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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Gegen das Landstreichertum.

Eine Einschränkung des Auspfändungsrechtes ist dringend geboten. In
den nordamerikanischen Freistaaten schützt das Gesetz jede" Schuldner vor der
gänzlichen Auspfändung, indem es ihm den Besitz von Hausrat bis zum Wert
von 300 Dollars 1200 Mark) läßt. Sollte eine ähnliche Maßregel nicht
mich bei uns eingeführt werden können? Die Wirkung einer solchen Verordnung
würde auch i" moralischer Hinsicht nicht zu unterschätzen sein, denn der Über¬
schuldete würde dann nicht mehr veranlaßt sein, den zur Erhaltung seiner
bürgerlichen Existenz ihm notwendigen Hausrat durch Scheinverkäufe an Freunde
und Verwandte zu retten, mit diesen das harte Gesetz zu umgehen und bei
laxer Moral diese Scheinkäufe durch Meineid zu erhärten. Die Verwaltungs¬
behörden beschweren sich, daß ihre Bemühungen gegen die Landstreicherei und
Bettelei durch zu milde Praxis mancher Gerichte gehemmt werden; wir klagen
darüber, daß durch die Strenge des Vollstreckungsgesetzes die Gerichte tausende
bis dahin strebsamer Leute auf die Landstraße jagen und dem Landstreichertum
überliefern.

Auch in der Durchführung der neuen Wirtfchafts- und Zollpolitik unsrer
Regierung erblicken wir eine" starken Schild zur Verhütung des Landstreichertums.
Das Arbeiterversicherungsgesetz wird den durch Alter oder Unfall invalid ge¬
wordenen Arbeiter vor dem Loose des Bummelns und Bettelns bewahren, sowie
durch die neuen Zölle so mancher fleißige Arbeiter, der bis jetzt schutzlos der
Invasion der durch ausländische Konkurrenz ins Land geschleuderten Waaren
gegenüberstand, die unterbrochene gewohnte Arbeit wieder aufnehmen und ein
nützliches schaffendes Mitglied der Gesellschaft entweder bleiben oder wieder
werden wird. Eine Besserung der industrielle" "ut wirtschaftlichen Verhältnisse,
wie sie sich in der letzten Zeit trotz alles Leugnens der Manchesterleute schon
vielfach vollzogen hat, bringt auch eine Erhöhung der Löhne. Verbindet sich
die durch die Besserung des Marktes bedingte Lohnerhöhung noch mit dem
guten Willen der Arbeitgeber, sodaß diese Herren ihren Arbeitern an dem
Vorteil der durch die neuen Zölle gehobenen Geschäftslage auch über das Maß
der eiserne" Notwendigkeit teilnehmen lassen, so werden wir eine Besserung der
sozialen Arbeiterverhältnisse ohne direktes Eingreife" der staatlichen Behörde haben.

Ferner würde auch eine in nicht zu enge Grenzen gesteckte Kolonialpolitik
und eine mit dem Besitz von Kolonien znsammenhä"ge"de auf dem Werbesystem
beruhende Kolonialarmee imstande sein, einen großen Teil derer vor dem Land-
streichertnm zu retten, die in keinen bürgerlichen Rahmen mehr passend, diesem
und dein Verbrechen unrettbar verfallen zu sein scheinen. Mit einer auf die
allgemeine Wehrkraft des Volkes basirenden Armee läßt sich eine Kolonialpolitik
nicht durchführe". Das aus dem ganzen Volke hervorgehende, aus allen seinen
Ständen gebildete Heer ist wohl ein schneidiges Instrument zum Schutze des
Vaterlandes, aber nicht geeignet, weil zu kostbar, um in fernen Tropen im
Kampfe wider Miasmen, wider Wilde und Halbwilde verwendet zu werden.


Grenzboten I. 1883. S3
Gegen das Landstreichertum.

Eine Einschränkung des Auspfändungsrechtes ist dringend geboten. In
den nordamerikanischen Freistaaten schützt das Gesetz jede» Schuldner vor der
gänzlichen Auspfändung, indem es ihm den Besitz von Hausrat bis zum Wert
von 300 Dollars 1200 Mark) läßt. Sollte eine ähnliche Maßregel nicht
mich bei uns eingeführt werden können? Die Wirkung einer solchen Verordnung
würde auch i» moralischer Hinsicht nicht zu unterschätzen sein, denn der Über¬
schuldete würde dann nicht mehr veranlaßt sein, den zur Erhaltung seiner
bürgerlichen Existenz ihm notwendigen Hausrat durch Scheinverkäufe an Freunde
und Verwandte zu retten, mit diesen das harte Gesetz zu umgehen und bei
laxer Moral diese Scheinkäufe durch Meineid zu erhärten. Die Verwaltungs¬
behörden beschweren sich, daß ihre Bemühungen gegen die Landstreicherei und
Bettelei durch zu milde Praxis mancher Gerichte gehemmt werden; wir klagen
darüber, daß durch die Strenge des Vollstreckungsgesetzes die Gerichte tausende
bis dahin strebsamer Leute auf die Landstraße jagen und dem Landstreichertum
überliefern.

