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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Ich verstehe wenig davon, erwiederte Dorothea, aber mir scheint es, als
wäre es einerlei, auf welche Weise der Maler seine Bilder herstellt, vorausgesetzt,
daß man sie mit Vergnügen betrachtet,

O ja, aber der Geschmack der Zeit wechselt, und man betrachtete vor Jahren
mit Vergnügen Bilder, die wir heilte nur noch mit dem Auge des Kunsthisto¬
rikers schätzen. Wenigstens dem großen Publikum ist nur mit Bildern des mo¬
dernen Geschmackes beizukommen. Ich für meine Person habe noch kein Glück
gemacht und möchte gern die Schuld daran auf den Geschmack des Publikums
schieben, setzte er lächelnd hinzu.

Und was nennen Sie naturalistische Richtung? fragte Dorothea,

Ich verstehe darunter das Bestreben, eine Landschaft ganz so wiederzugeben,
wie sie sich für jedermann in der Natur darstellt, und ich glaube, daß dies
verkehrt ist, weil es sich doch als unmöglich herausstellt. Denn nicht allein
liegt der Hauptreiz einer Aussicht in dem Wechselspiel der Beleuchtung, welche
doch nicht wiederzugeben ist, sondern es sieht auch ein jeder daS Bild mit andern
Augen an, je nachdem er seine Ideen in dasselbe hineinträgt,

Sie meinen deshalb, es sei künstlerischer, wenn der Maler seine eigne in¬
dividuelle Auffassung dem Bilde deutlich ausprägte, ohne sich an die von der
Natur gegebenen Linien und Farben streng zu binden?

Jawohl, das denke ich. Haben Sie wohl Bilder von den Poussins gesehen?

O ja, wir sahen alle Maler der Welt auf unsern Reisen, Gerade
von Kaspar Poussin haben wir auch einige Kupferstiche in der Bibliothek hängen.
Da ist ein Berg auf dem einen Stiche, dessen obere Linien bei näherer Be¬
trachtung die Glieder eines Riesen zeigen, der langsm über den Berg gelagert
ruht. Vielleicht hat Poussin sich darunter so etwas wie den träumenden Pan
gedacht. Eine drollige Idee!

Ganz recht. Kaspar Poussin war ein kühner Dichter mit dem Pinsel, wie
es in noch höherm Maße Nicolas war, vielleicht etwas zu kühn. Man hat
sie wohl die Begründer der heroischen Landschaft genannt. Nehmen wir lieber
Claude Lorrain als Beispiel, der wohl in der Großartigkeit der Komposition
nicht an die Poussins heranreicht und sich mehr auf das sinnlich schmeichelnde
als auf das geistig Erziehende verstand, aber doch an Kolorit unübertroffen
und überhaupt immer auch an Auffassung noch als Gegensatz zu den Natura¬
listen dasteht.

Claude Lorrain liebe ich ungemein, rief Dorothea. Welcher Schmelz und
Duft, welche Wirkungen des Lichtes, welche Klarheit und Anmut der Formen!
Ich muß sagen, es geht mir keiner von allen Malern über meinen lieben Claude
Lorrain.

Nun wohl, wenn die Naturalisten auf dein linken Flügel stehen, so steht
Claude Lorrain mit seinen idealen Stimmungen auf dem rechten Flügel. Jetzt
findet man ja selbst Calame schon unnatürlich.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Ich verstehe wenig davon, erwiederte Dorothea, aber mir scheint es, als
wäre es einerlei, auf welche Weise der Maler seine Bilder herstellt, vorausgesetzt,
daß man sie mit Vergnügen betrachtet,

O ja, aber der Geschmack der Zeit wechselt, und man betrachtete vor Jahren
mit Vergnügen Bilder, die wir heilte nur noch mit dem Auge des Kunsthisto¬
rikers schätzen. Wenigstens dem großen Publikum ist nur mit Bildern des mo¬
dernen Geschmackes beizukommen. Ich für meine Person habe noch kein Glück
gemacht und möchte gern die Schuld daran auf den Geschmack des Publikums
schieben, setzte er lächelnd hinzu.

Und was nennen Sie naturalistische Richtung? fragte Dorothea,

Ich verstehe darunter das Bestreben, eine Landschaft ganz so wiederzugeben,
wie sie sich für jedermann in der Natur darstellt, und ich glaube, daß dies
verkehrt ist, weil es sich doch als unmöglich herausstellt. Denn nicht allein
liegt der Hauptreiz einer Aussicht in dem Wechselspiel der Beleuchtung, welche
doch nicht wiederzugeben ist, sondern es sieht auch ein jeder daS Bild mit andern
Augen an, je nachdem er seine Ideen in dasselbe hineinträgt,

Sie meinen deshalb, es sei künstlerischer, wenn der Maler seine eigne in¬
dividuelle Auffassung dem Bilde deutlich ausprägte, ohne sich an die von der
Natur gegebenen Linien und Farben streng zu binden?

Jawohl, das denke ich. Haben Sie wohl Bilder von den Poussins gesehen?

O ja, wir sahen alle Maler der Welt auf unsern Reisen, Gerade
von Kaspar Poussin haben wir auch einige Kupferstiche in der Bibliothek hängen.
Da ist ein Berg auf dem einen Stiche, dessen obere Linien bei näherer Be¬
trachtung die Glieder eines Riesen zeigen, der langsm über den Berg gelagert
ruht. Vielleicht hat Poussin sich darunter so etwas wie den träumenden Pan
gedacht. Eine drollige Idee!

Ganz recht. Kaspar Poussin war ein kühner Dichter mit dem Pinsel, wie
es in noch höherm Maße Nicolas war, vielleicht etwas zu kühn. Man hat
sie wohl die Begründer der heroischen Landschaft genannt. Nehmen wir lieber
Claude Lorrain als Beispiel, der wohl in der Großartigkeit der Komposition
nicht an die Poussins heranreicht und sich mehr auf das sinnlich schmeichelnde
als auf das geistig Erziehende verstand, aber doch an Kolorit unübertroffen
und überhaupt immer auch an Auffassung noch als Gegensatz zu den Natura¬
listen dasteht.

Claude Lorrain liebe ich ungemein, rief Dorothea. Welcher Schmelz und
Duft, welche Wirkungen des Lichtes, welche Klarheit und Anmut der Formen!
Ich muß sagen, es geht mir keiner von allen Malern über meinen lieben Claude
Lorrain.

Nun wohl, wenn die Naturalisten auf dein linken Flügel stehen, so steht
Claude Lorrain mit seinen idealen Stimmungen auf dem rechten Flügel. Jetzt
findet man ja selbst Calame schon unnatürlich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/170>, abgerufen am 23.07.2024.