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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Der Lau des Roichstagsgebäudos.

ist die modernste aller Großstädte, welche keinen altertümlichen Zug in ihrer
architektonischen Physiognomie verträgt. Schinkels Mißerfolg mit der Werderschen
Kirche steht als bleibendes Monument für diese Thatsache da. Überdies sind
auch die Sympathien im ganzen deutschen Volke für die Wiederbelebung der
Gothik sehr gering. Abgesehen von Hannover, Kassel und Köln, wo derartige
Versuche mit mehr oder minder Glück gemacht worden sind, haben alle darauf
gerichteten Bestrebungen nirgends feste Wurzeln gefaßt, während der gesammte
Volksgeist in Wissenschaft, Kunst und Industrie durch den Anschluß an die glor¬
reiche Zeit der Renaissance aufs mächtigste bewegt wird. Dadurch ist schon an
und für sich der Hinweis gegeben, in welchem Stile das neue deutsche Parla¬
mentshaus einzig und allein ausgeführt werden kann. Nichts also von der Gothik,
welche den modernen Ansprüchen an Ranmfülle und Komfort keineswegs genügen
kann! Nur vou der Renaissance kann die Rede sein, und mau wird gewiß nicht
den Vorwurf nationaler Voreingenommenheit und Beschränktheit auf sich ziehen,
wenn man in dieser nationalen Frage für die deutsche Renaissance, den Baustil
unsrer Väter, plaidirt.

Nachdem Scott aus der Reihe der Bewerber ausgeschieden, bleiben Vohn-
stedt (Gotha), Ende und Böckmann (Berlin). Kciyscr und v. Grvßheim (Berlin),
Mylius und Bluntschli (Frankfurt am Main) als Bewerber übrig. Eine engere
Konkurrenz unter diesen vieren würde uicht nur auf dem denkbar schnellsten Wege
zu dem gewünschten Erfolge führe", da alle mit deu in Betracht kommenden
Fragen aufs innigste vertraut sind und da ferner anzunehmen ist, daß sie sich
nicht nur während des verflossenen Jahrzehnts in Bezug auf die Möglichkeit
von Verbesserungen namentlich akustischer Art auf dem Laufenden erhalten haben,
sondern die Komission würde zugleich die Garantie empfangen, daß ihr nnr
brauchbare Entwürfe eingeliefert würden, unter welchen die Entscheidung ungleich
leichter wäre als unter einer Unzahl ungesichteter Entwürfe. Wenn man den
Kreis der Bewerber noch erweitern wollte, damit auch die Gruppe der süd¬
deutschen Staaten einen Vertreter in der Konkurrenz hätte, so wäre vielleicht
hauptsächlich Robert Reinhardt in Stuttgart zu berücksichtigen, der sich uuter
deu jüngeren süddeutschen Architekten am meisten hervorgethan hat.

Ende und Bvckmcmn haben während des letzten Jahrzehnts durch eine An¬
zahl von wirksamen Monumentalbauten, unter denen wir nur das Haus der
preußischen Bodenkreditaktiengesellschaft und die Meininger Bank in Berlin er¬
wähnen wollen, ein hervorragendes Talent in der Komposition ernster, eindrucks¬
voller Fassaden bekundet und dabei zugleich nachgewiesen, daß sie große archi¬
tektonische Massen mit Einsicht zu gliedern und zu beherrschen wissen. Nach
verschiedenen Richtungen ist mit ihrem Namen das Gewicht einer großen Autorität
in baukünstlerischen Dingen verbunden. Kayser und von Großheim, die ganz
besonders in Betracht kommen, weil ihr Entwurf von vornherein die meisten
Stimmen auf sich vereinigt hatte, haben besonders in der Dekoration der Fassaden


Der Lau des Roichstagsgebäudos.

ist die modernste aller Großstädte, welche keinen altertümlichen Zug in ihrer
architektonischen Physiognomie verträgt. Schinkels Mißerfolg mit der Werderschen
Kirche steht als bleibendes Monument für diese Thatsache da. Überdies sind
auch die Sympathien im ganzen deutschen Volke für die Wiederbelebung der
Gothik sehr gering. Abgesehen von Hannover, Kassel und Köln, wo derartige
Versuche mit mehr oder minder Glück gemacht worden sind, haben alle darauf
gerichteten Bestrebungen nirgends feste Wurzeln gefaßt, während der gesammte
Volksgeist in Wissenschaft, Kunst und Industrie durch den Anschluß an die glor¬
reiche Zeit der Renaissance aufs mächtigste bewegt wird. Dadurch ist schon an
und für sich der Hinweis gegeben, in welchem Stile das neue deutsche Parla¬
mentshaus einzig und allein ausgeführt werden kann. Nichts also von der Gothik,
welche den modernen Ansprüchen an Ranmfülle und Komfort keineswegs genügen
kann! Nur vou der Renaissance kann die Rede sein, und mau wird gewiß nicht
den Vorwurf nationaler Voreingenommenheit und Beschränktheit auf sich ziehen,
wenn man in dieser nationalen Frage für die deutsche Renaissance, den Baustil
unsrer Väter, plaidirt.

Nachdem Scott aus der Reihe der Bewerber ausgeschieden, bleiben Vohn-
stedt (Gotha), Ende und Böckmann (Berlin). Kciyscr und v. Grvßheim (Berlin),
Mylius und Bluntschli (Frankfurt am Main) als Bewerber übrig. Eine engere
Konkurrenz unter diesen vieren würde uicht nur auf dem denkbar schnellsten Wege
zu dem gewünschten Erfolge führe», da alle mit deu in Betracht kommenden
Fragen aufs innigste vertraut sind und da ferner anzunehmen ist, daß sie sich
nicht nur während des verflossenen Jahrzehnts in Bezug auf die Möglichkeit
von Verbesserungen namentlich akustischer Art auf dem Laufenden erhalten haben,
sondern die Komission würde zugleich die Garantie empfangen, daß ihr nnr
brauchbare Entwürfe eingeliefert würden, unter welchen die Entscheidung ungleich
leichter wäre als unter einer Unzahl ungesichteter Entwürfe. Wenn man den
Kreis der Bewerber noch erweitern wollte, damit auch die Gruppe der süd¬
deutschen Staaten einen Vertreter in der Konkurrenz hätte, so wäre vielleicht
hauptsächlich Robert Reinhardt in Stuttgart zu berücksichtigen, der sich uuter
deu jüngeren süddeutschen Architekten am meisten hervorgethan hat.

Ende und Bvckmcmn haben während des letzten Jahrzehnts durch eine An¬
zahl von wirksamen Monumentalbauten, unter denen wir nur das Haus der
preußischen Bodenkreditaktiengesellschaft und die Meininger Bank in Berlin er¬
wähnen wollen, ein hervorragendes Talent in der Komposition ernster, eindrucks¬
voller Fassaden bekundet und dabei zugleich nachgewiesen, daß sie große archi¬
tektonische Massen mit Einsicht zu gliedern und zu beherrschen wissen. Nach
verschiedenen Richtungen ist mit ihrem Namen das Gewicht einer großen Autorität
in baukünstlerischen Dingen verbunden. Kayser und von Großheim, die ganz
besonders in Betracht kommen, weil ihr Entwurf von vornherein die meisten
Stimmen auf sich vereinigt hatte, haben besonders in der Dekoration der Fassaden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/98>, abgerufen am 01.07.2024.