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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Harmonie der Farben und der Tone,

daß. wenn irgendeine Farbe, etwa Blau, als Grundton, eine andre, etwa Rot,
als Quinte angenommen wird, man sofort vor einer nicht zu beantwortenden
Frage steht, sobald gefordert wird, die -- sei es tiefere oder höhere -- Oktave,
die ja denselben Ton, nur mit halber oder doppelter Schwingungszahl, angiebt,
durch eine Farbe zu bezeichnen, hätte längst alle Versuche einer solchen Paralleli-
siruug als hinfällig erkennen lassen sollen.

Ehe ich noch einige andre in der Geschichte auftretenden Ansichten über
einen angebliche" Parallelismus zwischen den Farben und Tönen erwähne, muß
ich zur Orientirung derjenigen Leser, welche sich nicht mit der Frage der Farben-
theoric vertraut gemacht haben, einige erklärende Worte über den prinzipiellen
Unterschied zwischen der Newtonschen und der Goethischen Farbenlehre voraus¬
schicken, wobei mir übrigens die Absicht fern liegt, mich in diesen -- trotz Herrn
Dubois-Neymonds*) Versicherung, daß die Gvethische Theorie "längst gerichtet"
sei -- noch immer schwebenden Streit näher einzulassen, Newton behauptet,
daß der reine Lichtstrahl aus sieben verschiedenfarbigen Strahlen zusammen¬
gesetzt sei, welche verschiedene Brechuugsart besäßen; weshalb, wenn man den
weißen Lichtstrahl durch ein kleines Loch in ein dunkles Zimmer fallen läßt
und ihn durch ein Prisma auffängt, eine Zerlegung des Strahles in seine Teile,
d, h. eben in die sieben einfachen Farben, bewirkt werde, welche sich auf der
gegenüberliegenden Wand darstellen. Es ist dies das sogenannte prismatische
Spektrum, welches aber, wie schon erwähnt, thatsächlich nur aus sechs einfachen
Farben besteht. Dieser Theorie gegenüber erklärt Goethe die Entstehung der
Farben -- ohne Beihilfe eines "kleinen Lochs" und der prismatischen Brechung --,
und zwar zunächst den Kontrast von Gelb und Blau, durch die Einwirkung
eines trübenden Elementes, nämlich der Erdatmosphäre, welche den Gegensatz
des reinen Lichtes und der absoluten Finsternis in der Art abschwäche, daß
das weiße Licht durch die Trübung verdunkelt, die Finsternis eben dadurch er¬
hellt erscheine. Gelb ist ihm also getrübtes oder verdunkeltes Licht, Blau ge¬
trübte, d. h, erhellte Finsternis. Als Beweis führt er an, daß die Sonne in
der Nähe des Horizontes, wo ihr Licht also durch eine dichtere und dickere
Schicht der Erdatmosphäre hindurchgehen muß, gelber, d. h, orangefarben, oft
sogar bis zum Roten (daher die Morgen- und Abendröte) abgedämpft erscheint,
während das Blau des Himmels umso tiefer sich darstellt, je höher man empor¬
steigt, d. h, je dünner die Schicht des Trübenden wird, (Bekanntlich erscheint
den im Luftballon aufsteigenden der Himmel fast schwärzlich, und umsomehr,
je höher sie sich erheben.) Es ist dies das sogenannte Goethische "Urphänomen,"
das trotz seiner -- im Gegensatz zu der rein hypothetischen Theorie von der
"Zusammensetzung des einfachen weißen Lichtstrahles aus sieben farbigen
Strahlen" -- auf thatsächliche Erfahrung begründeten, einleuchtenden Beweis-



In seiner kürzlich erschienenen Nekwmtsrcde "Goethe und kein Ende."
Grenzboten I, 1383.
Die Harmonie der Farben und der Tone,

daß. wenn irgendeine Farbe, etwa Blau, als Grundton, eine andre, etwa Rot,
als Quinte angenommen wird, man sofort vor einer nicht zu beantwortenden
Frage steht, sobald gefordert wird, die — sei es tiefere oder höhere — Oktave,
die ja denselben Ton, nur mit halber oder doppelter Schwingungszahl, angiebt,
durch eine Farbe zu bezeichnen, hätte längst alle Versuche einer solchen Paralleli-
siruug als hinfällig erkennen lassen sollen.

