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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Sie Grafen von Altenschmerdt.

menschlichen Geist ist das unendliche nicht greifbar. Da er wenig Melodien be¬
sitzt und nur eine nianierirte Poesie, so kann er fast keine andre Wirkung er¬
denken als die der Harmonie und solcher Stimmen, welche die Töne nicht
melodiöser, sondern lärmender machen. Ja er ist so unglücklich in seinem Vor¬
haben, daß ihm diese Harmonie selbst unter den Händen entschlüpft. Da er
sie erzwingen will, greift er ohne Wahl zu und mißkennt das, was Wirkung
thut. Er verdirbt sein eignes Ohr, und ich denke, für ihn ist wohl die Stimme
die schönste geworden, welche am lautesten tönt. Aber ich glaube, wir sehen
dies Eingeständnis der Musiklosigkeit auch in der Lehre Wagners vom Musik¬
drama. Er ruft die Handlung auf der Bühne zur Hilfe für seine Musik
auf, ja er will die Handlung durch die Musik erklären. Setzt er damit nicht
die Bedeutung der Musik herab, ja verkennt durchaus ihr Wesen? Nicht die
begrenzte und anschauliche menschliche Handlung erklärt die Musik, sondern die
Schwingungen der Seele, welche die Gesetze der Gottheit fühlt. Und indem
er so die Musik herabwürdigt, ist er genötigt, zu allerhand äußerlichen Tand
seine Zuflucht zu nehmen, welcher sein Musikdrama verschönern soll. Er läßt
Götter, Riesen und Zwerge, Schwäne und Drachen auf der Bühne erscheinen,
er spielt mit elektrischem Licht und bengalischen Feuer. Aber ein viel schöneres
Licht und Feuer und viel herrlichere Gestalten erblickt meine Seele, wenn ich
geschlossenen Anges den Melodien Mozarts lausche oder den Ideen Beethovens
und Bachs, die Ihre wunderbaren Finger, liebe Anna, aus diesen schwarzen und
Weißen Tasten hervorströmen lassen.

Graf Dietrich fühlte sich sehr glücklich. Ein inniges Wohlbehagen er¬
wärmte ihn und regte ihn zu freiem Aussprechen seiner heiligsten Gedanken an.
Er war bis jetzt recht unzufrieden in der Heilanstalt gewesen, aber nun begann
er zu denken, es sei ein angenehmer Ort. Denn erst jetzt kam es ihm so vor,
als sei er zu Hause, erst jetzt fand er einen Platz, von dem aus er die um¬
gebende Welt mit Befriedigung ansehen konnte. Die Möbel im Musikzimmer
erschienen ihm hübsch und wohnlich, an den Blick aus den Fenstern knüpften
sich ihm liebliche Bilder, die Sonne und das Meer warteten draußen auf ihn,
um ihn mit Jubel zu empfangen.

Er bat Fräulein Glock, ihm noch mehr vorzusingen und vorzuspielen und
wie bisher dabei ganz ihrer Hingebung zu folgen, da alles, was sie gern spiele,
von ihm auch gern gehört werde. Und als sie gehorchte, streckte er sich be¬
haglich auf dem Sopha aus, zog den französischen Brief noch einmal hervor
und las ihn nun mit Ruhe durch.

Er mußte lächeln, indem er die wiederholten Versicherungen der Liebe
Odettens las, in so exzentrischen Ausdrücken abgefaßt, von jener niedlichen Hand
geschrieben, die ihm mit ihren rosigen Fingernägeln lebhaft vor dem Gedächtnis
stand. Er mußte lächeln, wenn er bedachte, wie sehr die kokette Französin ihn
liebe und welch ein bezaubernder Mann er sei. Als er an eine Stelle kam,


Sie Grafen von Altenschmerdt.

menschlichen Geist ist das unendliche nicht greifbar. Da er wenig Melodien be¬
sitzt und nur eine nianierirte Poesie, so kann er fast keine andre Wirkung er¬
denken als die der Harmonie und solcher Stimmen, welche die Töne nicht
melodiöser, sondern lärmender machen. Ja er ist so unglücklich in seinem Vor¬
haben, daß ihm diese Harmonie selbst unter den Händen entschlüpft. Da er
sie erzwingen will, greift er ohne Wahl zu und mißkennt das, was Wirkung
thut. Er verdirbt sein eignes Ohr, und ich denke, für ihn ist wohl die Stimme
die schönste geworden, welche am lautesten tönt. Aber ich glaube, wir sehen
dies Eingeständnis der Musiklosigkeit auch in der Lehre Wagners vom Musik¬
drama. Er ruft die Handlung auf der Bühne zur Hilfe für seine Musik
auf, ja er will die Handlung durch die Musik erklären. Setzt er damit nicht
die Bedeutung der Musik herab, ja verkennt durchaus ihr Wesen? Nicht die
begrenzte und anschauliche menschliche Handlung erklärt die Musik, sondern die
Schwingungen der Seele, welche die Gesetze der Gottheit fühlt. Und indem
er so die Musik herabwürdigt, ist er genötigt, zu allerhand äußerlichen Tand
seine Zuflucht zu nehmen, welcher sein Musikdrama verschönern soll. Er läßt
Götter, Riesen und Zwerge, Schwäne und Drachen auf der Bühne erscheinen,
er spielt mit elektrischem Licht und bengalischen Feuer. Aber ein viel schöneres
Licht und Feuer und viel herrlichere Gestalten erblickt meine Seele, wenn ich
geschlossenen Anges den Melodien Mozarts lausche oder den Ideen Beethovens
und Bachs, die Ihre wunderbaren Finger, liebe Anna, aus diesen schwarzen und
Weißen Tasten hervorströmen lassen.

