet. Ohne also eine Entscheidung für Einheitskavallcrie damit aus¬
sprechen zu wollen, möchte ich die Ausbildung einer jeden Kavallerie im
Campagnereiten als vorzüglich wichtig hinstellen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/485>, abgerufen am 23.07.2024.