Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.Die deutsche Bühne der Gegenwart, deten Anspruch darauf, bei uns nicht in Vergessenheit zu gerathen? Sie sind Die deutsche Bühne der Gegenwart, deten Anspruch darauf, bei uns nicht in Vergessenheit zu gerathen? Sie sind <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86215"/> <fw type="header" place="top"> Die deutsche Bühne der Gegenwart,</fw><lb/> <p xml:id="ID_317" prev="#ID_316" next="#ID_318"> deten Anspruch darauf, bei uns nicht in Vergessenheit zu gerathen? Sie sind<lb/> in jeder Beziehung veraltet und Hinten uns bei dem jetzigen Staude der deutschen<lb/> Opernmusik fast wie Karikaturen an. Warum läßt mau sie nicht in ihrem Vater¬<lb/> land?, von dessen Sonne sie ohnehin erst die ihnen zukommende Beleuchtung er¬<lb/> halten, dessen Söhne und Töchter ihnen erst die Lippen so zu lösen verstehen,<lb/> wie ihre Komponisten es gedacht und empfunden haben? Dort erfreuen sie, bei<lb/> uns schaden sie nur. Haben sich Verdis „Rigoletto" und Halevys „Jüdin"<lb/> nicht die Ruhe redlich verdient, die mau ihnen nicht gönnt, wenn man bedenkt,<lb/> daß ein deutscher Meister, der mit schönstem Können und heiligen? Ernst sein<lb/> Kunstwerk geschaffen hat, von einer Antichambre zur andern pilgern muß, um<lb/> überall vielleicht denselben Bescheid zu erhalten, den der Intendant eines großen<lb/> Hoftheaters Franz von Holstein über seinen „Haideschacht" und seine „Hoch¬<lb/> länder" erteilte: seine Oper sei „zu ernst?" Und wie lange hat gerade dieser<lb/> treffliche Komponist, eine eigenartig innige, ebenso musikalische wie dramatische<lb/> Natur, warten müssen, bis der „Haideschacht" ihm den ersten vollen Lorbeer<lb/> eintrug. Man rede doch nicht immer von Kapellmcistermusik! Es giebt neben<lb/> manchen Produkten einer blos pedantischen Gelehrsamkeit musikalische Schöpfungen<lb/> von originalen Reiz und künstlerischem Wert genug. Wenn sie auch die Herzen<lb/> nicht alle im Sturm erobern, so finden sie doch ihre Bewundrer und gewännen<lb/> sich ohne Zweifel neue, weitere Kreise, wenn sie überhaupt nur zur Aufführung<lb/> gebracht würden. Man braucht die Gaben der Ausländer nicht zu vernachlässigen,<lb/> Rossinis köstlichen „Barbier" so wenig wie Anders „Fra Diavolo," aber eine<lb/> streugere Sichtung des Repertoirs würde für manche wertvolle Novität Platz<lb/> schaffen, die jetzt im Notenrepositorium ihres Komponisten oder Verlegers richt.<lb/> Wenn es bei dem kosmopolitischen Tohuwabohu der Gegenwart ans dem Gebiete<lb/> der Oper bleibt, dann werden wir noch lange auf ihre stilgcmäsze Entwicklung<lb/> warten müssen. Und die „Widerspäustige" von Götz, Albert Dietrichs „Robim<lb/> Hood" bedeuten doch für uns mehr als etwa der in der Musikgeschichte aller¬<lb/> dings gar nicht unwichtige „Prophet?" Was uns fehlt, das ist gerade ein guter<lb/> Stamm tüchtiger Opern, die es mit dem dramatischen nicht so leicht nehmen,<lb/> wie es die sangreichen Italiener thun, und die, ohne uns gerade auf die höchsten<lb/> Gipfel der Kunst zu führen, doch ein tüchtiges musikalisches Können mit ernster<lb/> künstlerischer Arbeit verbinden. Solche dem Repertoire zu gewinnen, gleichviel<lb/> ob sie nun den Spuren unsrer Klassiker oder denen Wagners folgen, wäre ein<lb/> Verdienst und ist für die Zukunft der deutschen dramatischen Musik eine Not¬<lb/> wendigkeit. Sollen sie wahrhaft bedeutend und lebensfähig sein, dann werden<lb/> sie die Errungenschaften, die Wagner der Oper gesichert, nicht unbenutzt lassen<lb/> dürfe», mögen sie sich sonst zu ihm stellen wie sie wollen. Die ans schlechtweg<lb/> getrennten Musikstücken bestehende Oper steht außerhalb der Bewegung unsrer<lb/> Zeit. Wer mit dieser gehen will, kann nicht eigenwillig auf überwundene Formen<lb/> zurückgreifen. Das thun auch weder Holstein noch Götz, weder Dietrich, Rein-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0094]
