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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Freilich, aber das ist auch nicht in der Ordnung. Die Regierung sollte
nicht leiden, daß ein Mann, dem die wissenschaftliche Bildung fehlt, sich an das
Kuriren wagt.

Es ist doch mit dem Kuriren eine geheimnisvolle Sache, erwiederte der
Graf. Ich habe merkwürdige Beispiele davon gesehen, daß ganz ungebildete
Leute, die von der Wissenschaft keine Ahnung hatten, schwere Krankheiten heilten,
an denen sich die besten Ärzte vergeblich versucht hatten. Da war auf meinem
Gute in Westfalen ein alter Schäfer, der die schlimmsten Leiden heilte. Wie
er es machte, weiß ich nicht, aber daß seine Manier sich bewährte, ist gewiß,
und er hatte gewaltigen Zulauf. Ich erinnere mich, daß sogar ein Erzherzog
seiner Zeit bei ihm in Behandlung war und kurirt wurde.

In diesem Augenblick trat Millicent zur Thür herein und unterbrach das
Gespräch über ihre Familie, indem sie sich mit artigen Gruße näherte und er¬
rötend einen lächelnden Blick auf Eberhardt richtete. Sie erschien heute eben¬
falls nach Ablegung der Fischertracht in einem andern Lichte und machte in
ihrem einfachen Hauskleide von Hellem, geblümtem Satin einen überaus frischen
und lieblichen Eindruck. Sie wechselte einige leise Worte mit Dorothea, die sich,
wie es schien, auf die Anordnung des Abendessens bezogen, und verschwand
dann wieder. Dorothea aber erhob sich und forderte Eberhardt auf, ihr in den
Garten zu folgen. Sie schützte dabei vor, daß sie, ehe es dunkle, ihrem Gast
Gelegenheit geben wolle, sein Künstlerauge auf einige altertümliche Besonder¬
heiten des Schlosses und Parks von Eichhausen zu lenken, aber in Wahrheit
hatte sie einen andern Grund, Eberhardt für jetzt zu entfernen. Sie kannte
ihres Vaters Neigung, das Thema der natürlichen Ungleichheit der Stände
erschöpfend zu behandeln, sie wußte, daß er erst im Anfange seiner Erörterungen
war, und sie fürchtete, es könnte ihm im Eifer der Rede ein Wort entschlüpfen,
welches dem bürgerlichen Maler unliebsam klingen müßte.

Sie ging mit ihm durch den kleinen Garten hindurch, der sich unmittelbar
vor der Halle befand und in regelmäßig architektonischer Anordnung den Linien
des Schlosses selbst entsprach, sodaß er mit seinen eckigen und runden Blumen¬
beeten, seinen rechtwinkligen Taxushecken und sorgfältig beschnittenen Zier¬
sträuchern gleichsam ein Helles, duftendes Vorzimmer der Halle bildete, und
führte ihn durch ein weites Thor, dessen Pfeiler mit Schlinggewächsen um¬
wunden und von steinernen Vasen gekrönt waren, in den außerhalb der innern
Mauer liegenden Park. Hier war der ursprüngliche Wald von gewundenen
Wegen durchzogen und von großen Rasenflächen unterbrochen, auf denen Gruppen
von Gebüsch um einzelne schöne Bäume angelegt waren. Der Weg führte unter
den stolzen Wipfeln hin, die Eberhardt früher von außen über die alte Mauer
hatte emporragen sehen, und an der Rückseite des kleinen, freundlichen Hauses
mit den grünen Fensterladen vorbei.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Freilich, aber das ist auch nicht in der Ordnung. Die Regierung sollte
nicht leiden, daß ein Mann, dem die wissenschaftliche Bildung fehlt, sich an das
Kuriren wagt.

Es ist doch mit dem Kuriren eine geheimnisvolle Sache, erwiederte der
Graf. Ich habe merkwürdige Beispiele davon gesehen, daß ganz ungebildete
Leute, die von der Wissenschaft keine Ahnung hatten, schwere Krankheiten heilten,
an denen sich die besten Ärzte vergeblich versucht hatten. Da war auf meinem
Gute in Westfalen ein alter Schäfer, der die schlimmsten Leiden heilte. Wie
er es machte, weiß ich nicht, aber daß seine Manier sich bewährte, ist gewiß,
und er hatte gewaltigen Zulauf. Ich erinnere mich, daß sogar ein Erzherzog
seiner Zeit bei ihm in Behandlung war und kurirt wurde.

In diesem Augenblick trat Millicent zur Thür herein und unterbrach das
Gespräch über ihre Familie, indem sie sich mit artigen Gruße näherte und er¬
rötend einen lächelnden Blick auf Eberhardt richtete. Sie erschien heute eben¬
falls nach Ablegung der Fischertracht in einem andern Lichte und machte in
ihrem einfachen Hauskleide von Hellem, geblümtem Satin einen überaus frischen
und lieblichen Eindruck. Sie wechselte einige leise Worte mit Dorothea, die sich,
wie es schien, auf die Anordnung des Abendessens bezogen, und verschwand
dann wieder. Dorothea aber erhob sich und forderte Eberhardt auf, ihr in den
Garten zu folgen. Sie schützte dabei vor, daß sie, ehe es dunkle, ihrem Gast
Gelegenheit geben wolle, sein Künstlerauge auf einige altertümliche Besonder¬
heiten des Schlosses und Parks von Eichhausen zu lenken, aber in Wahrheit
hatte sie einen andern Grund, Eberhardt für jetzt zu entfernen. Sie kannte
ihres Vaters Neigung, das Thema der natürlichen Ungleichheit der Stände
erschöpfend zu behandeln, sie wußte, daß er erst im Anfange seiner Erörterungen
war, und sie fürchtete, es könnte ihm im Eifer der Rede ein Wort entschlüpfen,
welches dem bürgerlichen Maler unliebsam klingen müßte.

