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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt,

wenn man behauptet, der König sei Beamter seines Volkes und solle es glücklich
machen. Recht und Ordnung soll er handhaben im Namen Gottes, das ist
seine Aufgabe. Ob sie glücklich werden, das hängt von eines jeden Bravheit,
Tüchtigkeit und Fleiß ab. Aber seit der französischen Revolution galten die
Schreiber und Gelehrten mehr als die Männer von Charakter und Thatkraft,
und sie haben solange philosophirt und gediftelt und geschrieben und geschwatzt,
bis man ihnen wirklich geglaubt hat, die Menschen wären einander gleich, Ihre
Lehre gefiel natürlich allen denen, die nichts hatten und nichts waren. Frei¬
lich, wer bedenkt, wie groß die Mehrzahl der Dummköpfe ist, der kann sich
über die jetzige Wirtschaft mit Konstitutionen und Parlamenten und über das
allgemeine Elend nicht wundern.

Der Graf teilte diese Ansicht seines Nachbarn und Freundes nicht durchaus,
obwohl er in manchen Stücken damit übereinstimmte. Seine milde Gesinnung
war allen extremen Aussprüchen abhold, nicht sowohl aus Schwäche der
Denkungsart, als vielmehr aus einer tiefwurzelnden Frömmigkeit, welche in allem,
was geschah, und in allem, was Bestand hatte, die göttliche Fügung und ein
gutes Ziel zu erkennen suchte.

Er wies deshalb den eifernden alten Herrn nach dessen, oft schon in ähn¬
licher Art vorgebrachten Rede darauf hin, daß der Monarch doch selbst die
Beschränkung seines persönlichen Regiments gebilligt habe, und daß wohl neue
Zeiten neue Anforderungen an die Gesellschaft stellten. Wir dürfen uns durch
die Namen Verfassung und Parlament und Volksvertretung nicht erschrecken
lassen, sagte er. Es klingt wohl so, als ob dadurch die königliche Macht ein¬
geschränkt würde, aber in Wahrheit ist das doch nicht der Fall, Sonst würde
doch der hochselige König garnicht darauf eingegangen sein, eine Verfassung
zu geben. Ich erinnere mich hier mit Vergnügen der Rede, welche der Kriegs¬
minister von Roon, mein alter Kamerad, am 12, September 1862 im Ab¬
geordnetenhause hielt, und ich habe mir die Nummer der Kreuzzeitung, worin
die Rede stand, sorgfältig aufgehoben. Er sagte darin, daß nach seiner Auf¬
fassung der Geschichte die Ereignisse im Staat nichts andres seien als der Kampf
um Macht zwischen den einzelnen Faktoren, und er wies hierdurch darauf hin,
daß die geschriebene Verfassung nur insofern Giltigkeit habe, als sie den Macht¬
verhältnissen entspreche. Wenn ich um unsre Machtverhältnisse betrachte, so bin ich
ganz ruhig und lächle über die Ansprüche der Demagogen. Denn wie konfus
auch die Verfassungsparagraphen sein mögen, auf welche sie sich berufen, eins
steht fest und unerschütterlich da, die auf die Armee gegründete Autorität unsers
königlichen Herrn. Sie ist so stark, daß sie recht gut diese neuen parlamentarischen
Einrichtungen erlauben kann.

Aber der Baron war in einer besonders scharfen Stimmung, da er eben
eine mit großem Aufwande von Berechnung angelegte Schachpartie verloren
hatte, und ließ sich so leicht nicht aus dem Felde schlagen.


Die Grafen von Altenschwerdt,

wenn man behauptet, der König sei Beamter seines Volkes und solle es glücklich
machen. Recht und Ordnung soll er handhaben im Namen Gottes, das ist
seine Aufgabe. Ob sie glücklich werden, das hängt von eines jeden Bravheit,
Tüchtigkeit und Fleiß ab. Aber seit der französischen Revolution galten die
Schreiber und Gelehrten mehr als die Männer von Charakter und Thatkraft,
und sie haben solange philosophirt und gediftelt und geschrieben und geschwatzt,
bis man ihnen wirklich geglaubt hat, die Menschen wären einander gleich, Ihre
Lehre gefiel natürlich allen denen, die nichts hatten und nichts waren. Frei¬
lich, wer bedenkt, wie groß die Mehrzahl der Dummköpfe ist, der kann sich
über die jetzige Wirtschaft mit Konstitutionen und Parlamenten und über das
allgemeine Elend nicht wundern.

Der Graf teilte diese Ansicht seines Nachbarn und Freundes nicht durchaus,
obwohl er in manchen Stücken damit übereinstimmte. Seine milde Gesinnung
war allen extremen Aussprüchen abhold, nicht sowohl aus Schwäche der
Denkungsart, als vielmehr aus einer tiefwurzelnden Frömmigkeit, welche in allem,
was geschah, und in allem, was Bestand hatte, die göttliche Fügung und ein
gutes Ziel zu erkennen suchte.

Er wies deshalb den eifernden alten Herrn nach dessen, oft schon in ähn¬
licher Art vorgebrachten Rede darauf hin, daß der Monarch doch selbst die
Beschränkung seines persönlichen Regiments gebilligt habe, und daß wohl neue
Zeiten neue Anforderungen an die Gesellschaft stellten. Wir dürfen uns durch
die Namen Verfassung und Parlament und Volksvertretung nicht erschrecken
lassen, sagte er. Es klingt wohl so, als ob dadurch die königliche Macht ein¬
geschränkt würde, aber in Wahrheit ist das doch nicht der Fall, Sonst würde
doch der hochselige König garnicht darauf eingegangen sein, eine Verfassung
zu geben. Ich erinnere mich hier mit Vergnügen der Rede, welche der Kriegs¬
minister von Roon, mein alter Kamerad, am 12, September 1862 im Ab¬
geordnetenhause hielt, und ich habe mir die Nummer der Kreuzzeitung, worin
die Rede stand, sorgfältig aufgehoben. Er sagte darin, daß nach seiner Auf¬
fassung der Geschichte die Ereignisse im Staat nichts andres seien als der Kampf
um Macht zwischen den einzelnen Faktoren, und er wies hierdurch darauf hin,
daß die geschriebene Verfassung nur insofern Giltigkeit habe, als sie den Macht¬
verhältnissen entspreche. Wenn ich um unsre Machtverhältnisse betrachte, so bin ich
ganz ruhig und lächle über die Ansprüche der Demagogen. Denn wie konfus
auch die Verfassungsparagraphen sein mögen, auf welche sie sich berufen, eins
steht fest und unerschütterlich da, die auf die Armee gegründete Autorität unsers
königlichen Herrn. Sie ist so stark, daß sie recht gut diese neuen parlamentarischen
Einrichtungen erlauben kann.

Aber der Baron war in einer besonders scharfen Stimmung, da er eben
eine mit großem Aufwande von Berechnung angelegte Schachpartie verloren
hatte, und ließ sich so leicht nicht aus dem Felde schlagen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/166>, abgerufen am 23.07.2024.