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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Lntstchimgsgeschichte "ut Stil dos Egmont.

stecken, offenbar bei der Szene zwischen Egmont und Alba, welche geändert
werden mußte. Es ist kein Zufall, daß Goethe gerade hier, wo er um wenigsten
aus seinem Innern schöpfen konnte, wo mit der Person Aldas die historische
Tragödie in ihre Rechte trat, immer wieder ins Stocken gerät. Erst nach der
Ausführung der Iphigenie geht Goethe abermals daran! im Mai 1779 rückt
Egmont, und noch am 23. Juni schreibt er eine Szene am Egmont -- wieder
bleibt das Stück im vierten Akte liegen, Tasso "ut Elpenor treten dazwischen.
Im Dezember 1781 nimmt Goethe die Arbeit bei dem fatalen vierten Akte,
den er hasse und notwendig umschreiben müsse, und ohne den er mit diesem
Jahre auch dieses lang vertrödelte Stück beschließen zu können meinte, wieder
auf. Nochmals stockt es hier; erst im März 1782 geht er wieder daran und
hofft ihn endlich zu bezwingen; freilich werde es langsamer gehen, als er an¬
fangs gedacht habe. Über die Art der Änderungen und das, was ihm an dem
ersten Entwürfe mißfiel, spricht er sich jetzt folgendermaßen aus: "Es ist ein
wunderbares Stück. Wenn ichs noch zu schreiben hätte, schrieb ich es anders
und vielleicht gar nicht. Da es nun aber da steht, mag es stehn; ich will nur
das allzu aufgeknöpfte, studentcnhafte der Manier zu tilgen suchen, das der
Würde des Gegenstandes widerspricht." Erst am 5. Mai schickt Goethe die
Dichtung in dieser zweiten Redaktion an die Tochter Mösers, mit der aus¬
drücklichen Versicherung, der Versuch sei vor einigen Jahren gemacht worden,
und er habe seit der Zeit nicht so viel Muße gefunden, um das Stück so zu
bearbeiten, wie es wohl sein sollte.

Erst zwölf Jahre nach dem ersten Anfange nimmt Goethe den Egmont in
Italien von neuem vor und führt ihn zu Ende. Es ist eigentümlich, Goethes
Äußerungen über diese Arbeit während der italienischen Reise zu lesen.
Während er die Iphigenie lind den Tasso nur als eine Mühe und eine Plage
empfindet, fühlt er sich während der Arbeit am Egmont ordentlich wieder jung,
alles geht ihm von der Hand, und manchmal kommt ein Hauch der Jugendzeit
ihn wieder anzuwehen. Er ist voll guter Hoffnung, das Stück, von dessen
Vollendung er so oft abgehalten worden war, seltsamerweise gerade in Rom
zu vollenden; und das zu einer Zeit, in welcher sich in Brüssel ähnliche Szenen
abspielten und Kaiser Josef durch seiue Händel mit den Brabantern ihm seinen
Egmont interessant zu machen schien. Ja während bei Iphigenie und Tasso
von einem andern Publikum als dem Weimarischen garnicht die Rede ist, kann
Goethe es mit dem Egmont nicht erwarten, ihn gedruckt zu sehen, damit er
so frisch, wie er aus seiner Feder geflossen, ins Publikum komme. Und doch
war die Arbeit, wie er nachher erkannte, eine unsäglich schwere Aufgabe, die er
ohne eine ungemessene Freiheit des Lebeus und des Gemütes nie zustande ge¬
bracht hätte. Ein vor zwölf Jahren begonnenes Werk sollte vollendet werden,
ohne es umzuschreiben! So bewahrheitet sich auch hier Goethes Wort, daß er
in Italien nicht bloß zum Genusse der Kunst und der Altertümer, sondern auch


Lntstchimgsgeschichte »ut Stil dos Egmont.

stecken, offenbar bei der Szene zwischen Egmont und Alba, welche geändert
werden mußte. Es ist kein Zufall, daß Goethe gerade hier, wo er um wenigsten
aus seinem Innern schöpfen konnte, wo mit der Person Aldas die historische
Tragödie in ihre Rechte trat, immer wieder ins Stocken gerät. Erst nach der
Ausführung der Iphigenie geht Goethe abermals daran! im Mai 1779 rückt
Egmont, und noch am 23. Juni schreibt er eine Szene am Egmont — wieder
bleibt das Stück im vierten Akte liegen, Tasso »ut Elpenor treten dazwischen.
Im Dezember 1781 nimmt Goethe die Arbeit bei dem fatalen vierten Akte,
den er hasse und notwendig umschreiben müsse, und ohne den er mit diesem
Jahre auch dieses lang vertrödelte Stück beschließen zu können meinte, wieder
auf. Nochmals stockt es hier; erst im März 1782 geht er wieder daran und
hofft ihn endlich zu bezwingen; freilich werde es langsamer gehen, als er an¬
fangs gedacht habe. Über die Art der Änderungen und das, was ihm an dem
ersten Entwürfe mißfiel, spricht er sich jetzt folgendermaßen aus: „Es ist ein
wunderbares Stück. Wenn ichs noch zu schreiben hätte, schrieb ich es anders
und vielleicht gar nicht. Da es nun aber da steht, mag es stehn; ich will nur
das allzu aufgeknöpfte, studentcnhafte der Manier zu tilgen suchen, das der
Würde des Gegenstandes widerspricht." Erst am 5. Mai schickt Goethe die
Dichtung in dieser zweiten Redaktion an die Tochter Mösers, mit der aus¬
drücklichen Versicherung, der Versuch sei vor einigen Jahren gemacht worden,
und er habe seit der Zeit nicht so viel Muße gefunden, um das Stück so zu
bearbeiten, wie es wohl sein sollte.