Sie ging mit ihm durch den kleinen Garten hindurch, der sich unmittelbar
vor der Halle befand und in regelmäßig architektonischer Anordnung den Linien
des Schlosses selbst entsprach, sodaß er mit seinen eckigen und runden Blumen¬
beeten, seinen rechtwinkligen Taxushecken und sorgfältig beschnittenen Zier¬
sträuchern gleichsam ein Helles, duftendes Vorzimmer der Halle bildete, und
führte ihn durch ein weites Thor, dessen Pfeiler mit Schlinggewächsen um¬
wunden und von steinernen Vasen gekrönt waren, in den außerhalb der innern
Mauer liegenden Park. Hier war der ursprüngliche Wald von gewundenen
Wegen durchzogen und von großen Rasenflächen unterbrochen, auf denen Gruppen
von Gebüsch um einzelne schöne Bäume angelegt waren. Der Weg führte unter
den stolzen Wipfeln hin, die Eberhardt früher von außen über die alte Mauer
hatte emporragen sehen, und an der Rückseite des kleinen, freundlichen Hauses
mit den grünen Fensterladen vorbei.


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[0168] Die Grafen von Altenschwerdt. Freilich, aber das ist auch nicht in der Ordnung. Die Regierung sollte nicht leiden, daß ein Mann, dem die wissenschaftliche Bildung fehlt, sich an das Kuriren wagt. Es ist doch mit dem Kuriren eine geheimnisvolle Sache, erwiederte der Graf. Ich habe merkwürdige Beispiele davon gesehen, daß ganz ungebildete Leute, die von der Wissenschaft keine Ahnung hatten, schwere Krankheiten heilten, an denen sich die besten Ärzte vergeblich versucht hatten. Da war auf meinem Gute in Westfalen ein alter Schäfer, der die schlimmsten Leiden heilte. Wie er es machte, weiß ich nicht, aber daß seine Manier sich bewährte, ist gewiß, und er hatte gewaltigen Zulauf. Ich erinnere mich, daß sogar ein Erzherzog seiner Zeit bei ihm in Behandlung war und kurirt wurde. In diesem Augenblick trat Millicent zur Thür herein und unterbrach das Gespräch über ihre Familie, indem sie sich mit artigen Gruße näherte und er¬ rötend einen lächelnden Blick auf Eberhardt richtete. Sie erschien heute eben¬ falls nach Ablegung der Fischertracht in einem andern Lichte und machte in ihrem einfachen Hauskleide von Hellem, geblümtem Satin einen überaus frischen und lieblichen Eindruck. Sie wechselte einige leise Worte mit Dorothea, die sich, wie es schien, auf die Anordnung des Abendessens bezogen, und verschwand dann wieder. Dorothea aber erhob sich und forderte Eberhardt auf, ihr in den Garten zu folgen. Sie schützte dabei vor, daß sie, ehe es dunkle, ihrem Gast Gelegenheit geben wolle, sein Künstlerauge auf einige altertümliche Besonder¬ heiten des Schlosses und Parks von Eichhausen zu lenken, aber in Wahrheit hatte sie einen andern Grund, Eberhardt für jetzt zu entfernen. Sie kannte ihres Vaters Neigung, das Thema der natürlichen Ungleichheit der Stände erschöpfend zu behandeln, sie wußte, daß er erst im Anfange seiner Erörterungen war, und sie fürchtete, es könnte ihm im Eifer der Rede ein Wort entschlüpfen, welches dem bürgerlichen Maler unliebsam klingen müßte. Sie ging mit ihm durch den kleinen Garten hindurch, der sich unmittelbar vor der Halle befand und in regelmäßig architektonischer Anordnung den Linien des Schlosses selbst entsprach, sodaß er mit seinen eckigen und runden Blumen¬ beeten, seinen rechtwinkligen Taxushecken und sorgfältig beschnittenen Zier¬ sträuchern gleichsam ein Helles, duftendes Vorzimmer der Halle bildete, und führte ihn durch ein weites Thor, dessen Pfeiler mit Schlinggewächsen um¬ wunden und von steinernen Vasen gekrönt waren, in den außerhalb der innern Mauer liegenden Park. Hier war der ursprüngliche Wald von gewundenen Wegen durchzogen und von großen Rasenflächen unterbrochen, auf denen Gruppen von Gebüsch um einzelne schöne Bäume angelegt waren. Der Weg führte unter den stolzen Wipfeln hin, die Eberhardt früher von außen über die alte Mauer hatte emporragen sehen, und an der Rückseite des kleinen, freundlichen Hauses mit den grünen Fensterladen vorbei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/168>, abgerufen am 25.08.2024.