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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Wenn solche Neuerungen etwas gutes wären, sagte er, so müßte doch wohl
auch etwas gutes herauskommen. Aber sehen sich Eure Exzellenz doch nur
einmal um. Von oben bis unten geht durch alle Klassen die offenkundige
Revolution, Ein jeder strebt nach oben, verachtet den eignen Stand und Beruf
und taugt infolge dessen in keiner Stellung mehr etwas. Fangen wir von
unter an, so sehen wir das bei den Domestiken, Zur Zeit meines seligen
Vaters und auch noch in meiner Jugend waren die Bedienten zwar auch in
der Regel liederliche und durchtriebene Gesellen, aber es fiel doch keinem ein,
Bedienter zu werden, bevor er sich nicht Jahre lang als Hausknecht oder als
Anfwcirter in Speisehäusern und Gasthöfen die dazu nötige Geschicklichkeit er¬
worben hatte, bevor er nicht gelernt hatte, anständig anzumelden, den Wagen
vorzubringen, zu öffnen und zuzumachen, Bestellungen deutlich und höflich aus¬
zurichten, den Tisch rasch und geschickt zu serviren. Ein Reitknecht mußte
damals reiten, ein Kutscher fahren können und die gewöhnlichen Pferdekuren
verstehen. Dabei hatte die ganze Bande noch einen Stolz auf ihre Herrschaft,
sie zankte sich für sie, prügelte sich zu ihren Ehren, und es gingen am Ende
doch eine Anzahl von treuen Dienern aus der großen Masse hervor, solche wie
Ihr alter Degenhard, Exzellenz, der in jetziger Zeit ein weißer Rabe ist. Denn jetzt
will jeder schmutzige, ungeschickte Kerl, der sich in geborgten Kleidern anmeldet,
Bedienter sein, der dann garnichts versteht, nichts begreifen kann, stets Un¬
geschicklichkeiten und Grobheiten begeht und alles ruinirt. Kutscher will sein,
wer keinen Begriff vom Fahren hat, Reitknecht, wer kaum auf einem Pferde
sitzen kann, und statt daß sie sonst für ihre Herren sich zankten, lästern sie selbige
untereinander und laufen solange von einem zum andern, bis sie am Ende an
den Bettelstab geraten. Und ähnlich geht es durch alle Klassen hinauf. Da
ist Dorotheens Milchschwester Millicent. Sie ist ja selbst ein braves Mädchen,
ein vortreffliches, wackres Kind und für meine Tochter beinahe mehr Freundin
als Dienerin. Aber schon ihr Name ist ein Zeichen der Zeit. Wie wäre es
vor fünfzig Jahren noch einem tüchtigen Ackerbürger eingefallen, seine Tochter
Millicent zu taufen? Da mußte er, um vornehmer zu werden, eine herrschaft¬
liche Kammerjungfer heiraten, die englische Romane las, mußte in die Stadt
ziehen und seine Kinder in die höhere Bürgerschule schicken. Nun sieht man,
was aus den Jungen geworden ist. Der eine hat eine Bank gegründet, eine
Zeitung gekauft, macht Erfindungen und hält Reden in Vereinen, der Jüngere
fing als Barbier und Chirurg an, wurde dann Heildiener bei einem berühmten
Arzt und endlich Charlatan. Er sitzt jetzt in Fischbeck und brant Algensaft.
Natürlich strömen ihm die Leute zu, gerade so wie seinem Bruder, aber sie
werden beide, fürchte ich, ein böses Ende nehmen.-

In Fischbeck ist man, wie ich höre, sehr erbaut von dem Jüngern, sagte der Graf.
Er hat sehr dazu beigetragen, daß das Bad soviel besucht wird, und er macht aus¬
gezeichnete Kuren. Man sagte mir, daß ganz Fischbeck nach seiner Pfeife tanze.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Wenn solche Neuerungen etwas gutes wären, sagte er, so müßte doch wohl
auch etwas gutes herauskommen. Aber sehen sich Eure Exzellenz doch nur
einmal um. Von oben bis unten geht durch alle Klassen die offenkundige
Revolution, Ein jeder strebt nach oben, verachtet den eignen Stand und Beruf
und taugt infolge dessen in keiner Stellung mehr etwas. Fangen wir von
unter an, so sehen wir das bei den Domestiken, Zur Zeit meines seligen
Vaters und auch noch in meiner Jugend waren die Bedienten zwar auch in
der Regel liederliche und durchtriebene Gesellen, aber es fiel doch keinem ein,
Bedienter zu werden, bevor er sich nicht Jahre lang als Hausknecht oder als
Anfwcirter in Speisehäusern und Gasthöfen die dazu nötige Geschicklichkeit er¬
worben hatte, bevor er nicht gelernt hatte, anständig anzumelden, den Wagen
vorzubringen, zu öffnen und zuzumachen, Bestellungen deutlich und höflich aus¬
zurichten, den Tisch rasch und geschickt zu serviren. Ein Reitknecht mußte
damals reiten, ein Kutscher fahren können und die gewöhnlichen Pferdekuren
verstehen. Dabei hatte die ganze Bande noch einen Stolz auf ihre Herrschaft,
sie zankte sich für sie, prügelte sich zu ihren Ehren, und es gingen am Ende
doch eine Anzahl von treuen Dienern aus der großen Masse hervor, solche wie
Ihr alter Degenhard, Exzellenz, der in jetziger Zeit ein weißer Rabe ist. Denn jetzt
will jeder schmutzige, ungeschickte Kerl, der sich in geborgten Kleidern anmeldet,
Bedienter sein, der dann garnichts versteht, nichts begreifen kann, stets Un¬
geschicklichkeiten und Grobheiten begeht und alles ruinirt. Kutscher will sein,
wer keinen Begriff vom Fahren hat, Reitknecht, wer kaum auf einem Pferde
sitzen kann, und statt daß sie sonst für ihre Herren sich zankten, lästern sie selbige
untereinander und laufen solange von einem zum andern, bis sie am Ende an
den Bettelstab geraten. Und ähnlich geht es durch alle Klassen hinauf. Da
ist Dorotheens Milchschwester Millicent. Sie ist ja selbst ein braves Mädchen,
ein vortreffliches, wackres Kind und für meine Tochter beinahe mehr Freundin
als Dienerin. Aber schon ihr Name ist ein Zeichen der Zeit. Wie wäre es
vor fünfzig Jahren noch einem tüchtigen Ackerbürger eingefallen, seine Tochter
Millicent zu taufen? Da mußte er, um vornehmer zu werden, eine herrschaft¬
liche Kammerjungfer heiraten, die englische Romane las, mußte in die Stadt
ziehen und seine Kinder in die höhere Bürgerschule schicken. Nun sieht man,
was aus den Jungen geworden ist. Der eine hat eine Bank gegründet, eine
Zeitung gekauft, macht Erfindungen und hält Reden in Vereinen, der Jüngere
fing als Barbier und Chirurg an, wurde dann Heildiener bei einem berühmten
Arzt und endlich Charlatan. Er sitzt jetzt in Fischbeck und brant Algensaft.
Natürlich strömen ihm die Leute zu, gerade so wie seinem Bruder, aber sie
werden beide, fürchte ich, ein böses Ende nehmen.-