Erst zwölf Jahre nach dem ersten Anfange nimmt Goethe den Egmont in
Italien von neuem vor und führt ihn zu Ende. Es ist eigentümlich, Goethes
Äußerungen über diese Arbeit während der italienischen Reise zu lesen.
Während er die Iphigenie lind den Tasso nur als eine Mühe und eine Plage
empfindet, fühlt er sich während der Arbeit am Egmont ordentlich wieder jung,
alles geht ihm von der Hand, und manchmal kommt ein Hauch der Jugendzeit
ihn wieder anzuwehen. Er ist voll guter Hoffnung, das Stück, von dessen
Vollendung er so oft abgehalten worden war, seltsamerweise gerade in Rom
zu vollenden; und das zu einer Zeit, in welcher sich in Brüssel ähnliche Szenen
abspielten und Kaiser Josef durch seiue Händel mit den Brabantern ihm seinen
Egmont interessant zu machen schien. Ja während bei Iphigenie und Tasso
von einem andern Publikum als dem Weimarischen garnicht die Rede ist, kann
Goethe es mit dem Egmont nicht erwarten, ihn gedruckt zu sehen, damit er
so frisch, wie er aus seiner Feder geflossen, ins Publikum komme. Und doch
war die Arbeit, wie er nachher erkannte, eine unsäglich schwere Aufgabe, die er
ohne eine ungemessene Freiheit des Lebeus und des Gemütes nie zustande ge¬
bracht hätte. Ein vor zwölf Jahren begonnenes Werk sollte vollendet werden,
ohne es umzuschreiben! So bewahrheitet sich auch hier Goethes Wort, daß er
in Italien nicht bloß zum Genusse der Kunst und der Altertümer, sondern auch


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[0370] Lntstchimgsgeschichte »ut Stil dos Egmont. stecken, offenbar bei der Szene zwischen Egmont und Alba, welche geändert werden mußte. Es ist kein Zufall, daß Goethe gerade hier, wo er um wenigsten aus seinem Innern schöpfen konnte, wo mit der Person Aldas die historische Tragödie in ihre Rechte trat, immer wieder ins Stocken gerät. Erst nach der Ausführung der Iphigenie geht Goethe abermals daran! im Mai 1779 rückt Egmont, und noch am 23. Juni schreibt er eine Szene am Egmont — wieder bleibt das Stück im vierten Akte liegen, Tasso »ut Elpenor treten dazwischen. Im Dezember 1781 nimmt Goethe die Arbeit bei dem fatalen vierten Akte, den er hasse und notwendig umschreiben müsse, und ohne den er mit diesem Jahre auch dieses lang vertrödelte Stück beschließen zu können meinte, wieder auf. Nochmals stockt es hier; erst im März 1782 geht er wieder daran und hofft ihn endlich zu bezwingen; freilich werde es langsamer gehen, als er an¬ fangs gedacht habe. Über die Art der Änderungen und das, was ihm an dem ersten Entwürfe mißfiel, spricht er sich jetzt folgendermaßen aus: „Es ist ein wunderbares Stück. Wenn ichs noch zu schreiben hätte, schrieb ich es anders und vielleicht gar nicht. Da es nun aber da steht, mag es stehn; ich will nur das allzu aufgeknöpfte, studentcnhafte der Manier zu tilgen suchen, das der Würde des Gegenstandes widerspricht." Erst am 5. Mai schickt Goethe die Dichtung in dieser zweiten Redaktion an die Tochter Mösers, mit der aus¬ drücklichen Versicherung, der Versuch sei vor einigen Jahren gemacht worden, und er habe seit der Zeit nicht so viel Muße gefunden, um das Stück so zu bearbeiten, wie es wohl sein sollte. Erst zwölf Jahre nach dem ersten Anfange nimmt Goethe den Egmont in Italien von neuem vor und führt ihn zu Ende. Es ist eigentümlich, Goethes Äußerungen über diese Arbeit während der italienischen Reise zu lesen. Während er die Iphigenie lind den Tasso nur als eine Mühe und eine Plage empfindet, fühlt er sich während der Arbeit am Egmont ordentlich wieder jung, alles geht ihm von der Hand, und manchmal kommt ein Hauch der Jugendzeit ihn wieder anzuwehen. Er ist voll guter Hoffnung, das Stück, von dessen Vollendung er so oft abgehalten worden war, seltsamerweise gerade in Rom zu vollenden; und das zu einer Zeit, in welcher sich in Brüssel ähnliche Szenen abspielten und Kaiser Josef durch seiue Händel mit den Brabantern ihm seinen Egmont interessant zu machen schien. Ja während bei Iphigenie und Tasso von einem andern Publikum als dem Weimarischen garnicht die Rede ist, kann Goethe es mit dem Egmont nicht erwarten, ihn gedruckt zu sehen, damit er so frisch, wie er aus seiner Feder geflossen, ins Publikum komme. Und doch war die Arbeit, wie er nachher erkannte, eine unsäglich schwere Aufgabe, die er ohne eine ungemessene Freiheit des Lebeus und des Gemütes nie zustande ge¬ bracht hätte. Ein vor zwölf Jahren begonnenes Werk sollte vollendet werden, ohne es umzuschreiben! So bewahrheitet sich auch hier Goethes Wort, daß er in Italien nicht bloß zum Genusse der Kunst und der Altertümer, sondern auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/370>, abgerufen am 23.07.2024.