Auch in der Durchführung der neuen Wirtfchafts- und Zollpolitik unsrer
Regierung erblicken wir eine» starken Schild zur Verhütung des Landstreichertums.
Das Arbeiterversicherungsgesetz wird den durch Alter oder Unfall invalid ge¬
wordenen Arbeiter vor dem Loose des Bummelns und Bettelns bewahren, sowie
durch die neuen Zölle so mancher fleißige Arbeiter, der bis jetzt schutzlos der
Invasion der durch ausländische Konkurrenz ins Land geschleuderten Waaren
gegenüberstand, die unterbrochene gewohnte Arbeit wieder aufnehmen und ein
nützliches schaffendes Mitglied der Gesellschaft entweder bleiben oder wieder
werden wird. Eine Besserung der industrielle» »ut wirtschaftlichen Verhältnisse,
wie sie sich in der letzten Zeit trotz alles Leugnens der Manchesterleute schon
vielfach vollzogen hat, bringt auch eine Erhöhung der Löhne. Verbindet sich
die durch die Besserung des Marktes bedingte Lohnerhöhung noch mit dem
guten Willen der Arbeitgeber, sodaß diese Herren ihren Arbeitern an dem
Vorteil der durch die neuen Zölle gehobenen Geschäftslage auch über das Maß
der eiserne» Notwendigkeit teilnehmen lassen, so werden wir eine Besserung der
sozialen Arbeiterverhältnisse ohne direktes Eingreife» der staatlichen Behörde haben.

Ferner würde auch eine in nicht zu enge Grenzen gesteckte Kolonialpolitik
und eine mit dem Besitz von Kolonien znsammenhä»ge»de auf dem Werbesystem
beruhende Kolonialarmee imstande sein, einen großen Teil derer vor dem Land-
streichertnm zu retten, die in keinen bürgerlichen Rahmen mehr passend, diesem
und dein Verbrechen unrettbar verfallen zu sein scheinen. Mit einer auf die
allgemeine Wehrkraft des Volkes basirenden Armee läßt sich eine Kolonialpolitik
nicht durchführe». Das aus dem ganzen Volke hervorgehende, aus allen seinen
Ständen gebildete Heer ist wohl ein schneidiges Instrument zum Schutze des
Vaterlandes, aber nicht geeignet, weil zu kostbar, um in fernen Tropen im
Kampfe wider Miasmen, wider Wilde und Halbwilde verwendet zu werden.


Grenzboten I. 1883. S3
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[0425] Gegen das Landstreichertum. Eine Einschränkung des Auspfändungsrechtes ist dringend geboten. In den nordamerikanischen Freistaaten schützt das Gesetz jede» Schuldner vor der gänzlichen Auspfändung, indem es ihm den Besitz von Hausrat bis zum Wert von 300 Dollars 1200 Mark) läßt. Sollte eine ähnliche Maßregel nicht mich bei uns eingeführt werden können? Die Wirkung einer solchen Verordnung würde auch i» moralischer Hinsicht nicht zu unterschätzen sein, denn der Über¬ schuldete würde dann nicht mehr veranlaßt sein, den zur Erhaltung seiner bürgerlichen Existenz ihm notwendigen Hausrat durch Scheinverkäufe an Freunde und Verwandte zu retten, mit diesen das harte Gesetz zu umgehen und bei laxer Moral diese Scheinkäufe durch Meineid zu erhärten. Die Verwaltungs¬ behörden beschweren sich, daß ihre Bemühungen gegen die Landstreicherei und Bettelei durch zu milde Praxis mancher Gerichte gehemmt werden; wir klagen darüber, daß durch die Strenge des Vollstreckungsgesetzes die Gerichte tausende bis dahin strebsamer Leute auf die Landstraße jagen und dem Landstreichertum überliefern. Auch in der Durchführung der neuen Wirtfchafts- und Zollpolitik unsrer Regierung erblicken wir eine» starken Schild zur Verhütung des Landstreichertums. Das Arbeiterversicherungsgesetz wird den durch Alter oder Unfall invalid ge¬ wordenen Arbeiter vor dem Loose des Bummelns und Bettelns bewahren, sowie durch die neuen Zölle so mancher fleißige Arbeiter, der bis jetzt schutzlos der Invasion der durch ausländische Konkurrenz ins Land geschleuderten Waaren gegenüberstand, die unterbrochene gewohnte Arbeit wieder aufnehmen und ein nützliches schaffendes Mitglied der Gesellschaft entweder bleiben oder wieder werden wird. Eine Besserung der industrielle» »ut wirtschaftlichen Verhältnisse, wie sie sich in der letzten Zeit trotz alles Leugnens der Manchesterleute schon vielfach vollzogen hat, bringt auch eine Erhöhung der Löhne. Verbindet sich die durch die Besserung des Marktes bedingte Lohnerhöhung noch mit dem guten Willen der Arbeitgeber, sodaß diese Herren ihren Arbeitern an dem Vorteil der durch die neuen Zölle gehobenen Geschäftslage auch über das Maß der eiserne» Notwendigkeit teilnehmen lassen, so werden wir eine Besserung der sozialen Arbeiterverhältnisse ohne direktes Eingreife» der staatlichen Behörde haben. Ferner würde auch eine in nicht zu enge Grenzen gesteckte Kolonialpolitik und eine mit dem Besitz von Kolonien znsammenhä»ge»de auf dem Werbesystem beruhende Kolonialarmee imstande sein, einen großen Teil derer vor dem Land- streichertnm zu retten, die in keinen bürgerlichen Rahmen mehr passend, diesem und dein Verbrechen unrettbar verfallen zu sein scheinen. Mit einer auf die allgemeine Wehrkraft des Volkes basirenden Armee läßt sich eine Kolonialpolitik nicht durchführe». Das aus dem ganzen Volke hervorgehende, aus allen seinen Ständen gebildete Heer ist wohl ein schneidiges Instrument zum Schutze des Vaterlandes, aber nicht geeignet, weil zu kostbar, um in fernen Tropen im Kampfe wider Miasmen, wider Wilde und Halbwilde verwendet zu werden. Grenzboten I. 1883. S3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/425>, abgerufen am 29.06.2024.