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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Dit Grafen vo" AUenjchwerdt.

Mozart habe ich das Gefühl, als sei ihm alles nur so zugeströmt, aber bei
Wagner spüre ich die Arbeit,

Ja, sagte der junge Graf Auch ich denke so. Es ist Verstandesarbeit
bei Wagner, und das Genie schafft doch instinktiv! Er ist ein bedeutender Kopf,
Er ist so bedeutend, daß er sogar wagen darf, Dinge zu thun, die nicht in seinen
natürlichen Fähigkeiten liegen, indem er sich selbst Gewalt anthut. Denn es ist
wenig Musik in ihm, und doch produzirt er Musik, So ist es auch mit seineu
Dichtungen. Er dichtet, ohne ein Dichter zu sein. So etwas fühlt sich. Er
konstruirt mit großem Scharfsinn poetisch aussehende Sachen, aber es ist in
ihnen keine Poesie. Deshalb hat er auch eine natürliche Feindschaft gegen die
Musiker und Dichter, und in dem Bestreben, sein Selbst vor sich selbst zu retten,
greift er die Männer an, die.voll Genie sind. Und in welchem Stile greift er
sie an! Er schreibt, wie er komponirt und wie er dichtet: einzelne wenige vor¬
treffliche Gedanken voll Kraft des Ausdruckes tauchen hervor aus einer Wüste
unverständlichen Wortkrams. Ich aber sehe den Geist eines Mannes am deut¬
lichsten gekennzeichnet in seinem Stil. Schreibt er nicht klar, so sind auch seine
Gedanken nicht klar. Sind aber Wagners Gedanken nicht klar, wie könnte er
wohl Musik machen?

Glauben Sie wirklich, Herr Graf, fragte das junge Mädchen nachdenklich,
daß derjenige, der nicht klar schreiben kann, auch nicht imstande sei, Musik zu
schaffen?

Es wäre möglich, erwiederte er, daß jemand ein großer Komponist wäre,
ohne schreiben zu können. Aber dann wird er wohl im richtigen Gefühle seiner
Begabung nur komponiren und das Schreiben lassen. Schreibt er aber und
schreibt er konfus, so muß notwendig auch sein Komponiren konfus sein. Denn
es kann der Geist nicht gleichzeitig klar und dunkel sein. Was ist die Musik?
Ich denke, mein liebes Kind, es ist nichts andres als eine Vermittlung für
unsre Sinne, die ihnen die gesetzmüßigen Bewegungen der Welt offenbart. Der
Komponist empfindet in seiner Seele jene harmonischen Schwingungen, die
andern Meuschen verborgen bleiben, und er besitzt die Kunst, sie durch Hilfe
von Instrumenten ihnen verständlich zu machen. Die Abbilder jener göttlichen
Gesetze der Bewegung sind aber Melodien. Die Melodie allein ist es, aus
welcher die allbesiegende Macht der Leidenschaft hervorquillt, und darum geht
von der Melodie allein die Macht der Musik über die Seele aus. Die ge¬
lehrteste und durchdachteste Aufeinanderfolge von Akkorden ohne die Beimischung
der Melodie kann daher nicht anders als langweilig sein. Die Harmonie allein
kann nicht zum Herzen sprechen.

Aber Wagner behauptet, er hätte die unendliche Melodie, warf das junge
Mädchen ein.

Die unendliche Melodie, sagte der junge Graf lächelnd, ist wohl nur eine
Umschreibung des Eingeständnisses, daß gar keine Melodie da ist, denn für den


Dit Grafen vo» AUenjchwerdt.

Mozart habe ich das Gefühl, als sei ihm alles nur so zugeströmt, aber bei
Wagner spüre ich die Arbeit,

Ja, sagte der junge Graf Auch ich denke so. Es ist Verstandesarbeit
bei Wagner, und das Genie schafft doch instinktiv! Er ist ein bedeutender Kopf,
Er ist so bedeutend, daß er sogar wagen darf, Dinge zu thun, die nicht in seinen
natürlichen Fähigkeiten liegen, indem er sich selbst Gewalt anthut. Denn es ist
wenig Musik in ihm, und doch produzirt er Musik, So ist es auch mit seineu
Dichtungen. Er dichtet, ohne ein Dichter zu sein. So etwas fühlt sich. Er
konstruirt mit großem Scharfsinn poetisch aussehende Sachen, aber es ist in
ihnen keine Poesie. Deshalb hat er auch eine natürliche Feindschaft gegen die
Musiker und Dichter, und in dem Bestreben, sein Selbst vor sich selbst zu retten,
greift er die Männer an, die.voll Genie sind. Und in welchem Stile greift er
sie an! Er schreibt, wie er komponirt und wie er dichtet: einzelne wenige vor¬
treffliche Gedanken voll Kraft des Ausdruckes tauchen hervor aus einer Wüste
unverständlichen Wortkrams. Ich aber sehe den Geist eines Mannes am deut¬
lichsten gekennzeichnet in seinem Stil. Schreibt er nicht klar, so sind auch seine
Gedanken nicht klar. Sind aber Wagners Gedanken nicht klar, wie könnte er
wohl Musik machen?

