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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Ich verstehe noch nicht, sagte Dorothea, Gehen denn nicht die Naturalisten
ebenfalls darauf aus, Stimmung zu geben, ebensogut wie Claude Lorrain dies
that? Ohne völlige Naturwnhrhcit ist doch wohl ein Landschaftsbild un¬
möglich gut.

Ganz recht, nur fragt sich, was die Naturwahrheit ist, Ist sie wohl bei
Claude Lorrain dasselbe, was sie bei den modernen Naturalisten ist? Er ergeht
sich im Freien, Fernen, Heitern, Landkinder, er schafft gleichsam eine architek¬
tonische Landschaft für Dryaden und Nymphen, Ist das wohl bei den Mo¬
dernen der Fall? Es giebt, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine göttliche
Stimmung in der Natur, welche überhaupt kein Mensch erblickt, und dies ist
die eigentliche Naturwahrheit, Je größer aber das Genie des Malers ist, desto
näher kommt er dem von keinem sterblichen Auge zu erblickenden. Und hierin
liegt der Unterschied zwischen großen und unbedeutenden Künstlern. Die Na¬
turalisten halten sich an das äußere Gewand der Schöpfung, weil es leichter
zu fassen ist als der innewohnende Gedanke,

Jetzt glaube ich zu verstehen, sagte Dorothea. Sie meinen, daß den Land¬
schaften, wie die Natur sie uns zeigt, eine Idee zu Grunde liege, welche nur
das Auge des Künstlers wahrzunehmen imstande sei, und daß es die Aufgabe
des Malers sei, nicht etwa dasjenige darzustellen, was jedermann sehen kann,
sondern jene höhere Schönheit,

Ganz recht, mein gnädiges Fräulein, und eben diese Erkenntnis bildet mein
Unglück, Denn ich bin weder imstande, jene höhere Schönheit, die ich doch
fühle, nachzubilden, noch auch mich dem Geschmack der Leute anzubequemen, die
am liebsten farbige Illustrationen zu einem Reisehandbuch sehen mögen.

Um das beurteilen zu können, müßte ich Ihre Bilder gesehen haben, sagte
Dorothea. Wollen Sie mir nicht die Gunst erweisen, mir etwas davon zu zeigen?

Sie machte ein so aufrichtiges Gesicht bei diesen Worten, daß Eberhardt
in voller Überzeugung von ihrer ehrlichen Teilnahme es ihr zusagte.

Verzeihen Sie meine Neugierde, sagte Dorothea wieder nach einer kleinen
Pause. Sie erzählten mir, daß Sie in einer Shakergemeinde Ihre Jugend ver¬
lebt hätten. Wer sind eigentlich die Shaker?

Die Shaker, entgegnete Eberhardt, sind Leute, die sich vom Weltgetriebe
abgewandt haben, um in der Stille und im Frieden das Glück des Lebens zu
finden, Sie bilden Gemeinden an verschiednen Punkten der Vereinigten Staaten
und haben absonderliche Grundsätze, welche den Leuten außerhalb oft Anlaß
zum Spott geben, Sie machen den Ackerbau und die Obstzucht zu ihrer Lebens¬
aufgabe, sie verfertigen Parfüms, die sie in den Städten verkaufen lassen, und
treiben auch Handel mit Pflanzen und Pflanzensamen.

Das scheint mir nichts zu sein, worüber man spotten könnte, sagte Dorothea.

Ja, sie haben besondre Anschauungen, setzte Eberhardt hinzu. Sie kennen
die Ehe nicht. Unter den Shakern giebt es nur Brüder und Schwestern, und


Die Grafen von Altenschwerdt.

Ich verstehe noch nicht, sagte Dorothea, Gehen denn nicht die Naturalisten
ebenfalls darauf aus, Stimmung zu geben, ebensogut wie Claude Lorrain dies
that? Ohne völlige Naturwnhrhcit ist doch wohl ein Landschaftsbild un¬
möglich gut.

Ganz recht, nur fragt sich, was die Naturwahrheit ist, Ist sie wohl bei
Claude Lorrain dasselbe, was sie bei den modernen Naturalisten ist? Er ergeht
sich im Freien, Fernen, Heitern, Landkinder, er schafft gleichsam eine architek¬
tonische Landschaft für Dryaden und Nymphen, Ist das wohl bei den Mo¬
dernen der Fall? Es giebt, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine göttliche
Stimmung in der Natur, welche überhaupt kein Mensch erblickt, und dies ist
die eigentliche Naturwahrheit, Je größer aber das Genie des Malers ist, desto
näher kommt er dem von keinem sterblichen Auge zu erblickenden. Und hierin
liegt der Unterschied zwischen großen und unbedeutenden Künstlern. Die Na¬
turalisten halten sich an das äußere Gewand der Schöpfung, weil es leichter
zu fassen ist als der innewohnende Gedanke,

Jetzt glaube ich zu verstehen, sagte Dorothea. Sie meinen, daß den Land¬
schaften, wie die Natur sie uns zeigt, eine Idee zu Grunde liege, welche nur
das Auge des Künstlers wahrzunehmen imstande sei, und daß es die Aufgabe
des Malers sei, nicht etwa dasjenige darzustellen, was jedermann sehen kann,
sondern jene höhere Schönheit,

Ganz recht, mein gnädiges Fräulein, und eben diese Erkenntnis bildet mein
Unglück, Denn ich bin weder imstande, jene höhere Schönheit, die ich doch
fühle, nachzubilden, noch auch mich dem Geschmack der Leute anzubequemen, die
am liebsten farbige Illustrationen zu einem Reisehandbuch sehen mögen.

