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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Gegen das Landstreichertum.

Andrerseits ist jedoch eine gesunde Kolonialpolitik für unsern Handel und unsre
Industrie wünschenswert. Zu ihrer Ausführung gehören aber Menschen, welche
bereit sind, gegen entsprechenden Lohn Gesundheit und Leben zu opfern. Daß
es solche Leute giebt, beweisen Holland und Frankreich mit ihren Kolvnial-
truppen und Fremdenlegionen, in denen schon laufende von Deutschen zum
besten eines fremden Landes gekämpft haben. Diese Elemente, an denen es
im Lande nie fehlen wird, könnten durch eignen Kolonialbesitz doppelt zum
Nutzen des Vaterlandes verwendet werden, indem sie dem Schmarotzertum der
Landstraße entzogen und unter die Fahne der deutschen Kvlonialtruppe gestellt
würden. Hier würden sie, die ehedem Parias der Gesellschaft waren, dem
Vaterlande neue Wege zu Wohlstand und Ruhm bahnen, sie selbst aber würden
in der Lage sein, sich unter dem Schutze der heimischen Gesetze, im Verbände
mit dem Vaterland bleibend, eine neue und ehrenvolle Existenz zu gründen.

Endlich kann schon in der Erziehung der Jugend dem Hange zum Land-
streichcrtum entgegengearbeitet werden. Schon das Kind muß begreifen lernen,
daß nur Arbeit und Fleiß den Menschen selbständig macht, und daß nur auf
dem Besitz des selbsterworbenen ein dauernder Segen ruht. Das Kind des
Armen sollte am meisten auf die Wahrheit des Sprichwortes hingewiesen werden,
nach welchem jeder seines eignen Glückes Schmied ist. Das Bestreben, sich durch
eigne Kraft emporzuarbeiten, führt den Menschen zur Sittlichkeit, das Sichver¬
lassen auf die Hilfe andrer demoralisirt ihn. Man hüte sich auch vor über¬
eilten, den Kindern erwiesenen Wohlthaten, welche das Selbstgefühl töten und
zur Bettelei führen. In der modernen Sucht der öffentlichen Weihnachtsbe-
fcherungen z. B, in denen arme Kinder eora-w, publico beschenkt werden, liegt
trotz der guten Absicht der Geber der Keim manches Übels. Die Kleinen merken
nur zu bald, daß sie bei dieser Art von Wohlthätigkeit als Staffage für ein
Vergnügen der Reichen dienen, und statt des Gefühls der Dankbarkeit wird
Bitterkeit gegen die Geber, Groll und Haß hervorgerufen, die Gaben werden
bekrittelt, oft beiseite geworfen und als ein ihnen vom Tisch der Reichen zustehendes
Almosen entgegengenommen. "Man unterstütze die Gemeindearmenpflege reich¬
lich und trete geräuschlos da ein, wo diese nicht hinreicht. Man unterstütze
namentlich die Selbsthilfe der Armen mit zweckmäßigen Mitteln, und ist man
genötigt, kräftig einzugreifen, wo der Arme zur Selbsthilfe unfähig ist, so ge¬
schieht dies am besten, wenn der Arme nicht erfährt, woher ihm die Hilfe ge¬
kommen."




Gegen das Landstreichertum.

Andrerseits ist jedoch eine gesunde Kolonialpolitik für unsern Handel und unsre
Industrie wünschenswert. Zu ihrer Ausführung gehören aber Menschen, welche
bereit sind, gegen entsprechenden Lohn Gesundheit und Leben zu opfern. Daß
es solche Leute giebt, beweisen Holland und Frankreich mit ihren Kolvnial-
truppen und Fremdenlegionen, in denen schon laufende von Deutschen zum
besten eines fremden Landes gekämpft haben. Diese Elemente, an denen es
im Lande nie fehlen wird, könnten durch eignen Kolonialbesitz doppelt zum
Nutzen des Vaterlandes verwendet werden, indem sie dem Schmarotzertum der
Landstraße entzogen und unter die Fahne der deutschen Kvlonialtruppe gestellt
würden. Hier würden sie, die ehedem Parias der Gesellschaft waren, dem
Vaterlande neue Wege zu Wohlstand und Ruhm bahnen, sie selbst aber würden
in der Lage sein, sich unter dem Schutze der heimischen Gesetze, im Verbände
mit dem Vaterland bleibend, eine neue und ehrenvolle Existenz zu gründen.