In Fischbeck ist man, wie ich höre, sehr erbaut von dem Jüngern, sagte der Graf.
Er hat sehr dazu beigetragen, daß das Bad soviel besucht wird, und er macht aus¬
gezeichnete Kuren. Man sagte mir, daß ganz Fischbeck nach seiner Pfeife tanze.


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[0167] Die Grafen von Altenschwerdt. Wenn solche Neuerungen etwas gutes wären, sagte er, so müßte doch wohl auch etwas gutes herauskommen. Aber sehen sich Eure Exzellenz doch nur einmal um. Von oben bis unten geht durch alle Klassen die offenkundige Revolution, Ein jeder strebt nach oben, verachtet den eignen Stand und Beruf und taugt infolge dessen in keiner Stellung mehr etwas. Fangen wir von unter an, so sehen wir das bei den Domestiken, Zur Zeit meines seligen Vaters und auch noch in meiner Jugend waren die Bedienten zwar auch in der Regel liederliche und durchtriebene Gesellen, aber es fiel doch keinem ein, Bedienter zu werden, bevor er sich nicht Jahre lang als Hausknecht oder als Anfwcirter in Speisehäusern und Gasthöfen die dazu nötige Geschicklichkeit er¬ worben hatte, bevor er nicht gelernt hatte, anständig anzumelden, den Wagen vorzubringen, zu öffnen und zuzumachen, Bestellungen deutlich und höflich aus¬ zurichten, den Tisch rasch und geschickt zu serviren. Ein Reitknecht mußte damals reiten, ein Kutscher fahren können und die gewöhnlichen Pferdekuren verstehen. Dabei hatte die ganze Bande noch einen Stolz auf ihre Herrschaft, sie zankte sich für sie, prügelte sich zu ihren Ehren, und es gingen am Ende doch eine Anzahl von treuen Dienern aus der großen Masse hervor, solche wie Ihr alter Degenhard, Exzellenz, der in jetziger Zeit ein weißer Rabe ist. Denn jetzt will jeder schmutzige, ungeschickte Kerl, der sich in geborgten Kleidern anmeldet, Bedienter sein, der dann garnichts versteht, nichts begreifen kann, stets Un¬ geschicklichkeiten und Grobheiten begeht und alles ruinirt. Kutscher will sein, wer keinen Begriff vom Fahren hat, Reitknecht, wer kaum auf einem Pferde sitzen kann, und statt daß sie sonst für ihre Herren sich zankten, lästern sie selbige untereinander und laufen solange von einem zum andern, bis sie am Ende an den Bettelstab geraten. Und ähnlich geht es durch alle Klassen hinauf. Da ist Dorotheens Milchschwester Millicent. Sie ist ja selbst ein braves Mädchen, ein vortreffliches, wackres Kind und für meine Tochter beinahe mehr Freundin als Dienerin. Aber schon ihr Name ist ein Zeichen der Zeit. Wie wäre es vor fünfzig Jahren noch einem tüchtigen Ackerbürger eingefallen, seine Tochter Millicent zu taufen? Da mußte er, um vornehmer zu werden, eine herrschaft¬ liche Kammerjungfer heiraten, die englische Romane las, mußte in die Stadt ziehen und seine Kinder in die höhere Bürgerschule schicken. Nun sieht man, was aus den Jungen geworden ist. Der eine hat eine Bank gegründet, eine Zeitung gekauft, macht Erfindungen und hält Reden in Vereinen, der Jüngere fing als Barbier und Chirurg an, wurde dann Heildiener bei einem berühmten Arzt und endlich Charlatan. Er sitzt jetzt in Fischbeck und brant Algensaft. Natürlich strömen ihm die Leute zu, gerade so wie seinem Bruder, aber sie werden beide, fürchte ich, ein böses Ende nehmen.- In Fischbeck ist man, wie ich höre, sehr erbaut von dem Jüngern, sagte der Graf. Er hat sehr dazu beigetragen, daß das Bad soviel besucht wird, und er macht aus¬ gezeichnete Kuren. Man sagte mir, daß ganz Fischbeck nach seiner Pfeife tanze.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/167>, abgerufen am 23.07.2024.