Um das beurteilen zu können, müßte ich Ihre Bilder gesehen haben, sagte
Dorothea. Wollen Sie mir nicht die Gunst erweisen, mir etwas davon zu zeigen?

Sie machte ein so aufrichtiges Gesicht bei diesen Worten, daß Eberhardt
in voller Überzeugung von ihrer ehrlichen Teilnahme es ihr zusagte.

Verzeihen Sie meine Neugierde, sagte Dorothea wieder nach einer kleinen
Pause. Sie erzählten mir, daß Sie in einer Shakergemeinde Ihre Jugend ver¬
lebt hätten. Wer sind eigentlich die Shaker?

Die Shaker, entgegnete Eberhardt, sind Leute, die sich vom Weltgetriebe
abgewandt haben, um in der Stille und im Frieden das Glück des Lebens zu
finden, Sie bilden Gemeinden an verschiednen Punkten der Vereinigten Staaten
und haben absonderliche Grundsätze, welche den Leuten außerhalb oft Anlaß
zum Spott geben, Sie machen den Ackerbau und die Obstzucht zu ihrer Lebens¬
aufgabe, sie verfertigen Parfüms, die sie in den Städten verkaufen lassen, und
treiben auch Handel mit Pflanzen und Pflanzensamen.

Das scheint mir nichts zu sein, worüber man spotten könnte, sagte Dorothea.

Ja, sie haben besondre Anschauungen, setzte Eberhardt hinzu. Sie kennen
die Ehe nicht. Unter den Shakern giebt es nur Brüder und Schwestern, und


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[0171] Die Grafen von Altenschwerdt. Ich verstehe noch nicht, sagte Dorothea, Gehen denn nicht die Naturalisten ebenfalls darauf aus, Stimmung zu geben, ebensogut wie Claude Lorrain dies that? Ohne völlige Naturwnhrhcit ist doch wohl ein Landschaftsbild un¬ möglich gut. Ganz recht, nur fragt sich, was die Naturwahrheit ist, Ist sie wohl bei Claude Lorrain dasselbe, was sie bei den modernen Naturalisten ist? Er ergeht sich im Freien, Fernen, Heitern, Landkinder, er schafft gleichsam eine architek¬ tonische Landschaft für Dryaden und Nymphen, Ist das wohl bei den Mo¬ dernen der Fall? Es giebt, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine göttliche Stimmung in der Natur, welche überhaupt kein Mensch erblickt, und dies ist die eigentliche Naturwahrheit, Je größer aber das Genie des Malers ist, desto näher kommt er dem von keinem sterblichen Auge zu erblickenden. Und hierin liegt der Unterschied zwischen großen und unbedeutenden Künstlern. Die Na¬ turalisten halten sich an das äußere Gewand der Schöpfung, weil es leichter zu fassen ist als der innewohnende Gedanke, Jetzt glaube ich zu verstehen, sagte Dorothea. Sie meinen, daß den Land¬ schaften, wie die Natur sie uns zeigt, eine Idee zu Grunde liege, welche nur das Auge des Künstlers wahrzunehmen imstande sei, und daß es die Aufgabe des Malers sei, nicht etwa dasjenige darzustellen, was jedermann sehen kann, sondern jene höhere Schönheit, Ganz recht, mein gnädiges Fräulein, und eben diese Erkenntnis bildet mein Unglück, Denn ich bin weder imstande, jene höhere Schönheit, die ich doch fühle, nachzubilden, noch auch mich dem Geschmack der Leute anzubequemen, die am liebsten farbige Illustrationen zu einem Reisehandbuch sehen mögen. Um das beurteilen zu können, müßte ich Ihre Bilder gesehen haben, sagte Dorothea. Wollen Sie mir nicht die Gunst erweisen, mir etwas davon zu zeigen? Sie machte ein so aufrichtiges Gesicht bei diesen Worten, daß Eberhardt in voller Überzeugung von ihrer ehrlichen Teilnahme es ihr zusagte. Verzeihen Sie meine Neugierde, sagte Dorothea wieder nach einer kleinen Pause. Sie erzählten mir, daß Sie in einer Shakergemeinde Ihre Jugend ver¬ lebt hätten. Wer sind eigentlich die Shaker? Die Shaker, entgegnete Eberhardt, sind Leute, die sich vom Weltgetriebe abgewandt haben, um in der Stille und im Frieden das Glück des Lebens zu finden, Sie bilden Gemeinden an verschiednen Punkten der Vereinigten Staaten und haben absonderliche Grundsätze, welche den Leuten außerhalb oft Anlaß zum Spott geben, Sie machen den Ackerbau und die Obstzucht zu ihrer Lebens¬ aufgabe, sie verfertigen Parfüms, die sie in den Städten verkaufen lassen, und treiben auch Handel mit Pflanzen und Pflanzensamen. Das scheint mir nichts zu sein, worüber man spotten könnte, sagte Dorothea. Ja, sie haben besondre Anschauungen, setzte Eberhardt hinzu. Sie kennen die Ehe nicht. Unter den Shakern giebt es nur Brüder und Schwestern, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/171>, abgerufen am 23.07.2024.