Glauben Sie wirklich, Herr Graf, fragte das junge Mädchen nachdenklich,
daß derjenige, der nicht klar schreiben kann, auch nicht imstande sei, Musik zu
schaffen?

Es wäre möglich, erwiederte er, daß jemand ein großer Komponist wäre,
ohne schreiben zu können. Aber dann wird er wohl im richtigen Gefühle seiner
Begabung nur komponiren und das Schreiben lassen. Schreibt er aber und
schreibt er konfus, so muß notwendig auch sein Komponiren konfus sein. Denn
es kann der Geist nicht gleichzeitig klar und dunkel sein. Was ist die Musik?
Ich denke, mein liebes Kind, es ist nichts andres als eine Vermittlung für
unsre Sinne, die ihnen die gesetzmüßigen Bewegungen der Welt offenbart. Der
Komponist empfindet in seiner Seele jene harmonischen Schwingungen, die
andern Meuschen verborgen bleiben, und er besitzt die Kunst, sie durch Hilfe
von Instrumenten ihnen verständlich zu machen. Die Abbilder jener göttlichen
Gesetze der Bewegung sind aber Melodien. Die Melodie allein ist es, aus
welcher die allbesiegende Macht der Leidenschaft hervorquillt, und darum geht
von der Melodie allein die Macht der Musik über die Seele aus. Die ge¬
lehrteste und durchdachteste Aufeinanderfolge von Akkorden ohne die Beimischung
der Melodie kann daher nicht anders als langweilig sein. Die Harmonie allein
kann nicht zum Herzen sprechen.

Aber Wagner behauptet, er hätte die unendliche Melodie, warf das junge
Mädchen ein.

Die unendliche Melodie, sagte der junge Graf lächelnd, ist wohl nur eine
Umschreibung des Eingeständnisses, daß gar keine Melodie da ist, denn für den


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[0438] Dit Grafen vo» AUenjchwerdt. Mozart habe ich das Gefühl, als sei ihm alles nur so zugeströmt, aber bei Wagner spüre ich die Arbeit, Ja, sagte der junge Graf Auch ich denke so. Es ist Verstandesarbeit bei Wagner, und das Genie schafft doch instinktiv! Er ist ein bedeutender Kopf, Er ist so bedeutend, daß er sogar wagen darf, Dinge zu thun, die nicht in seinen natürlichen Fähigkeiten liegen, indem er sich selbst Gewalt anthut. Denn es ist wenig Musik in ihm, und doch produzirt er Musik, So ist es auch mit seineu Dichtungen. Er dichtet, ohne ein Dichter zu sein. So etwas fühlt sich. Er konstruirt mit großem Scharfsinn poetisch aussehende Sachen, aber es ist in ihnen keine Poesie. Deshalb hat er auch eine natürliche Feindschaft gegen die Musiker und Dichter, und in dem Bestreben, sein Selbst vor sich selbst zu retten, greift er die Männer an, die.voll Genie sind. Und in welchem Stile greift er sie an! Er schreibt, wie er komponirt und wie er dichtet: einzelne wenige vor¬ treffliche Gedanken voll Kraft des Ausdruckes tauchen hervor aus einer Wüste unverständlichen Wortkrams. Ich aber sehe den Geist eines Mannes am deut¬ lichsten gekennzeichnet in seinem Stil. Schreibt er nicht klar, so sind auch seine Gedanken nicht klar. Sind aber Wagners Gedanken nicht klar, wie könnte er wohl Musik machen? Glauben Sie wirklich, Herr Graf, fragte das junge Mädchen nachdenklich, daß derjenige, der nicht klar schreiben kann, auch nicht imstande sei, Musik zu schaffen? Es wäre möglich, erwiederte er, daß jemand ein großer Komponist wäre, ohne schreiben zu können. Aber dann wird er wohl im richtigen Gefühle seiner Begabung nur komponiren und das Schreiben lassen. Schreibt er aber und schreibt er konfus, so muß notwendig auch sein Komponiren konfus sein. Denn es kann der Geist nicht gleichzeitig klar und dunkel sein. Was ist die Musik? Ich denke, mein liebes Kind, es ist nichts andres als eine Vermittlung für unsre Sinne, die ihnen die gesetzmüßigen Bewegungen der Welt offenbart. Der Komponist empfindet in seiner Seele jene harmonischen Schwingungen, die andern Meuschen verborgen bleiben, und er besitzt die Kunst, sie durch Hilfe von Instrumenten ihnen verständlich zu machen. Die Abbilder jener göttlichen Gesetze der Bewegung sind aber Melodien. Die Melodie allein ist es, aus welcher die allbesiegende Macht der Leidenschaft hervorquillt, und darum geht von der Melodie allein die Macht der Musik über die Seele aus. Die ge¬ lehrteste und durchdachteste Aufeinanderfolge von Akkorden ohne die Beimischung der Melodie kann daher nicht anders als langweilig sein. Die Harmonie allein kann nicht zum Herzen sprechen. Aber Wagner behauptet, er hätte die unendliche Melodie, warf das junge Mädchen ein. Die unendliche Melodie, sagte der junge Graf lächelnd, ist wohl nur eine Umschreibung des Eingeständnisses, daß gar keine Melodie da ist, denn für den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/438>, abgerufen am 23.07.2024.