Ehe ich noch einige andre in der Geschichte auftretenden Ansichten über
einen angebliche» Parallelismus zwischen den Farben und Tönen erwähne, muß
ich zur Orientirung derjenigen Leser, welche sich nicht mit der Frage der Farben-
theoric vertraut gemacht haben, einige erklärende Worte über den prinzipiellen
Unterschied zwischen der Newtonschen und der Goethischen Farbenlehre voraus¬
schicken, wobei mir übrigens die Absicht fern liegt, mich in diesen — trotz Herrn
Dubois-Neymonds*) Versicherung, daß die Gvethische Theorie „längst gerichtet"
sei — noch immer schwebenden Streit näher einzulassen, Newton behauptet,
daß der reine Lichtstrahl aus sieben verschiedenfarbigen Strahlen zusammen¬
gesetzt sei, welche verschiedene Brechuugsart besäßen; weshalb, wenn man den
weißen Lichtstrahl durch ein kleines Loch in ein dunkles Zimmer fallen läßt
und ihn durch ein Prisma auffängt, eine Zerlegung des Strahles in seine Teile,
d, h. eben in die sieben einfachen Farben, bewirkt werde, welche sich auf der
gegenüberliegenden Wand darstellen. Es ist dies das sogenannte prismatische
Spektrum, welches aber, wie schon erwähnt, thatsächlich nur aus sechs einfachen
Farben besteht. Dieser Theorie gegenüber erklärt Goethe die Entstehung der
Farben — ohne Beihilfe eines „kleinen Lochs" und der prismatischen Brechung —,
und zwar zunächst den Kontrast von Gelb und Blau, durch die Einwirkung
eines trübenden Elementes, nämlich der Erdatmosphäre, welche den Gegensatz
des reinen Lichtes und der absoluten Finsternis in der Art abschwäche, daß
das weiße Licht durch die Trübung verdunkelt, die Finsternis eben dadurch er¬
hellt erscheine. Gelb ist ihm also getrübtes oder verdunkeltes Licht, Blau ge¬
trübte, d. h, erhellte Finsternis. Als Beweis führt er an, daß die Sonne in
der Nähe des Horizontes, wo ihr Licht also durch eine dichtere und dickere
Schicht der Erdatmosphäre hindurchgehen muß, gelber, d. h, orangefarben, oft
sogar bis zum Roten (daher die Morgen- und Abendröte) abgedämpft erscheint,
während das Blau des Himmels umso tiefer sich darstellt, je höher man empor¬
steigt, d. h, je dünner die Schicht des Trübenden wird, (Bekanntlich erscheint
den im Luftballon aufsteigenden der Himmel fast schwärzlich, und umsomehr,
je höher sie sich erheben.) Es ist dies das sogenannte Goethische „Urphänomen,"
das trotz seiner — im Gegensatz zu der rein hypothetischen Theorie von der
„Zusammensetzung des einfachen weißen Lichtstrahles aus sieben farbigen
Strahlen" — auf thatsächliche Erfahrung begründeten, einleuchtenden Beweis-



In seiner kürzlich erschienenen Nekwmtsrcde „Goethe und kein Ende."
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[0265] Die Harmonie der Farben und der Tone, daß. wenn irgendeine Farbe, etwa Blau, als Grundton, eine andre, etwa Rot, als Quinte angenommen wird, man sofort vor einer nicht zu beantwortenden Frage steht, sobald gefordert wird, die — sei es tiefere oder höhere — Oktave, die ja denselben Ton, nur mit halber oder doppelter Schwingungszahl, angiebt, durch eine Farbe zu bezeichnen, hätte längst alle Versuche einer solchen Paralleli- siruug als hinfällig erkennen lassen sollen. Ehe ich noch einige andre in der Geschichte auftretenden Ansichten über einen angebliche» Parallelismus zwischen den Farben und Tönen erwähne, muß ich zur Orientirung derjenigen Leser, welche sich nicht mit der Frage der Farben- theoric vertraut gemacht haben, einige erklärende Worte über den prinzipiellen Unterschied zwischen der Newtonschen und der Goethischen Farbenlehre voraus¬ schicken, wobei mir übrigens die Absicht fern liegt, mich in diesen — trotz Herrn Dubois-Neymonds*) Versicherung, daß die Gvethische Theorie „längst gerichtet" sei — noch immer schwebenden Streit näher einzulassen, Newton behauptet, daß der reine Lichtstrahl aus sieben verschiedenfarbigen Strahlen zusammen¬ gesetzt sei, welche verschiedene Brechuugsart besäßen; weshalb, wenn man den weißen Lichtstrahl durch ein kleines Loch in ein dunkles Zimmer fallen läßt und ihn durch ein Prisma auffängt, eine Zerlegung des Strahles in seine Teile, d, h. eben in die sieben einfachen Farben, bewirkt werde, welche sich auf der gegenüberliegenden Wand darstellen. Es ist dies das sogenannte prismatische Spektrum, welches aber, wie schon erwähnt, thatsächlich nur aus sechs einfachen Farben besteht. Dieser Theorie gegenüber erklärt Goethe die Entstehung der Farben — ohne Beihilfe eines „kleinen Lochs" und der prismatischen Brechung —, und zwar zunächst den Kontrast von Gelb und Blau, durch die Einwirkung eines trübenden Elementes, nämlich der Erdatmosphäre, welche den Gegensatz des reinen Lichtes und der absoluten Finsternis in der Art abschwäche, daß das weiße Licht durch die Trübung verdunkelt, die Finsternis eben dadurch er¬ hellt erscheine. Gelb ist ihm also getrübtes oder verdunkeltes Licht, Blau ge¬ trübte, d. h, erhellte Finsternis. Als Beweis führt er an, daß die Sonne in der Nähe des Horizontes, wo ihr Licht also durch eine dichtere und dickere Schicht der Erdatmosphäre hindurchgehen muß, gelber, d. h, orangefarben, oft sogar bis zum Roten (daher die Morgen- und Abendröte) abgedämpft erscheint, während das Blau des Himmels umso tiefer sich darstellt, je höher man empor¬ steigt, d. h, je dünner die Schicht des Trübenden wird, (Bekanntlich erscheint den im Luftballon aufsteigenden der Himmel fast schwärzlich, und umsomehr, je höher sie sich erheben.) Es ist dies das sogenannte Goethische „Urphänomen," das trotz seiner — im Gegensatz zu der rein hypothetischen Theorie von der „Zusammensetzung des einfachen weißen Lichtstrahles aus sieben farbigen Strahlen" — auf thatsächliche Erfahrung begründeten, einleuchtenden Beweis- In seiner kürzlich erschienenen Nekwmtsrcde „Goethe und kein Ende." Grenzboten I, 1383.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/265>, abgerufen am 23.07.2024.