Endlich kann schon in der Erziehung der Jugend dem Hange zum Land-
streichcrtum entgegengearbeitet werden. Schon das Kind muß begreifen lernen,
daß nur Arbeit und Fleiß den Menschen selbständig macht, und daß nur auf
dem Besitz des selbsterworbenen ein dauernder Segen ruht. Das Kind des
Armen sollte am meisten auf die Wahrheit des Sprichwortes hingewiesen werden,
nach welchem jeder seines eignen Glückes Schmied ist. Das Bestreben, sich durch
eigne Kraft emporzuarbeiten, führt den Menschen zur Sittlichkeit, das Sichver¬
lassen auf die Hilfe andrer demoralisirt ihn. Man hüte sich auch vor über¬
eilten, den Kindern erwiesenen Wohlthaten, welche das Selbstgefühl töten und
zur Bettelei führen. In der modernen Sucht der öffentlichen Weihnachtsbe-
fcherungen z. B, in denen arme Kinder eora-w, publico beschenkt werden, liegt
trotz der guten Absicht der Geber der Keim manches Übels. Die Kleinen merken
nur zu bald, daß sie bei dieser Art von Wohlthätigkeit als Staffage für ein
Vergnügen der Reichen dienen, und statt des Gefühls der Dankbarkeit wird
Bitterkeit gegen die Geber, Groll und Haß hervorgerufen, die Gaben werden
bekrittelt, oft beiseite geworfen und als ein ihnen vom Tisch der Reichen zustehendes
Almosen entgegengenommen. „Man unterstütze die Gemeindearmenpflege reich¬
lich und trete geräuschlos da ein, wo diese nicht hinreicht. Man unterstütze
namentlich die Selbsthilfe der Armen mit zweckmäßigen Mitteln, und ist man
genötigt, kräftig einzugreifen, wo der Arme zur Selbsthilfe unfähig ist, so ge¬
schieht dies am besten, wenn der Arme nicht erfährt, woher ihm die Hilfe ge¬
kommen."




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[0426] Gegen das Landstreichertum. Andrerseits ist jedoch eine gesunde Kolonialpolitik für unsern Handel und unsre Industrie wünschenswert. Zu ihrer Ausführung gehören aber Menschen, welche bereit sind, gegen entsprechenden Lohn Gesundheit und Leben zu opfern. Daß es solche Leute giebt, beweisen Holland und Frankreich mit ihren Kolvnial- truppen und Fremdenlegionen, in denen schon laufende von Deutschen zum besten eines fremden Landes gekämpft haben. Diese Elemente, an denen es im Lande nie fehlen wird, könnten durch eignen Kolonialbesitz doppelt zum Nutzen des Vaterlandes verwendet werden, indem sie dem Schmarotzertum der Landstraße entzogen und unter die Fahne der deutschen Kvlonialtruppe gestellt würden. Hier würden sie, die ehedem Parias der Gesellschaft waren, dem Vaterlande neue Wege zu Wohlstand und Ruhm bahnen, sie selbst aber würden in der Lage sein, sich unter dem Schutze der heimischen Gesetze, im Verbände mit dem Vaterland bleibend, eine neue und ehrenvolle Existenz zu gründen. Endlich kann schon in der Erziehung der Jugend dem Hange zum Land- streichcrtum entgegengearbeitet werden. Schon das Kind muß begreifen lernen, daß nur Arbeit und Fleiß den Menschen selbständig macht, und daß nur auf dem Besitz des selbsterworbenen ein dauernder Segen ruht. Das Kind des Armen sollte am meisten auf die Wahrheit des Sprichwortes hingewiesen werden, nach welchem jeder seines eignen Glückes Schmied ist. Das Bestreben, sich durch eigne Kraft emporzuarbeiten, führt den Menschen zur Sittlichkeit, das Sichver¬ lassen auf die Hilfe andrer demoralisirt ihn. Man hüte sich auch vor über¬ eilten, den Kindern erwiesenen Wohlthaten, welche das Selbstgefühl töten und zur Bettelei führen. In der modernen Sucht der öffentlichen Weihnachtsbe- fcherungen z. B, in denen arme Kinder eora-w, publico beschenkt werden, liegt trotz der guten Absicht der Geber der Keim manches Übels. Die Kleinen merken nur zu bald, daß sie bei dieser Art von Wohlthätigkeit als Staffage für ein Vergnügen der Reichen dienen, und statt des Gefühls der Dankbarkeit wird Bitterkeit gegen die Geber, Groll und Haß hervorgerufen, die Gaben werden bekrittelt, oft beiseite geworfen und als ein ihnen vom Tisch der Reichen zustehendes Almosen entgegengenommen. „Man unterstütze die Gemeindearmenpflege reich¬ lich und trete geräuschlos da ein, wo diese nicht hinreicht. Man unterstütze namentlich die Selbsthilfe der Armen mit zweckmäßigen Mitteln, und ist man genötigt, kräftig einzugreifen, wo der Arme zur Selbsthilfe unfähig ist, so ge¬ schieht dies am besten, wenn der Arme nicht erfährt, woher ihm die Hilfe ge¬ kommen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/426>, abgerufen am 01.07.2024.