Die deutsche Bühne der Gegenwart,
deten Anspruch darauf, bei uns nicht in Vergessenheit zu gerathen? Sie sind
in jeder Beziehung veraltet und Hinten uns bei dem jetzigen Staude der deutschen
Opernmusik fast wie Karikaturen an. Warum läßt mau sie nicht in ihrem Vater¬
land?, von dessen Sonne sie ohnehin erst die ihnen zukommende Beleuchtung er¬
halten, dessen Söhne und Töchter ihnen erst die Lippen so zu lösen verstehen,
wie ihre Komponisten es gedacht und empfunden haben? Dort erfreuen sie, bei
uns schaden sie nur. Haben sich Verdis „Rigoletto" und Halevys „Jüdin"
nicht die Ruhe redlich verdient, die mau ihnen nicht gönnt, wenn man bedenkt,
daß ein deutscher Meister, der mit schönstem Können und heiligen? Ernst sein
Kunstwerk geschaffen hat, von einer Antichambre zur andern pilgern muß, um
überall vielleicht denselben Bescheid zu erhalten, den der Intendant eines großen
Hoftheaters Franz von Holstein über seinen „Haideschacht" und seine „Hoch¬
länder" erteilte: seine Oper sei „zu ernst?" Und wie lange hat gerade dieser
treffliche Komponist, eine eigenartig innige, ebenso musikalische wie dramatische
Natur, warten müssen, bis der „Haideschacht" ihm den ersten vollen Lorbeer
eintrug. Man rede doch nicht immer von Kapellmcistermusik! Es giebt neben
manchen Produkten einer blos pedantischen Gelehrsamkeit musikalische Schöpfungen
von originalen Reiz und künstlerischem Wert genug. Wenn sie auch die Herzen
nicht alle im Sturm erobern, so finden sie doch ihre Bewundrer und gewännen
sich ohne Zweifel neue, weitere Kreise, wenn sie überhaupt nur zur Aufführung
gebracht würden. Man braucht die Gaben der Ausländer nicht zu vernachlässigen,
Rossinis köstlichen „Barbier" so wenig wie Anders „Fra Diavolo," aber eine
streugere Sichtung des Repertoirs würde für manche wertvolle Novität Platz
schaffen, die jetzt im Notenrepositorium ihres Komponisten oder Verlegers richt.
Wenn es bei dem kosmopolitischen Tohuwabohu der Gegenwart ans dem Gebiete
der Oper bleibt, dann werden wir noch lange auf ihre stilgcmäsze Entwicklung
warten müssen. Und die „Widerspäustige" von Götz, Albert Dietrichs „Robim
Hood" bedeuten doch für uns mehr als etwa der in der Musikgeschichte aller¬
dings gar nicht unwichtige „Prophet?" Was uns fehlt, das ist gerade ein guter
Stamm tüchtiger Opern, die es mit dem dramatischen nicht so leicht nehmen,
wie es die sangreichen Italiener thun, und die, ohne uns gerade auf die höchsten
Gipfel der Kunst zu führen, doch ein tüchtiges musikalisches Können mit ernster
künstlerischer Arbeit verbinden. Solche dem Repertoire zu gewinnen, gleichviel
ob sie nun den Spuren unsrer Klassiker oder denen Wagners folgen, wäre ein
Verdienst und ist für die Zukunft der deutschen dramatischen Musik eine Not¬
wendigkeit. Sollen sie wahrhaft bedeutend und lebensfähig sein, dann werden
sie die Errungenschaften, die Wagner der Oper gesichert, nicht unbenutzt lassen
dürfe», mögen sie sich sonst zu ihm stellen wie sie wollen. Die ans schlechtweg
getrennten Musikstücken bestehende Oper steht außerhalb der Bewegung unsrer
Zeit. Wer mit dieser gehen will, kann nicht eigenwillig auf überwundene Formen
zurückgreifen. Das thun auch weder Holstein noch Götz, weder Dietrich, Rein-
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