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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Frankreich nach Gambettas Tode,

Signal zum Marsche nach der deutschen Grenze gegeben hätte, und das wird
ohne Zweifel von vielen Franzosen von Herzen beklagt. Mag das patriotisch
sein, so kann man es kaum politisch klug nennen. Ist es, so fragen wir, wirklich
ein Unglück für Frankreich, daß die Uhr der Zeit jetzt nicht sobald die Stunde
zum Beginn des Rachekrieges schlagen wird, als man bei Gambettas Lebzeiten
hoffen konnte, ja, daß sie nun vielleicht überhaupt nicht schlagen wird? Was
kann bei einem neuen Kampfe zwischen Deutschland und Frankreich Herauskommen?
Im günstigsten Falle könnte letzteres glänzende Schlachten gewinnen, die Sedan
wettmachten, Elsaß-Lothringen wieder erwerben und uns eine schwere Kriegs¬
entschädigung abnehmen. Aber glaubt ein verständiger Kopf, daß der Streit
damit fiir alle Zeit beendigt sein würde? Das deutsche Volk würde nicht daran
denken, mit dem Erbfeind, der sich zu neuen Einbrüchen das Thor wieder
geöffnet hätte, die Pfeife des ewigen Friedens zu rauchen und sich gutmütig
in die Schläge, die es empfangen, zu finden. Wenn Preußen nach dem Un¬
glücksjahre von Jena trotz der Lasten, die Napoleon ihm auf den Leib gewälzt,
in wenigen Jahren sich wieder aufrichtete, so würde das Deutschland Bismarcks
sich von Niederlagen dreifach schwerer und entscheidender aller Wahrscheinlichkeit
nach noch eher erheben. Der Kampf würde mit größerer Gewalt wieder be¬
ginnen, und Frankreich würde in der Zwischenzeit ohne Unterlaß bis an die
Zähne gerüstet sein müssen, um die ihm abgenommenen und dann wieder
eroberten Ostprovinzen nicht abermals zu verlieren.

Das wäre der günstigste Fall für Frankreich. Der Ausgang des Krieges
der Revanchepolitiker könnte aber auch ein andrer sein. Trotz aller möglichen
Vorbereitungen könnte Frankreich, ungeschickt geführt oder durch Zufälle benach¬
teiligt, wiederum furchtbare Schlappen erleiden, zuletzt ganz niedergeworfen
werden und eine doppelt oder dreimal so große Kriegsentschädigung zahlen,
auch Belfort mit Umgebung abtreten müssen.

Im Hinblick auf diese beideu Möglichkeiten ist es nur selbstverständlich,
daß der Tod Gambettas als ein glückliches Ereignis für Frankreich wie für
Deutschland anzusehen ist, da er die kriegerische Auseinandersetzung zwischen
diesen beiden Nachbarstaaten mindestens vertagt. Aber braucht es denn bloß
Vertagung des Streites zu sein? Wir meinen, Haß oder Rachegefühl können
sich bei Völkern wie bei Personen allmählich abschwächen und zuletzt absterben.
Die Geschichte zeigt ein naheliegendes Beispiel. Nach Waterloo wurde jeder
Franzose, der die Notwendigkeit der Rache an England in Abrede zu stellen
wagte, als Verräter und Feigling betrachtet, und diese grimme Wild gegen die
Nachbarn überm Kanäle brannte fort, eine ganze Generation hindurch. Zuletzt
aber erlosch das Feuer, und schon vor dreißig Jahren konnte ein Pariser ein
guter Patriot sein, ohne den Engländern unter Schimpfworten eine Faust zu
machen. Warum sollte der Haß. den die Franzosen gegen uns hegen -- wir
empfinden gegen sie nichts der Art --, nicht gleichfalls mit der Zeit vergehen,


Frankreich nach Gambettas Tode,

Signal zum Marsche nach der deutschen Grenze gegeben hätte, und das wird
ohne Zweifel von vielen Franzosen von Herzen beklagt. Mag das patriotisch
sein, so kann man es kaum politisch klug nennen. Ist es, so fragen wir, wirklich
ein Unglück für Frankreich, daß die Uhr der Zeit jetzt nicht sobald die Stunde
zum Beginn des Rachekrieges schlagen wird, als man bei Gambettas Lebzeiten
hoffen konnte, ja, daß sie nun vielleicht überhaupt nicht schlagen wird? Was
kann bei einem neuen Kampfe zwischen Deutschland und Frankreich Herauskommen?
Im günstigsten Falle könnte letzteres glänzende Schlachten gewinnen, die Sedan
wettmachten, Elsaß-Lothringen wieder erwerben und uns eine schwere Kriegs¬
entschädigung abnehmen. Aber glaubt ein verständiger Kopf, daß der Streit
damit fiir alle Zeit beendigt sein würde? Das deutsche Volk würde nicht daran
denken, mit dem Erbfeind, der sich zu neuen Einbrüchen das Thor wieder
geöffnet hätte, die Pfeife des ewigen Friedens zu rauchen und sich gutmütig
in die Schläge, die es empfangen, zu finden. Wenn Preußen nach dem Un¬
glücksjahre von Jena trotz der Lasten, die Napoleon ihm auf den Leib gewälzt,
in wenigen Jahren sich wieder aufrichtete, so würde das Deutschland Bismarcks
sich von Niederlagen dreifach schwerer und entscheidender aller Wahrscheinlichkeit
nach noch eher erheben. Der Kampf würde mit größerer Gewalt wieder be¬
ginnen, und Frankreich würde in der Zwischenzeit ohne Unterlaß bis an die
Zähne gerüstet sein müssen, um die ihm abgenommenen und dann wieder
eroberten Ostprovinzen nicht abermals zu verlieren.

Das wäre der günstigste Fall für Frankreich. Der Ausgang des Krieges
der Revanchepolitiker könnte aber auch ein andrer sein. Trotz aller möglichen
Vorbereitungen könnte Frankreich, ungeschickt geführt oder durch Zufälle benach¬
teiligt, wiederum furchtbare Schlappen erleiden, zuletzt ganz niedergeworfen
werden und eine doppelt oder dreimal so große Kriegsentschädigung zahlen,
auch Belfort mit Umgebung abtreten müssen.

Im Hinblick auf diese beideu Möglichkeiten ist es nur selbstverständlich,
daß der Tod Gambettas als ein glückliches Ereignis für Frankreich wie für
Deutschland anzusehen ist, da er die kriegerische Auseinandersetzung zwischen
diesen beiden Nachbarstaaten mindestens vertagt. Aber braucht es denn bloß
Vertagung des Streites zu sein? Wir meinen, Haß oder Rachegefühl können
sich bei Völkern wie bei Personen allmählich abschwächen und zuletzt absterben.
Die Geschichte zeigt ein naheliegendes Beispiel. Nach Waterloo wurde jeder
Franzose, der die Notwendigkeit der Rache an England in Abrede zu stellen
wagte, als Verräter und Feigling betrachtet, und diese grimme Wild gegen die
Nachbarn überm Kanäle brannte fort, eine ganze Generation hindurch. Zuletzt
aber erlosch das Feuer, und schon vor dreißig Jahren konnte ein Pariser ein
guter Patriot sein, ohne den Engländern unter Schimpfworten eine Faust zu
machen. Warum sollte der Haß. den die Franzosen gegen uns hegen — wir
empfinden gegen sie nichts der Art —, nicht gleichfalls mit der Zeit vergehen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/182>, abgerufen am 23.07.2024.