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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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wo sie schrieb, daß sie sterben müsse, wenn er nicht binnen kurzem zurückkehre,
konnte er tuum ein lautes Lachen unterdrücken. Mit einem Seufzer über die
eigne Schlechtigkeit verbarg er den Brief wieder und betrachtete Früuleiu Glvcks
krauses Nackeuhanr, die sauste Wölbung ihres Rückens und die anmutige Be¬
wegung ihrer Arme.

Es war ein sehr guter Gedanke von Mama, sagte er sich, den Adjutanten
kommen zu lassen. Sie hat den Ort durchaus verändert, es liegt ein Zauber
der Zufriedenheit in dem Mädchen, womit sie ihre Umgebung still und glücklich
macht. Nur sie zu sehen, stillt die Wogen meines Herzens und regt mich zum
Dichten an.

Ich freue mich ganz unendlich, daß Sie gekommen sind, liebe Anna, sagte
er nach einer Pause. Sie machen wieder gut, was Ihr Bruder an mir ver¬
brochen hat.

Hat er wirklich um Ihnen etwas verbrochen? fragte sie, sich um¬
wendend.

O gar sehr, antwortete er. Von ihm ist ursprünglich die Idee des Algen¬
saftes ausgegangen. Er denkt immer noch mein Lehrer zu sein. Nun, ich bin
ihm dankbar für sein Interesse selbst, wenn es sich mich einmal wieder zur Zucht¬
rute gestaltet. Er hat an Mama geschrieben, dieser Doktor Schmidt sei ein
großer Held in Nervenkrankheiten. Haben Sie ihn auf der Herreise nicht
besucht?

Ja, ich war bei ihm.

Da muß er es Ihnen doch erzählt haben.

Er hat nichts davon erwähnt. Er steckte tief in Geschäften mit seiner
Zeitung.

Ich kann mir nicht denken, daß er gut zum Redakteur taugt, sagte Graf
Dietrich nachdenklich. Er ist zu gut. Er hat etwas von Ihrem lieben sanften
Herzen, Fräulein Anna, lind er ist nicht dazu geschaffen, Pfeile um Pfeile mit
dem Gegner auszutauschen. Aber wahrhaftig, Fräulein Anna, so prosaisch
es klingt, ich muß gestehen, ich bin entsetzlich hungrig. Dieser Morgen brachte
verschiedene Aufregungen für mich, traurige und freudige, und ich fühle mich
ganz erschöpft. Vielleicht war es zuletzt die Szene aus dem Don Juan, wo
der gottlose Herr soupirt, die meinen Magen angestachelt hat -- ich sehne mich
nach einer Stärkung. Wenn ich nur wüßte, woher ich sie bekommen könnte!

Fräulein Glock zog eine kleine silberne Uhr hervor.

In einer Stunde wird das Diner beginnen, sagte sie.

Das Diner! rief Dietrich. O, bestes Kind, täuschen Sie sich nicht über
die Bedeutung dieses Mahles. Man steht hungriger auf, als man sich hingesetzt
hat. Dieser Hnlluuke von Algenarzt hat das Prinzip, seine Patienten auszu¬
hungern, um reich zu werden. Seitdem ich hier bin, hungere ich, mein Magen
ist schon ganz zusammengeschrumpft. Es giebt unbeschreibliche Gerichte bei


wo sie schrieb, daß sie sterben müsse, wenn er nicht binnen kurzem zurückkehre,
konnte er tuum ein lautes Lachen unterdrücken. Mit einem Seufzer über die
eigne Schlechtigkeit verbarg er den Brief wieder und betrachtete Früuleiu Glvcks
krauses Nackeuhanr, die sauste Wölbung ihres Rückens und die anmutige Be¬
wegung ihrer Arme.

Es war ein sehr guter Gedanke von Mama, sagte er sich, den Adjutanten
kommen zu lassen. Sie hat den Ort durchaus verändert, es liegt ein Zauber
der Zufriedenheit in dem Mädchen, womit sie ihre Umgebung still und glücklich
macht. Nur sie zu sehen, stillt die Wogen meines Herzens und regt mich zum
Dichten an.

Ich freue mich ganz unendlich, daß Sie gekommen sind, liebe Anna, sagte
er nach einer Pause. Sie machen wieder gut, was Ihr Bruder an mir ver¬
brochen hat.

Hat er wirklich um Ihnen etwas verbrochen? fragte sie, sich um¬
wendend.

O gar sehr, antwortete er. Von ihm ist ursprünglich die Idee des Algen¬
saftes ausgegangen. Er denkt immer noch mein Lehrer zu sein. Nun, ich bin
ihm dankbar für sein Interesse selbst, wenn es sich mich einmal wieder zur Zucht¬
rute gestaltet. Er hat an Mama geschrieben, dieser Doktor Schmidt sei ein
großer Held in Nervenkrankheiten. Haben Sie ihn auf der Herreise nicht
besucht?

Ja, ich war bei ihm.

Da muß er es Ihnen doch erzählt haben.

Er hat nichts davon erwähnt. Er steckte tief in Geschäften mit seiner
Zeitung.

Ich kann mir nicht denken, daß er gut zum Redakteur taugt, sagte Graf
Dietrich nachdenklich. Er ist zu gut. Er hat etwas von Ihrem lieben sanften
Herzen, Fräulein Anna, lind er ist nicht dazu geschaffen, Pfeile um Pfeile mit
dem Gegner auszutauschen. Aber wahrhaftig, Fräulein Anna, so prosaisch
es klingt, ich muß gestehen, ich bin entsetzlich hungrig. Dieser Morgen brachte
verschiedene Aufregungen für mich, traurige und freudige, und ich fühle mich
ganz erschöpft. Vielleicht war es zuletzt die Szene aus dem Don Juan, wo
der gottlose Herr soupirt, die meinen Magen angestachelt hat — ich sehne mich
nach einer Stärkung. Wenn ich nur wüßte, woher ich sie bekommen könnte!

Fräulein Glock zog eine kleine silberne Uhr hervor.

In einer Stunde wird das Diner beginnen, sagte sie.

Das Diner! rief Dietrich. O, bestes Kind, täuschen Sie sich nicht über
die Bedeutung dieses Mahles. Man steht hungriger auf, als man sich hingesetzt
hat. Dieser Hnlluuke von Algenarzt hat das Prinzip, seine Patienten auszu¬
hungern, um reich zu werden. Seitdem ich hier bin, hungere ich, mein Magen
ist schon ganz zusammengeschrumpft. Es giebt unbeschreibliche Gerichte bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/440>, abgerufen am 25.08.2024.