Graf Dietrich fühlte sich sehr glücklich. Ein inniges Wohlbehagen er¬
wärmte ihn und regte ihn zu freiem Aussprechen seiner heiligsten Gedanken an.
Er war bis jetzt recht unzufrieden in der Heilanstalt gewesen, aber nun begann
er zu denken, es sei ein angenehmer Ort. Denn erst jetzt kam es ihm so vor,
als sei er zu Hause, erst jetzt fand er einen Platz, von dem aus er die um¬
gebende Welt mit Befriedigung ansehen konnte. Die Möbel im Musikzimmer
erschienen ihm hübsch und wohnlich, an den Blick aus den Fenstern knüpften
sich ihm liebliche Bilder, die Sonne und das Meer warteten draußen auf ihn,
um ihn mit Jubel zu empfangen.

Er bat Fräulein Glock, ihm noch mehr vorzusingen und vorzuspielen und
wie bisher dabei ganz ihrer Hingebung zu folgen, da alles, was sie gern spiele,
von ihm auch gern gehört werde. Und als sie gehorchte, streckte er sich be¬
haglich auf dem Sopha aus, zog den französischen Brief noch einmal hervor
und las ihn nun mit Ruhe durch.

Er mußte lächeln, indem er die wiederholten Versicherungen der Liebe
Odettens las, in so exzentrischen Ausdrücken abgefaßt, von jener niedlichen Hand
geschrieben, die ihm mit ihren rosigen Fingernägeln lebhaft vor dem Gedächtnis
stand. Er mußte lächeln, wenn er bedachte, wie sehr die kokette Französin ihn
liebe und welch ein bezaubernder Mann er sei. Als er an eine Stelle kam,


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[0439] Sie Grafen von Altenschmerdt. menschlichen Geist ist das unendliche nicht greifbar. Da er wenig Melodien be¬ sitzt und nur eine nianierirte Poesie, so kann er fast keine andre Wirkung er¬ denken als die der Harmonie und solcher Stimmen, welche die Töne nicht melodiöser, sondern lärmender machen. Ja er ist so unglücklich in seinem Vor¬ haben, daß ihm diese Harmonie selbst unter den Händen entschlüpft. Da er sie erzwingen will, greift er ohne Wahl zu und mißkennt das, was Wirkung thut. Er verdirbt sein eignes Ohr, und ich denke, für ihn ist wohl die Stimme die schönste geworden, welche am lautesten tönt. Aber ich glaube, wir sehen dies Eingeständnis der Musiklosigkeit auch in der Lehre Wagners vom Musik¬ drama. Er ruft die Handlung auf der Bühne zur Hilfe für seine Musik auf, ja er will die Handlung durch die Musik erklären. Setzt er damit nicht die Bedeutung der Musik herab, ja verkennt durchaus ihr Wesen? Nicht die begrenzte und anschauliche menschliche Handlung erklärt die Musik, sondern die Schwingungen der Seele, welche die Gesetze der Gottheit fühlt. Und indem er so die Musik herabwürdigt, ist er genötigt, zu allerhand äußerlichen Tand seine Zuflucht zu nehmen, welcher sein Musikdrama verschönern soll. Er läßt Götter, Riesen und Zwerge, Schwäne und Drachen auf der Bühne erscheinen, er spielt mit elektrischem Licht und bengalischen Feuer. Aber ein viel schöneres Licht und Feuer und viel herrlichere Gestalten erblickt meine Seele, wenn ich geschlossenen Anges den Melodien Mozarts lausche oder den Ideen Beethovens und Bachs, die Ihre wunderbaren Finger, liebe Anna, aus diesen schwarzen und Weißen Tasten hervorströmen lassen. Graf Dietrich fühlte sich sehr glücklich. Ein inniges Wohlbehagen er¬ wärmte ihn und regte ihn zu freiem Aussprechen seiner heiligsten Gedanken an. Er war bis jetzt recht unzufrieden in der Heilanstalt gewesen, aber nun begann er zu denken, es sei ein angenehmer Ort. Denn erst jetzt kam es ihm so vor, als sei er zu Hause, erst jetzt fand er einen Platz, von dem aus er die um¬ gebende Welt mit Befriedigung ansehen konnte. Die Möbel im Musikzimmer erschienen ihm hübsch und wohnlich, an den Blick aus den Fenstern knüpften sich ihm liebliche Bilder, die Sonne und das Meer warteten draußen auf ihn, um ihn mit Jubel zu empfangen. Er bat Fräulein Glock, ihm noch mehr vorzusingen und vorzuspielen und wie bisher dabei ganz ihrer Hingebung zu folgen, da alles, was sie gern spiele, von ihm auch gern gehört werde. Und als sie gehorchte, streckte er sich be¬ haglich auf dem Sopha aus, zog den französischen Brief noch einmal hervor und las ihn nun mit Ruhe durch. Er mußte lächeln, indem er die wiederholten Versicherungen der Liebe Odettens las, in so exzentrischen Ausdrücken abgefaßt, von jener niedlichen Hand geschrieben, die ihm mit ihren rosigen Fingernägeln lebhaft vor dem Gedächtnis stand. Er mußte lächeln, wenn er bedachte, wie sehr die kokette Französin ihn liebe und welch ein bezaubernder Mann er sei. Als er an eine Stelle kam,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/439>, abgerufen am 23.07.2024.